Ohne jede Boshaftigkeit dürfen wir sagen: Niemand hatte es in unserer Liga bis heute Vormittag so gut wie die Artisten im Hockey-Zirkus Gottéron. Jede Vorstellung ist ausverkauft, und die Leistung spielt gar keine Rolle. Jeder kann tun und lassen, wie er gerade mag, möchte und will. So viel Sorglosigkeit konnten sich die Spieler in der modernen Geschichte unseres Hockeys noch nie leisten: Der Trainer für nächste Saison steht ja schon fest.
Der Schwede Roger Rönnberg wird die Mannschaft übernehmen. Deshalb hat Sportdirektor Gerd Zenhäusern zur Bequemlichkeit aller nach der Entlassung von Christian Dubé im letzten Sommer einfach dessen Assistenten Patrick Emond zum Chef befördert. Den freundlichen, fachlich durchaus kompetenten Kanadier haben nicht einmal die Junioren ernst genommen.
Den letzten Funken Respekt verspielte er am 4. Dezember: Er setzte Topskorer Marcus Sörensen und die Schillerfalter Yannick Rathgeb und Killian Mottet – also eine Salärsumme von gut einer Million – in Langnau ohne jede Not auf die Tribüne. Diese Massnahme war den Spielern herzlich egal. Sie verloren schmählich 1:4. Aber hat Patrick Emond denn nicht im Frühjahr 2021 Servette zum ersten Mal in den Final geführt? Ja, hat er. Aber erstens hatte er mit Henrik Tömmernes einen Spielertrainer, der in der Kabine und auf dem Eis alles regelte und zweitens mit dem akribischen «Workaholic» Jan Cadieux einen Assistenten, der keine Halbheiten durchgehen liess.
Die Sorglosigkeit können sich Gottérons Artisten leisten: Sie sind so talentiert, dass es eigentlich, wenn sich alle anstrengen würden, locker zu einem Spitzenplatz reichen würde. Aber warum sich anstrengen? Der Tempel ist so oder so bei jedem Auftritt bis auf den letzten Platz gefüllt und Nachlässigkeit hat keinerlei persönliche Konsequenzen: Es kommt ja im Sommer ein neuer Trainer und dann werden die Karten ohnehin neu gemischt. Es reicht bei weitem, wenn im August die Schuhe wieder richtig gebunden werden.
Nur ab und zu wird richtig gerockt. Eigentlich nur noch, wenn es gegen den Erzrivalen Bern geht. Schon zweimal ist der SCB gehörig gebodigt worden. Und seit der Sportdirektor den leidenschaftlichen Kämpfer Chris DiDomenico bei Ambri gegen Jakob Lilja eingetauscht hat, ist der letzte Störenfried endlich weg, der immer gewinnen wollte. Seine Abschiebung war eine Torheit sondergleichen.
Die Ferien hätten problemlos bis Ende Saison dauern können. Die aktuelle Klassierung (Rang 11) ist zwar schäbig. Ein Abstieg droht trotzdem nicht. Aber dummerweise hat Gottéron die Einladung zum Spengler Cup angenommen. Und die fällt den Zirkusartisten nun auf die Füsse.
Mit der gleichen Larifari-Einstellung wie in der Meisterschaft droht in Davos oben eine nationale Demütigung und jedes Spiel wird erst noch vom staatstragenden Fernsehen live in jede Stube übertragen! Und die Befürchtungen, Gottérons Artisten könnten unbeaufsichtigt den Aufenthalt in Davos ein wenig für ein viertes Drittel nach Mitternacht nutzen, sind wohl nicht ganz unberechtigt.
Also braucht es gerade noch rechtzeitig vor dem Spengler Cup einen neuen, einen richtigen Chef. Idealerweise einen Zuchtmeister. Auf jeden Fall einen mit einem Selbstvertrauen und einem Ego grösser als die Kathedrale Sankt Nikolaus und der Hockeytempel zusammengerechnet, mit Durchsetzungsvermögen, mit klaren Zielvorstellungen und bewiesener Kompetenz. Also einer, der dem Büsi unmissverständlich Katze sagt und seine fachliche Qualität mit einem Meistertitel längst unter Beweis gestellt hat.
Lars Leuenberger (49) ist der perfekte Nottrainer. Er hat als Cheftrainer den SCB 2016 sensationell zum Meistertitel kommandiert und Gottéron kennt er als Spieler (2000 bis 2002). Mag sein, dass er in Biel und zuletzt in Olten, wo er am 11. Januar gefeuert worden ist, in der Kabine nicht beliebt war. Aber respektiert auf jeden Fall. Sein Ego ist so gross, dass es auf Dauer nicht in Oltens Kleinholz-Tempel gepasst hatte. Der Bruder von ZSC-Sportchef Sven Leuenberger ist halt schon ein wenig ein Hockey-Napoléon (172 Zentimeter gross).
Aktuelle
Note
7
Ein Führungsspieler, der eine Partie entscheiden kann und sein Team auf und neben dem Eis besser macht.
6-7
Ein Spieler mit so viel Talent, dass er an einem guten Abend eine Partie entscheiden kann und ein Leader ist.
5-6
Ein guter NL-Spieler: Oft talentierte Schillerfalter, manchmal auch seriöse Arbeiter, die viel aus ihrem Talent machen.
4-5
Ein Spieler für den 3. oder 4. Block, ein altgedienter Haudegen oder ein Frischling.
3-4
Die Zukunft noch vor sich oder die Zukunft bereits hinter sich.
Die Bewertung ist der Hockey-Notenschlüssel aus Nordamerika, der von 1 (Minimum) bis 7 (Maximum) geht. Es gibt keine Noten unter 3, denn wer in der höchsten Liga spielt, ist doch zumindest knapp genügend.
Punkte
Goals/Assists
Spiele
Strafminuten
Er ist
Er kann
Erwarte
Lars Leuenberger ist also die richtige, die perfekte Wahl. Nun wird das Klima in der Kabine so kühl, dass die Spieler während des Spengler Cups meinen, man habe während der ganzen Nacht irgendwo ein Fenster offengelassen. Und doch ist das Risiko nicht zu unterschätzen: Werden sich hochdekorierte und verdienstvolle Veteranen und Titanen wie Reto Berra (38), Raphael Diaz (38), Ryan Gunderson (39), Killian Mottet (33) oder Julien Sprunger (38) die Ferien ausgerechnet von einem forschen ehemaligen SCB-Meistertrainer verderben lassen, der Ende Saison ja sowieso wieder weg sein wird?
So oder so hat Sportdirektor Gerd Zenhäusern nun einen Klubrekord hinbekommen: Er muss diese Saison gleich drei Cheftrainer löhnen: den von ihm abgesägten Christian Dubé, den nun abgesetzten Patrick Emond und nun neu auch Lars Leuenberger. Billig wird der neue Trainer nicht sein: Lars Leuenberger ist auch bei Vertragsverhandlungen selbst- und preisbewusst.
Hubert Waeber dürfen wir als einen der besten Präsidenten in der Geschichte Gottérons bezeichnen, ja vielleicht ist dieser ruhige, kluge Netzwerker und Unternehmer sogar der beste. Was, wenn er in einer ruhigen Philosophie-Stunde der Nachdenklichkeit zur Erkenntnis kommt, dass sein Sportdirektor, der schlaue Walliser und Machiavellist Gerd Zenhäusern, die Verwandlung des Sportunternehmens Gottéron in einen Zirkus, über den sich die ganze Hockey-Schweiz amüsiert, durch eine nachgerade absurde Trainer-Politik zu verantworten hat?
Einer weniger auf der Lohnliste.