Die Kirchen leeren sich, aber der Christbaum brennt munter weiterhin. Und die kitschigen Weihnachtslieder dudeln uns in allen Läden entgegen, die sich möglichst viel vom Weihnachtskuchen abschneiden wollen.
Vielleicht ist es gar nicht so schlecht, wenn der Urgedanke von Weihnachten in den Hintergrund geraten ist, nämlich die Geburt von Jesus. Laut christlicher Lehre hat Gott seinen Sohn auf die Erde geschickt, um die Menschen zu erlösen. Doch: Hat er dies tatsächlich getan? War das wirklich seine Aufgabe?
Um die Fragen zu beantworten, müssen wir ein paar grundsätzlich Aspekte beleuchten.
Religionen haben gegenüber Weltanschauungen, Ideologien oder philosophischen Konzepten einen grossen Vorteil: Sie müssen ihre Heilsvorstellungen nicht herleiten oder begründen, vielmehr können sie sich bei kritischen Fragen oder Argumenten auf den Glauben stützen. Letztlich also auf den christlichen Gott, auf Jesus, auf Allah, auf die hinduistischen Götter, auf Buddha oder schlicht und einfach auf Sektenführer, die die angeblichen spirituellen Wahrheiten verkünden.
Die Religionen und Glaubensgemeinschaften bauen aber einen doppelten Boden ein, um ihre Glaubwürdigkeit zu unterstreichen. Dazu ziehen sie schriftliche Quellen heran. Alte Quellen. Die Bibel, den Koran, die Thora, die Veden und wie all diese religiösen Schriften heissen. Diese Bücher legen angeblich Zeugnis von den Göttern ab und dokumentieren die Schöpfer und ihre spirituellen Ideen.
Viele Geistliche und Gläubige betrachten die heiligen Schriften als authentische Botschaften ihrer Götter. Belege dafür gibt es aber nicht. Sicher ist nur, dass sie von Gläubigen verfasst worden sind. Sicher ist auch, dass es keine Originale gibt, sondern nur Abschriften von Abschriften, was natürlich die Gefahr von Fehlern und persönlichen Interpretationen begünstigt. Ein Unsicherheitsfaktor sind auch die vielen Übersetzungen.
So lassen sich gerade auch bei der Bibel Ungereimtheiten und Widersprüche ausmachen, die irritieren. Dies auch im Kernthema der Erlösung, die wir bei der Geburt von Jesus feiern. Schliesslich beruht der bahnbrechende Erfolg der christlichen Kirchen auf dem Versprechen auf ein ewiges Leben im Himmel nach dem Tod.
Doch die Hürden ins Paradies sind recht hoch, was bei den Mitternachtsmessen nicht thematisiert wird. Einlass ins Himmelreich findet nur, wer ein gottgefälliges Leben geführt hat.
Dieses christliche Grundkonzept klingt im Zeitalter der Säkularisierung seltsam. Doch so steht es in der Bibel. Auffällig und irritierend ist allerdings, dass das Buch in dieser zentralen Frage widersprüchliche Aussagen enthält.
So schreibt etwa Matthäus in seinem Evangelium, dass Jesus als Richter auftritt und die Gerechten von den Ungerechten trennt. Zu den ersten sagte er: «Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.» Den Ungerechten hingegen befahl er: «Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!» und schliesst: «Und sie werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben.» (Mt 25,31–46)
Evangelist Markus kennt aber eine andere Voraussetzung, um nicht gerichtet zu werden und in den Himmel einzugehen: «Man muss nur an Jesus glauben.» (Mk 16,16)
Matthäus wiederum stellt eine andere Bedingung: «Willst du aber zum Leben eingehen, so halte die Gebote.» (Mt 19,17)
Johannes ist wesentlich grosszügiger und verspricht eine weit offene Himmelstür, zumindest den Rechtgläubigen: «Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er an den Namen des einzigen Sohnes Gottes nicht geglaubt hat.» (Joh 3, 16-18)
An anderer Stelle verspricht der gleiche Evangelist: «Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der hat das ewige Leben, und ich werde ihn am Jüngsten Tage auferwecken.» (Jh 6,54)
Bei Matthäus kommen sogar Sünder und Betrüger in den Himmel: «Die Zöllner und Huren kommen eher ins Reich Gottes als ihr Ungläubige.» (Mt 21,31)
Gleichzeitig zeigt sich Jesus selbst radikal und gnadenlos: «Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.» (Mk 10,25)
Ganz anders sieht es in der Endzeit aus, bei der ein Grossteil der Menschen eliminiert wird: «Da wurden die vier Engel losgebunden, die auf Jahr und Monat, auf Tag und Stunde bereitstanden, um ein Drittel der Menschheit zu töten.» (Off 9,15)
Nimmt man aber Bibelstellen heran, in denen Gott als Despot auftritt und den Auftrag zum Völkermord erteilt, kann auch Gläubigen Angst und Bang vor dem Jüngsten Gericht werden. Gott sprach den aus Ägypten vertriebenen Israeliten das Land Kanaan zu und forderte sie auf, die ansässigen Volksgruppen auszurotten. Konkret: «Tötet Mann und Frau, Kinder und Säuglinge, Rinder und Schafe, Kamele und Esel.» (5. Mose 2,3 ff)
Gottes Wege sind oft sprichwörtlich unergründlich. Müsste der Schöpfer selbst bei seinem Jüngsten Gericht antraben, würde er wohl aus dem Himmel verbannt und müsste einen Pakt mit dem Satan schliessen.