Sie wirkt wie eine dieser Mails zum direkt Löschen. Irgendetwas mit «Änderung» im Betreff, es geht um «Allgemeine Geschäftsbedingungen», verschickt an Abertausende Nutzerinnen und Nutzer.
Die Mail landete am Montag in rund 1,5 Millionen Posteingängen. Absender ist die Auktionsplattform Ricardo.ch. Was sich zunächst wie eine Nachricht für den Papierkorb liest, hängt mit einer grossen Gesetzesänderung zusammen, die der Schweiz kurz bevorsteht. Ab dem 1. Januar 2025 müssen digitale Marktplätze wie Ricardo.ch neu Mehrwertsteuer entrichten.
«Die Kunst, Steuern einzunehmen besteht darin, die Gans zu rupfen, ohne dass sie schreit.» So lautet ein Bonmot aus der Geschichte der Steuererhebung. Und Ricardo.ch schreit zwar nicht – trotzdem ist die Schweizer Plattform eigentlich nicht die Gans. Ricardo.ch fällt eher zufällig unter das neue Gesetz. Ausländische Online-Marktplätze wie Temu oder Amazon, das sind die Gänse, die der Staat rupfen will.
Bislang zahlen die Unternehmen hinter Plattformen wie Temu oder Shein in der Schweiz keine Mehrwertsteuer. Und das, obwohl sie hier enorme Umsätze machen. 2023 erwirtschaftete Temu in der Schweiz mindestens 350 Millionen Franken. Beim normalen Steuersatz von 8,1 Prozent hätte der Bund also 28 Millionen Franken einnehmen sollen. Das tat er aber nicht.
Denn Steuern auf Waren von Temu werden derzeit vom Zoll erhoben, wenn die Pakete aus Fernost am Flughafen eintreffen. Und Zollbeamte verlangen die Steuer erst ab einem Warenwert von 62 Franken. Bei weniger liegt die Mehrwertsteuer unter fünf Franken. Dann ist es teurer, die Steuer zu erheben, als darauf zu verzichten. Bei den Schleuderpreisen auf Temu kommen Lieferungen nicht häufig auf über 62 Franken. Bevor man eine Gans rupft, muss man sie zu fassen kriegen.
Im neuen Jahr könnte das dem Bund gelingen, mithilfe des neuen Artikels 20a im Mehrwertsteuergesetz. Darin werden virtuelle Marktplätze als Dienstleister definiert. Wenn nun Menschen in der Schweiz jährlich Waren im Wert von 100'000 Franken über eine Plattform wie Temu kaufen, muss sich Temu bei der Steuerbehörde anmelden. Denn Plattformen bringen Verkäuferin und Käufer zusammen. Das gilt neu als Dienstleistung. Und Dienstleistungen unterliegen der Mehrwertsteuer.
Für die meisten der fünf Millionen registrierten Nutzerinnen und Nutzer von Ricardo.ch ändert sich dadurch: gar nichts. Wer davor keine Mehrwertsteuer zu entrichten hatte, muss nichts weiter tun, als die neuen Geschäftsbedingungen zu akzeptieren.
Wer davor schon jährlich mehr als 100'000 Franken Umsatz mit Ricardo-Verkäufen machte, bezahlte bereits Mehrwertsteuer. Das übernimmt fortan Ricardo.ch. Dafür müssen alle betroffenen Nutzerinnen und Nutzer ihre Profile mit ihrer Mehrwertsteuer-Nummer ergänzen.
Für die Ricardo AG aus Zug ändert sich also am meisten. Derzeit erreichten sie viele Anfragen verunsicherter Nutzer, schreibt der Mutterkonzern Swiss Marketplace Group. Zudem muss sie künftig Informationen sammeln und an die Steuerbehörden weitergeben. Für den zusätzlichen Aufwand benötige sie jedoch keine neuen Angestellten. Die Gebühren für Nutzerinnen sollen deswegen nicht steigen. Andere Plattformen des Konzerns wie Tutti, Anibis, Auto- oder Immoscout24 seien nicht betroffen.
Das neue Gesetz bringt für Ricardo.ch also kaum Unannehmlichkeiten. Sonst hätte sich die Betreiberin des virtuellen Flohmarkts vermutlich dagegen gewehrt. Das tat sie aber nicht – im Gegensatz zur US-amerikanischen Plattform Amazon.
Doch aus dem Ausland können Gänse so viel schreien, wie sie wollen. Gerupft werden sie in der Schweiz wohl bald trotzdem. (aargauerzeitung.ch)
Die MWST Pflicht für neue Produkte hingegen ist soweit ok, als diese über der 100 K Gesamtumsatz pro Händler liegen. Selbständige in der Schweiz sind ja auch erst ab 100 K Umsatz MWST pflichtig. Allfällige Änderungen der MWST Pflicht müsste ungeachtet des Vertriebskanals überall gleich gehandhabt werden.
Alles andere ist nur gezielter Protektionismus im Interesse von gewissen Lobbies...
Da dies aber ja erst ab 100k relevant ist bzw. vorher bereits war betrifft es mich nicht 😊