Rad-Sport


Nordica: Rennradausfahrt für Klassiker

Sie glänzen in der Sonne, leuchten im giftigen grün, knalligen rot oder strahlendem goldmetallic. Sie heißen Romani, Benotto, Bottechia, Koga Myiata oder Jack Taylor. Ihre Fahrer tragen gestrickte Wolltrikots und schwarze Lederschuhe. Nein, einen Helm hat kaum einer auf dem Kopf. Stilvolle Rennmützen sind angesagt. Oder ein Sturzring aus Leder. Willkommen bei der Nordica, einer Ausfahrt für klassische Rennräder.
Ganz klar: Freunde historischer Rennräder pflegen einen eigenen Stil. Sie huldigen den Helden vergangener Tage und lieben ihr betagtes Material. Ein Mal im Jahr treffen sich die Oldie-Freunde bei der Nordica in Elmshorn, um eine 70 bis 80 Kilometer lange Runde durch die Elbmarsch zu drehen. In Italien, Österreich und in NRW hat der Trend zu Klassik-Rennrädern bereits eine große Fan-Gemeinde. Im Norden wächst sie gerade heran. Kein Wunder also, dass die Nordica dieses Jahr eine Rekordbeteiligung von 24 Fahrern verzeichnete.

Eine bunte Truppe: Vom 70jährigen Veteran bis zum 30jährigen Youngster können sich offenbar viele Sportler für die Reize eines alten Rennrades begeistern. Es gibt auch 20jährige Studenten, die sich einen Vintage-Renner zulegen. Nur fahren sie damit fast ausschließlich in der Stadt; es dient eher als Fashion Statement, nicht als Sportgerät. Bei vielen ernsthaften Rennradfahrern wiederum scheint die Meinung verbreitet zu sein, dass sich ein 30 bis 50 Jahres altes Stahlrennrad nicht für längere und schneller Überlandtouren eignet. Was für ein Irrtum!

Natürlich kann man auf einem alten Rennrad zügig und auch weit fahren. Man muss es nur beherrschen. Vor allem der Umgang mit der Rahmenschaltung, der vergleichsweise geringen 2 x 5-Gänge-Übersetzung und den betagten Bremsen erfordert Fahrkönnen, Erfahrung und Gefühl. Wer's beherrscht, freut sich über das spezielle Fahrvergnügen, dass so ein filigraner Renner möglich macht. Optisch stellen die eleganten Stahlkonstruktionen mit ihren dünnen Rohren moderne Alu- oder Plastikräder ja sowieso weit in den Schatten.

Eine perfekte Gelegenheit, sich dem Charme der Alt-Renner hinzugeben ist die Nordica, die von der Klassiksparte der Fahrradgruppe Rückenwind aus Elmshorn organisiert wird. Bereits zum vierten Mal strampelte ich mit Gleichgesinnten durch die reizvolle Landschaft am nördlichen Elbufer. Es geht über Deiche und ruhige Hinterlandstraßen - eine Gegend der weiten Horizonte. 

Wie immer hatte auch dieses Mal Organisator André einen netten Gasthof für die Pause ausgesucht. Bei Matjes oder Kuchen tauschten wir Erfahrungen aus, schwärmten über die L'Eroica und andere Heldentaten. Anschließend ging es zügig weiter ins Ziel. Dies war wie immer das sehr sehenswerte Museum "Räder unter Reet". Hausherr Jan Mohr hatte wie üblich einen kleinen Fuhrpark für Probefahrten aufgebaut. Dazu gab es Kaffee und Kuchen. Was soll ich sagen? Viel perfekter kann ein Fahrrad-Tag nicht enden. Bei der Nordica ist es ein guter Brauch, dass alle Mitfahrer fotografiert werden. Hier die Galerie:
Marion mit ihrer Gazelle, Typ Vuelta

Felix auf Eddy Merkx 
Michael auf Velo Schauff
Heiko ausnahmsweise nicht auf Hercules, sondern
Jeunet


Tobi auf Mondial
Hans-Peter auf Jack Taylor


Bert auf Woodrup
Bodo auf Bottechia


Per auf Romani
Arne auf Bridgestone


Suse auf Schmidt Sport
Thomas auf Koga Myiata


Name unbekannt auf Mittendorf
Rudi auf Cinelli


Cornelius auf Jack Taylor
André auf Torpedo


Matthias auf Basso
Lars auf Gazelle


Bodo auf Enik
Name unbekannt auf Basso



Elbinsel Allyecat Nummer drei






Elbinsel-Allyecat 2014: Ein ganz normaler unnormaler Abend

Elbinsel Allyecat vor dem Start am Spreehafen

Es sollte ein ganz normaler Abend werden. Eine Allyecat in Wilhelmsburg, also eine Art Schnitzeljagd auf dem Rad. So was machen überwiegend Radkuriere, teilnehmen darf aber jeder. Ich mag Allyecats, besonders die Elbinselalleycat. Sie findet zum dritten Mal quasi direkt vor meiner Haustür statt und glänzt mit toller Strecke und guter Organisation. Doch mir kam kurz nach dem Start buchstäblich etwas dazwischen. Eine Radfahrerin um genau zu sein. Und statt bei der Allyecat-Abschlussparty in einer Sauerkrautfabrik endete mein Rennen in der Notaufnahme eines Krankenhauses.
Sin ist schon da. Björn auch. Nur Jakob fehlt. Wir sehen uns ein oder zwei Mal im Jahr. Immer bei den Allyecats in Hamburg. Wie immer wollen wir ein Team bilden. Sin hat schon für alle bezahlt. Nun ist auch Jakob da. Um kurz nach 18 Uhr geht es los. Auf dem Manifest steht unser erster Checkpoint, kurzer Blick auf die Karte, schon sitzen wir im Sattel. Sin kollidiert nach weniger Metern mit einem übereifrigen Mitstreiter. Ein kleiner Stolperer mit dem Rad, sonst ist nichts passiert. Hätte ich jetzt schon was ahnen können oder sollen? Der Tag steht unter keinem guten Stern. Bereits als ich das Haus verlasse denke ich kurz über meinen Helm nach. Verwerfe den Gedanken aber. Allyecat und Helm vertragen sich irgendwie nicht, finde ich. Ich lasse den Kopfschutz zu Hause.
Start zur Elbinselallyecat Nummer drei. Für mich ein kurzes Vergnügen. Und ein schmerzhaftes


Unser erster Checkpoint ist das Velo 54 in der Vehringstrasse. Wir fahren zügig, aber nicht extrem waghalsig, wir sind schnell, haben aber alles unter Kontrolle. Schnell rein in den Radladen und weiter zur nächsten Station. Von der Vehringstraße biegen wir ab in die Fährstrasse. Wir fahren zügig, aber noch lange nicht Vollgas. Das kommt immer erst am Deich, dort wo es frei ist, wo wir Windschatten fahren können. Außerdem sind wir ja erst beim warm fahren.
Checkpoint im Velo 54 HH-Wilhelmsburg

Sin ist gut zehn Meter vor, Björn und Jakob etwas hinter mir. Dann geht plötzlich alles ganz schnell. Eine Radfahrerin, die wir überholen wollen, zieht nach links, ohne Vorwarnung, ohne Zeichen, einfach so, von der Straßenmitte scharf nach links Richtung Bürgersteig und damit voll in meine Fahrlinie. Ich habe eine Sekunde, mich auf den unvermeidlichen Crash einzustellen. Reflexartig ziehe ich an den Bremsen, werde langsamer. Leider nicht langsam genug. Mit großer Wucht knalle ich ins Vorderrad der Radfahrerin. Beide gehen wir spektakulär zu Boden, bleiben benommen liegen. Mein linker Arm schmerzt, über dem Auge habe ich ein kleine Schürfwunde. Die Getroffene liegt ein paar Meter neben mir; sie stöhnt.

Ich bin betroffen und sauer zugleich, raunze sie an, dass ihr Manöver falsch und gefährlich war. Sie motzt zurück. Was ein Glück: Wir können beide noch motzen. Dann kann es alles so schlimm nicht sein. Ein paar Minuten brauchen wir, um den Schock zu verarbeiten. Ich ahne: Adrenalin und Schock dämpfen oder verdrängen die Schmerzen. Die nächsten Tage wird mir Arm und Schulter noch weh tun. Das weiss ich von diversen Brustprellungen. Ich habe eine ansehnliche Sturzkarriere hinter mir. Ohne Stürze geht es im Radsport eigentlich nicht. Aber so spektakulär und gefährlich wie eben, habe ich mich noch nie vom Rad getrennt.

Björn, Jakob und Sin versuchen herauszufinden, ob uns wirklich nichts Schlimmeres passiert ist. Der Sturzverlauf hat sie beunruhigt. Es scheint wirklich dramatisch ausgesehen zu haben. Doch weder Susanne, so heißt die Dame, noch mir scheint wirklich was ernsteres passiert zu sein. Und das ohne Helm. Kein Zweifel: Unsere Schutzengel haben Überstunden geleistet. Wie gefährlich ein Sturz ausgehen kann, hat kürzlich das Drama um Michael Schumacher gezeigt.

Meine Wut auf Susanne hat sich gelegt. Auch ihre Stimme wirkt jetzt freundlicher. Wir einigen uns darauf, keinen Notarzt und Polizei zu rufen. Susanne hat Sorge, das ihr ganzes Rad ein Totalschaden ist. Das Vorderrad ist es definitiv, so krumm wie es in der Gabel steckt.

Susanne braucht ihr Rad. Dringend. Sie ist Altenpflegerin und besucht damit ihre Patienten. Dass es ihr am Montag möglicherweise nicht zur Verfügung steht, macht sie ganz traurig. Ich fühle mich schlecht, biete ihr ein Leihrad aus meinem Fuhrpark an. Doch sie will nur ihr Rad.  Fast scheint es, der Schmerz über das kaputte Rad überlagere die Schmerzen im Körper.

Sin und Jakob fahren die Allyecat weiter. Björn bleibt bei Susanne und mir.  Wir beschließen, ihr Rad noch heute zu reparieren. Schnell ist das völlig verbogene Vorderrad ausgebaut. Damit marschieren wir gut zwei Kilometer zurück zum Velo 54, wo sie tatsächlich ein passendes Ersatz-Vorderrad auf Lager haben. Dazu einen neuen Schlauch als Ersatz für das von den Speichen perforierte Gummi, schnell die Decke getauscht und zurück zum Tatort.

Susanne holt Pumpe und Knochen aus ihrer Wohnung. Dann montieren wir das neue Vorderrad. Alles passt prima; ihr Dienstrad fährt als wäre nichts gewesen. Wir tauschen Adressen aus und verabschieden uns. Unter stärker werdenden Schmerzen fahre ich nach Hause. Mein Singlespeed hat verblüffender Weise nichts abbekommen; nur der links Bremshebel ist leicht verbogen. Ein Wunder, bei dem Crash.

Da können wir im Velo 54 schon wieder lachen:
Susanne hat den heftigen Crash so gut überstanden wie ich
Im Bett kann ich mich nicht drehen, auf der linken Seite schlafen geht überhaupt nicht. Ist vielleicht doch was gebrochen oder ausgekugelt? Am nächsten Tag habe ich keine Kraft im linken Arm, kann nichts heben oder tragen. Selbst den Schraubverschluss der O-Saftflasche kriege ich nicht auf. Darum fahre ich doch lieber ins Krankenhaus. Nach drei Stunden Warterei Entwarnung: Nur eine heftige Prellung meint die behandelnde Ärztin. Ich atme durch und spüre Schmerzen. Doch es hätte schlimmer ausgehen können, viel schlimmer.

Die Moral der Sturzstory an diesem normalen unnormalen Samstag: Es kann Dich fast immer, fast überall völlig unvermittelt erwischen. Für mich vielleicht ein Denkzettel zur rechten Zeit. Für Susanne eine Warnung, Richtungswechsel anzuzeigen. Zum Glück habe ich keine Angst, demnächst wieder schnell Rad zu fahren. Überholmanöver werde ich künftig aber bestimmt mit noch mehr 7. Sinn angehen.



Cyclassics mit dem Moulton

Hammer! Geil! Respekt! Wahnsinn! Toll! Schick! Wow! Gute Fahrt...! Noch nie bin ich bei den Cyclassics so oft gelobt und mit guten Wünschen bedacht worden. Das liegt aber nicht an mir, sondern an dem Fahrrad, das ich über die 100-Kilometer-Strecke gefahren bin.

Denn ich sitze auf einem Moulton TSR9, also mit Neungang-Kettenschaltung, und ziehe damit die Blicke magisch an. So ein Moulton ist ein sehr spezielles Gefährt aus England. Es rollt auf kleinen 20-Zoll-Rädern und hat einen filigranen Gitterrohr-Rahmen. Damit nicht genug: Der vielrohrige Spaceframe ist in der Mitte teilbar, so dass sich das Voder- und Hinterrad für einfacheren Transport separieren lässt. Ein ziemlich abgefahrenes Gerät mit guten Allroundeigenschaften. Aber damit wirklich ein 100 Kilometer langes Radrennen fahren?

Lange habe ich gezögert. Radrennen wie die Cyclassics fährt man schließlich mit Rennrädern, nicht auf spinnerten Konstruktionen von der Insel. Aber ich mag es ja, das Schräge, Ungewöhnliche, Überraschende. Und so habe ich am Sonntagmorgen meine Startnummer 3075 samt Transponder am geraden Lenker des Moulton und nicht an den Rennvorbau meiner Trek-Maschine fixiert. Ein Experiment. Werde ich die 100 Kilometer schaffen? Und wenn ja, wie?

Mit gemischten Gefühlen rolle ich in den Startblock E. Schuhplatten schaben nervös über den Asphalt. Es ist kühl; nur rund zwölf Grad. Trotzdem sind viele Mitstreiter kurzärmlig erschienen – brrrr. Engländer oder was? Oder Wikinger? Irritierte Blicke fallen auf mein Moulton. In den Gesichtern sehe ich Fragezeichen: Meint der das ernst? Will der hier wirklich mitfahren?

Ja, will er. Und er will auch nicht vom Besenwagen aufgefegt werden. Ein Ordner fragt nach meiner Startnummer. Nur von mir will er sie sehen. Die anderen schaben weiter mit ihren Klickschuhen über den Boden. Zugegeben, zwischen all der sauteuren Kohlefaser-Maschinerie wirkt der antiquierte Moulton-Stahlrahmen mit seinen Winzig-Rädchen wie eine Monty Python-Komödie. Das Rad ist ein Vorkriegs-Doppeldecker mit Holzpropeller auf einen NATO-Flugplatz voller Eurofighter. Was habe ich mir dabei nur gedacht?

Zu spät. Das Feld rollt los. Bevor ich den richtigen Gang finde und rund trete, bin ich fast Letzter. Zum Glück starten ja noch weitere Blöcke hinter mir. Bis zur Köhlbrandbrücke kann ich das hohe Anfangstempo zwischen 35 und 40 km/h halten. Doch ich spüre: Das ist zu schnell. Obwohl mit dem Moulton schon Zeitfahren ausgetragen wurden und Radidole wie Tom Simpson seine Fahreigenschaften lobten, ist es nicht für dauerhaft hohe Geschwindigkeiten ausgelegt. Gut, hinten sitzt immerhin ein modernes Neunfach-Ritzelpaket und der kleinste Zahnkranz sorgt für eine große Entfaltung, doch biodynamisch ist die Sitzposition auf dem Moulton dann doch nicht mit einem Rennrad zu vergleichen.

Erfunden hat das Moulton übrigens Alex Moulton der auch die Federung für den legendären Mini verantwortlich war. Seine Grundidee für Fahrräder mit kleinen Rädern war, dass die zur Optimierung des Abrollkomforts gefedert sein sollten. Gedacht, getan: 1962 stellte Alex Moulton sein erstes Fahrrad im Earls Court London vor, vorne und hinten mit neuartigen Federelementen. Mich faszinieren diese so genannten F-Frame-Modelle und ich habe das Gefühl, dass ich mir bald so einen Oldtimer aus den 60ern anschaffen werde.
F-Frame Moulton aus den 60ern

Bei der Auffahrt über den Köhlbrand nehme ich Tempo raus – zwangsläufig. Das Moulton ist nämlich vollgefedert. Wiegetritt macht keinen Sinn. Hohe Gänge und viel Krafteinsatz auch nicht; die beiden Federelemente kosten einige Watt an Leistung. Also lieber kleine Gänge mit hoher Frequenz treten. Links donnern schnelle Team-Züge mit fast doppeltem Tempo an mir vorbei. Immer wieder höre ich von hinten das typischen Rauschen hochprofiliger Carbonfelgen. Das klingt fast bedrohlich. Unwillkürlich fahre ich noch ein Stückchen weiter nach rechts. Moulton-Fahrer hören mehr, sehen mehr, genießen mehr.

Jetzt, wo sich die Felder sortiert haben, geht es los. Immer wieder höre ich Kommentare: „Toll, hau rein, was für ein schönes Rad, Respekt, nicht schlecht, cool, saugeil, Hammer...“ Oder auch: „Oh, ein Moulton, wunderbar“, da spricht der Fachmann. Für Fahrrad-Aficinados und Auskenner sind Moultons absolute Kultvelos. Andere wiederum können mit der britischen Zweirad-Ikone wenig anfangen: „Verrückt, ein Klapprad“, solche Einschätzungen höre ich ebenfalls mehrfach. Klapprad, das klingt normalerweise abschätzig, fast wie eine Beleidigung, ist im Zusammenhang mit einem Radrennen aber wohl ein Kompliment. Tatsächlich ist das Moulton ein Zerlegerad. Die Gitterrohrkonstruktion lässt sich in der Mitte mit wenigen Handgriffen auseinanderbauen – genial. Dennoch ist der Rahmen sehr steif und der Vortrieb für ein so klein bereiftes Rad ausgesprochen gut.

Wir sind in Niedersachsen. Es wird wellig. Das bringt neue Erkenntnisse. Bergab erreicht das Moulton verblüffender Weise knapp 50 km/h; nur treten ist nun nicht mehr drin. Dafür reicht die Übersetzung nicht. Hektische Tritte bringen mir zudem zu viel Unruhe ins Rad – keine gute Sache, wenn von hinten Konkurrenten mit 60 km/h und mehr vorbeiziehen. Ich freue mich über den blauen Himmel. Das Wetter ist besser als vorausgesagt. Von vorn rechts weht ein scharfer Südwester.

Spätestens jetzt bin ich im Race-Mode und suche immer wieder den Windschatten von Überholern, um mich an sie dran zu hängen. Das geht immer mal ein paar Kilometer gut. Dann brauche ich wieder Erholung, nehme raus, fahre mein Erholungstempo, bevor ich mich wieder an einen D-Zug ankoppel. Keine Ahnung wie mein Temposchnitt ist; wahrscheinlich irgendwas um die 30 km/h zu diesem Zeitpunkt. Im Augenwinkel beobachte ich immer mal wieder ein süß-saures Lächeln, das zwischen Verblüffung und Ablehnung changiert. Einsames England-Eisen unter lauter Profi-Plastik, das mag auf den einen oder anderen ein Affront sein.

Schon bei Kilometer 30 habe ich plötzlich Sehnsucht nach der Verpflegungsstelle. Da ich keinen Flaschenhalter am Moulton habe (Schraubenlöcher dafür sind aber vorgesehen) steckt meine Trinkflasche in der linken Trikottasche. Einhändig zu fahren ist auch nicht ganz so einfach wie auf dem Rennrad, freihändig grenzt an Akrobatik. Ein Rennlenker wäre nicht schlecht. Es gibt Moulton-Modelle, die werden damit ausgeliefert. Mein TSR2 ist aber ein Standard-Modell.

Rechts taucht eine Tafel mit der Aufschrift 50 auf. Aha, die Hälfte ist geschafft. Bald kommt die Verpflegung. Dort muss ich was essen und die Buddel auffüllen. Aber zum Depot zieht sich die Strecke. Ich bin nun meist als Alleinfahrer unterwegs. Mein Hintern schmerzt. Die Überholer sind zu schnell. Oder ich auf einmal zu langsam. Keine Ahnung. Dann ist sie da, die Verpflegungsstelle.
Stopp an der Verpflegungsstelle

Gierig stürze ich zwei Becher runter und lasse meine Flasche auffüllen. Dann hier und da ein Klönschnack – herrlich, wenn man nicht auf seinen Schnitt achtet und keine Zielzeitpläne verfolgt. Nach rund zehn Minuten sitze ich wieder im Sattel. Mann, was eine Pause doch bewirken kann. Ich fühle mich viel frischer, kann mich immer mal wieder kurzzeitig an schnelle Züge anhängen und plötzlich sind wir schon in Harburg. Harburg! Da ist das Ziel nicht mehr weit.
Im Ziel nach 100 km


Elbbrücke, Wilhelmsburg, Freihafen, wow geht das zügig. Doch in der Hafencity haut mir der Gegenwind nochmal einen heftig in die Fresse. Ein Muntermacher nach dem Motto: Junge, bleib wach. Genieße die Strecke. Gleich bist Du im Ziel. Der windige Weckruf wirkt. Ich stelle nochmals alle Antennen auf Empfang, sauge die Anfeuerungen am Hauptbahnhof und Jungfernstieg auf. Dann Rasselkonzert auf der Mönckebergstraße. Was für eine Kulisse! Herrlich! Hamburg hat ein geniales Rennsportflair. Dann ist er da, der Zielbogen. Geschafft. 100 Kilometer liegen hinter mir. 100 Kilometer auf eine britischen Fahrrad-Ikone. 100 Kilometer auf 20-Zoll-Rädern. 100 Kilometer, die ich so schnell nicht vergessen werde.


Nordica: Unterwegs auf Rennrad-Klasikern

 L'Eroica, Klassikerausfahrt, In Velo Veritas - sportliche Ausfahrten mit klassischen Rennrädern werden immer beliebter. In Nordeutschland steckt der Vintage-Radsport noch nict in den Körbchen-Pedalen. Mit der Nordica ist aber ein viel versprechender Anfang gemacht. Am Sonntag, 22. Juni, starteten wir bereits zum vierten Mal mit alten Stahlrennrädern zu einer Ausfahrt ab Elmshorn.

Es quitscht. Es schabt. Es kracht und es rauscht. Das Rauschen ist der Wind, der kräftig die Baumkronen hin und her wiegt. Er weht kräftig aus Nordwest. Ohne Hindernisse kommt er vom Meer, dann braust er übers platte Land und erzeugt Herbststimmung mitten im Juni. Wind ist typisch für die Nordica. Der Name lehnt sich an die L'Eroica, der Mutter aller Vintage-Rennradrennen. Statt Salami und Vino Rosso gibt es bei der Fahrt durch Schleswig-Holstein grüne Wiesen, grasende Kühe, fliehende Pferde, wehende Wolkenfetzen -  nordischen Charme eben. Gegessen wird auch. In einer rustikalen Gaststätte, die mal eine Tankstelle war, gibt es Rollmops, Bratkartoffeln und Götterspeise.

Aber darum kommen sie nicht, die Männer auf ihren Peugeots, Le Jeunets, Giants und Gios'. Nein, sie sind hier, um etwas Flair längst vergangener Radsporttage aufzusaugen. Darum fahren sie auf dünnrohrigem Altmetall statt auf dicken Aluprofilen oder neumodischen Carbonfasern. Sie schalten umständlich an Hebeln, die am Rahmen sitzen. Anstelle in moderne Klickpedale fädeln sie ihre schmalen Lederschuhe in Metallkörbchen und ziehen sie mit Riemen fest. So war es früher. Und so ist es noch immer bei der Nordica: Eine Ausfahrt mit Rennrädern, die mindestens 30 Jahre alte sind und aus Stahl gefertigt wurden, hat ganz besonderen Charme. Besonders für diejenigen, die keine Bestzeiten mehr fahren wollen, sondern einen Schnack unter Freunden wilden Verfolgungsrennen vorziehen.

Jetzt quitscht es wieder. Das sind die Bremsen. Jedes Mal wenn der Sportkamerad auf seinem blauen Peugeot-Renner aus den 70er Jahren an den gelochten Bremshebeln zieht, ertönt ein helles, durchdringendes Geräusch. Die Bremse stammt von Mafac, wird per Mittellzug gesteuert und nennt sich viel versprechend Racer. Doch das Getöse, das sie verursacht, erinnert eher an einen Güterzug, der nachts auf einem Bahnhof rangiert als an Eddy Mercks, der einen Alpenpass herunter rast. Aber so ist das eben mit altem Material.

Der Zahn der Zeit hat die Bremsgummis ausgehärtet. Wenn die Backen sich an die Felge legen quitscht es. "Ersetzt die Klingel", scherzt der Peugeot-Fahrer. Stimmt. Passanten springen jedenfalls rechtzeitig Richtung Graben, wenn sich von hinten der Güterzug der kein Güterzug ist nähert, sondern ein Radfahrer.

Dann schabt es immer wieder. Meistens nach einer Kreuzung. Das sind die Pedale, die mit dem Metallbügel lautstark über den Asphalt schleifen. Denn in historische Rennpedale klickt man nicht einfach ein. Hier ist Geschick gefagt: anfahren, rollen lassen, dann die Füsse einfädeln. Dabei passiert es oft, dass ein Bügel den Boden berührt - kein Problem, so lange man dabei keine Kurve fährt.

Kaum in den Pedalen, ist manchmal ein sattes Krachen zu vernehmen. Das ist das Ritzel. Wer unter Last schaltet, erzeugt fiese Geräusche. Das ist bei modernen Rennrädern nicht anders. Doch auch die richtige Bedienung der Rahmenschaltung fordert viel mehr Geschick als bei einer aktuellen Rennmaschine mit Ergopower Hebeln. Bis der Antrieb geräuschfrei arbeitet, ist eine gefühlvolle Justage des Schalthebels gefragt. Könner kriegen das blitzschnell hinten, Anfänger nisteln schon mal länger am Unterrohr herum, bis sie vollen Druck auf die Pedale geben können.

Und auch eine Panne in Vintage-Kreise hat so ihre Eigenarten. So fährt Rudi sich plötzlich einen Platten in die Schlauchreifen seiner roten Chinellis. Schlauchreifen sind auf die Felge geklebte Reifen, in die der Schlauch eingenäht ist. Profis fahren so was noch heute. Schlauchreifen erlauben mehr Luftdruck und geben mehr Gefühl für die Straße. Aber was macht man bei einem Platten? Rudi macht es vor. Mit wenigen Handgriffen hat er das Hintterrad in der Hand, zieht gekonnt das Gummi von der Felge und walkt genau so geschickt den neuen Reifen wieder darauf. In weniger als fünf Minuten sitzt er wieder im Sattel. Das geht sogar schneller als mit normalen Schläuchen in den Decken.


Nach 80 Kilometern sind die Klassik-Freunde im Ziel ihrer (Zeit)reise. Eine Reise, die viel mit Gefühl, Sport und Kameradschaft zu tun hat. Eine Form der Reise, die hoffentlich noch mehr Anhänger findet. Die nächste Klassik-Tour ab Elmshorn ist Ende September geplant.



Wolfgang und sein bevorstehendes Amerika-Abenteuer

Was für ein Start in den Mai. Die Sonne scheint und es weht ein frischer Wind. Beste Bedingungen für Trainingsfahrten mit dem Rennrad. So habe ich den ersten Mai zum Tag der Beinarbeit genutzt, bin an die Ostsee geradelt und gleich wieder zurück. Samstag war RTF in Bremervörde. Diese Art der Rad-Veranstaltungen sind immer gut für nette Gespräche und interessante Begegnungen. So wie mit Wolfgang, der mir spannend von seiner bevorstehenden Langstreckentour berichtet.

Wolfgang hat sich beim Rahmenbauer Hardo Wagner in Hannover ein schönes Randonneur-Rennrad aus Stahl aufbauen lassen. Randonneur-Räder zeichnen sich durch Schutzbleche, Gepäckträger, Beleuchtung mit Nabendynamo und eine komfortorientierte Geometrie aus. Das sind Räder für die ganz langen Touren. Räder, mit denen man die Welt umrunden kann. Räder für die Ewigkeit.

Mit so einem Rad steht Wolfgang nun vor mir und erzählt von seinem Vorhaben. Durch Alaska und Kanada soll es gehen. 4000 Kilometer in sieben Wochen. Start ist im Juni. Fasziniert höre ich zu und werde etwas neidisch. So eine Tour würde ich auch gerne machen.  Wolfgang erzählt von Bären, vor denen er seine Verpflegung verstecken will und von seinem Zelt, vom Wetter, das ihn erwartet und von den einsamen Bergpässen in den Rockies. Man, der Mann hat es gut.

Wolfgang ist ein erfahrener Reiseradler. Ähnliche Touren hat er schon durch Norwegen zum Nordkap gemacht. Er kennt sich aus mit der Einsamkeit der Landstraße, plötzlichen Wetterumschwüngen und den Widrigkeiten so einer Mammutstrecke. Aber was ist das alles schon gegen die Naturschönheiten und Erlebnisse auf so einer Radtour durch einsame Landschaften. Wie gerne würde ich ihn durch Alaska und Kanada begleiten. Aber so reicht es wenigstens für einen 15minütigen Plausch im Vörder Land zwischen Rapsblüte und alten Eichen und ein paar "Was-Wäre-Wenn-Träumereien".

Wolfgang nutzt die RTF Bremervörde, um sich für sein Amerika-Abenteuer einzurollen. Leider habe ich keine Telefonnumer von ihm, denn auf seine Berichte und Fotos wäre ich gespannt. Wolfgang, solltest Du das hier zufällig lesen, kannst Du Dich ja vielleicht melden.

Erstaunt bin ich wieder darüber, wie schön und schnell sich mein über 20 Jahre altes Hercules MR1 bewegen lässt. Die Ex-Profimaschine rollt und schaltet prima. Auf groben Streckenabschnitten bietet der Stahlrahmen hohen Federungskomfort. Zumindest bilde ich mir das ein. Und so erreiche ich nach 78 Kilometern zügig das Ziel und freue mich über den gelungenen Ausflug.


Saisonstart bei den RTF: Bekenntnisse eines Spätstarters

Die RTF-Saison ist gestartet, RTF sind vom Bund deutscher Radfahrer ausgeschriebene Veranstaltungen, bei denen man für Radfahrer ausgeschilderte Strecken unterschiedlicher Länge fahren kann. RTF steht für Rad-Touren-Fahrten. Das hört sich harmloser an, als RTF tatsächlich sind. Denn ein Großteil geht die Strecken zwischen 45 und 160 Kilometer eher ambitioniert mit hohen Durchschnittsgeschwindigkeiten an; an der Spitze, also in den ersten Startgruppen, gleicht eine RTF manchmal sogar einem Radrenen, obwohl sie genau das nicht sein sollen. Ich bin schon verschiedene RTF ganz vorne mitgefahren und habe dabei puren Rennstress erlebt. Davon habe ich Abstand genommen, bin aber in den vergangenen Jahren oft um neun am Start gewesen und mit größeren Pulks gestartet. Denn alle wollen früh los: Strecke abreißen, Zielbier und ab nach Hause zu Familien und anderen Verpflichtungen. Warum eigentlich? Das RTF-Startfenster reicht in der Regel von neun bis elf Uhr. Aber bereits um 9.30 Uhr starten nur vereinzelte Nachzügler, um zehn fast gar keiner mehr. Und um elf Uhr ist nun wirklich tote Hose. Schade!
Verpflegungsstand: Mit Eintreffen der ersten Gruppen
geht es oft hektisch zu. Bild: bs 
 Ich bin bekennender Spätstarter. So kann ich zu Hause noch gemütlich frühstücken, was auf einem Sonntag als familienfreundliche Geste wahrgenommen wird. So habe ich das auch heute bei meiner ersten RTF des Jahres gemacht. Um neun aufgestanden. Genau jetzt, dachte ich um diese Uhrzeit, drängeln sich alle bei der Rudi-Bode-RFT hinter dem Startband. Ich schmiere mir Brötchen, gieße Kaffee auf, genieße den Morgen mit meiner Frau. Um zehn setzte ich mich aufs Rennrad und fahre die acht Kilometer zum Startort. Der wirkt wie erwartet verwaist. Kaum zu glauben, dass  hier vor eineinhalb Stunden 900 RTF-Starter auf die Strecke gingen. So ruhig ist es hier. Auch die Offiziellen wirken erstaunt, dass ich noch los will. "Jetzt noch?", fragt einer ungläubig an der Anmeldung. Ja, jetzt noch.

RTF Rudi Bode: Gedränge am Start, typisch für
eine Rad Touren Fahrt. Bild: bs
Ein paar Minuten später sitze ich auf meinem Renner und pedaliere gegen den Wind. Fehlender Windschatten ist natürlich das große Problem des Spätstarters. Aber mich stört das heute nicht, obwohl es recht kräftig von vorn bläst. Denn so habe ich die Landschaft und den Himmel für mich. Es kostet erheblich weniger Konzentration, alleine statt im Pulk zu fahren. Und man sieht viel, viel mehr von der schönen Frühlingslandschaft. Außerdem fällt es mir leichter, mich in Gedanken zu vertiefen. Ja, ich fahre ganz gerne mal alleine. Auch auf einer RTF, die ja eigentlich eine gesellige Gruppenveranstaltung ist. 
Idylle pur: So erlebt der Spätstarter seine RTF - viel Natur
und mit Blick auf die Schönheiten der Strecke. Bild: bs
So fliegen die Kilometer dahin. An der zweiten Kontrollstelle in Gülzow treffe ich auf Bekannte und Freunde. Nun also doch in der Gruppe. Deutlich schneller als zuvor komme ich voran. Das liegt am Rückenwind und an der Gruppendynamik. Es kommt wie es kommen muss. Die engagierte Gruppe fährt, je näher das Ziel kommt, ein kleines Privatrennen aus. Ohne mich. Zehn Kilometer vor dem Ziel lasse ich mich zurück fallen und fahre wieder mein eigenes Tempo. So schließt sich der Kreis. So wie ich den Start verlassen habe, so erreiche ich nun das Ziel. Alleine. Und das ganz bewusst. 










Pankt Saulopoly Ghetto Crit: Nächtlicher Husarenritt
Laut stampft Hip-Hop über das alte Firmengelände. Ein aggressiver Sound. Klagemusik einer benachteiligten Subkultur. Wütend prallt er gegen Backsteinwände und wabert weiter durch finstere Gassen. Es riecht nach verbranntem Holz, Bier und Schweiß. Aus einer Tonnen lecken Flammen an der Dunkelheit. Endzeitstimmung wie im Film "Die Klapperschlange". Bronx? 8 Mile Detroit? South Central LA?Mitnichten? Die surreale Szene spielt mitten in Hamburg-
Altona. Auf dem Gewerbeareal im Zentrum der Stadt findet das Ghetto Crit der Sankt Paulopoly Alleycat statt. Die Szene liebt den US-Slang. Crit ist nichts anderes als ein Kriterium, also ein Radrennen auf einem Rundkurs. Nur das eben nicht um einen Kirchturm mit normalen Rennrädern ausgetragen wird, sondern mit Fixies in einer Ghetto-Atmophäre. Mehr noch: Die Königsdisziplin heißt "Brakeless" - also Maschinen komplett ohne Bremsen. Verzögert wird einzig durch die starre Nabe. Wem das nicht geheuert ist, startet mit Freilauf, Schaltung und Bremsen in einer eigenen Kategorie. 

Ausgeschrieben war das Ganze via Facebook und stieß dort auf große internationale Resonanz. Schon am Nachmittag rollte beispielsweise ein mit der Rolle lackierter Mercedes W 123 in Strechversion aus Holland samt Anhänger durch die Stadt. Auf dem Trailer stapelten sich die Rennräder für das Ghetto Crit. Wer von so weit anreist, hat Ambitionen. Und es zeigt, wie bedeutend das Ghetto Crit für die Fixie-Szene ist. Zusammen mit der Alleycat steigt das Pankt-Saulopoly-Wochenende nun endgültig zu den wichtigsten Veranstaltungen für Starrgang-Fans in Europa auf.

Der offizielle Startschuss für die Fixie-Festivitäten fällt um 19 Uhr vor den Deichtorhallen mit Start der Critical Mass. Rund 1000 Fahrradfahrer versammeln sich zwischen Spiegel-Zentrale, ZDF-Studio und Abendblatt-Highflyer - einer der bislang stimmungsvollsten Treffpunkte der monatlichen CM-Ausfahrten. Ungewöhnliche viele Single-Speed-Räder und Fixies sind dieses Mal dabei. Kein Zweifel: Pankt Saulopoly hat viele, viele auswärtige Teilnehmer nach Hamburg gebracht.

Durch Wallringtunnel, Innenstadt geht es nach Winterhude und weiter über Alsterdorf Richtung Altona. Pünktlich zum Crit-Rennstart erreicht die CM den Austragungsort in der Friedensallee. Schnell löst sich die Masse auf; es bleibt der harte Kern. Und der bekommt einiges geboten. Denn wie die Rennfahrer über den winkligen Kurs düsen, verdient großen Respekt. Das ist Rennsport pur. Denn es geht nicht nur um scharfe Ecken und fiese Schikanen, sondern die Räder müssen auch über tückische Bodenwellen und Schlaglöcher gelenkt werden. Und das - wie erwähnt - ohne Bremsen.

Starke Strahler tauchen die Schlüsselstellen in gleißend helles Licht. Flatterndes Trassierband hilft bei der groben Orientierung. Noch ist keiner Zusehen. Doch dann schießt plötzlich der Führende um die Ecke. Er treibt das Rad mit starker Schräglage aus der Kurve auf die Gerade, beschleunigt sein Fixie mit kraftvollen Bewegungen und schießt mit Wahnsinnstempo haarscharf an einem geparkten Auto vorbei in die nächste Linkskurve. Dort treibt es ihn weit nach rechts ganz dicht an die Fabrikmauer. Mit zehn Meter Abstand folgen zwei Konkurrenten und kämpfen ehrgeizig um Positionen. Start-Ziel liegt in einer engen Gasse. Links ein eisernes Tor, rechts parkt gleich ein halbes Dutzend Citroen DS einer französischen Oldtimer-Werkstatt. Ob der Betreiber weiß, wie teuflisch nah die Rennfahrer den Göttinnen kommen?

 All das passiert verblüffend leise. Anders als bei normalen Rennräder sind weder Freilauf-Klickern und Schaltgeräusche noch Bremsenschleifen zu hören. Fixie-Rennen sind lautlose Rennen -faszinierend. Auf den Geraden erreichen die Schnellsten Geschwindigkeiten von 35 km/h und mehr. 

Und nicht nur selbstgebaute Stahlrenner kommen zum Einsatz, sondern auch edle Maschinen aus Kohlenstoff von Kultfilmen wie 8bar aus Mailand. Kein Zweifel: Trotz der Untergrundatmophäre ist dieses Ghetto Crit ernster Rennsport. Trotz Hip-Hop und Lagerfeuer.

Quer-Park-Ein (QPE): Crossrennen der ganz besonderen Art

Bereits zum sechsten Mal fand gestern Abend ein Lauf der immer beliebter werdenden QPE-Reihe in Hamburg statt. QPE steht für Quer-Park-Ein und ist eine mit viel Herzblut organisierte Reihe von Crossrennen durch Parkanlagen, Gehölze und andere urbane Offroad-Gebiete. Dieses Form der minimalistischen und buchstäblichen erdigen Radsportveranstaltung bekommt immer mehr Zuspruch. Völlig zu recht! Gestern nun fand QPE zum ersten Mal in der Dunkelheit im Hamburger Stadtpark statt. Wie das aussieht, zeigt mein kurzer Videoclip.





P-CTF Billetrail: Die beste Offroad-Strecke im Großraum Hamburg

Schuld ist Matthias, mein Freund und Kollege. Er wohnt östlich von Hamburg nahe der Bille und hat mich überredet, für meinen Radportclub SC Hammaburg  eine Permanente-CTF auszuarbeiten. Gesagt, getan: Wir haben die Geländestrecke mehrfach abgefahren, mit GPS-Geräten getrackt, fotografiert, Notizen gemacht und schließlich einen kurzen Film über den Billetrail gedreht. P-CTF sind vom Bund deutscher Radfahrer (BDR) ausgeschriebene Fahrten durchs Gelände. Wer die 31 Kilometer lange Strecke entlang der Bille und durch den Sachsenwald absolviert, bekommt auf Wunsch BDR-Wertungspunkte gut geschrieben.

Mehr Infos findet Ihr hier. Der Billetrail zeichnet sich durch seine landschaftlichen Schönheiten sowie seinen technischen Schwierigkeitsgrad aus. Für Anfänger ist er nicht geeignet, sondern nur für erfahrene Cross- und MTB-Fahrer. Im Norden Deutschlands dürfte der Billetrail die härtetste P-CTF überhaupt sein. Am besten, Ihr seht selbst:


Grenzerfahrung: Mit dem Rennrad von Sachsen nach Tschechien

Ich war im Erzgebirge. Das liegt südlich von Dresden. Eine verlassene Gegend, also toll zum Radfahren. Da mein Rennrad im Kofferraum lag, nutze ich die Gelgenheit, hier die RTF Colmnitz Permanente des Colmnitzer Sportvereins abzufahren. Eine Radtour durch die tiefste Provinz.

Startort und Stempelstelle war zu dem Zeitpunkt noch eine idyllische Produktionsstätte für Weihnachtsbaumschmuck, der typisch ist fürs Erzgebirge. In einem großen Haus wurde hier hergestellt, was auf vielen Weihnachtsmärkten zu finden ist: Räuchermännchen, Strohsterne, Baum- und Krippenschmuck. Leider hat der Betrieb seine Glanzzeit hinter sich und kam nach der Wende nicht mehr richtig auf die Füsse - ein typisches Schicksal für die tiefe ostdeutsche Provinz. Während die nicht allzu entfernt liegenden Städte Dresden und Leipzig aufblühen, verändert sich die Dinge im Erzgebirge nur sehr langsam oder überhaupt nicht. Der rostende Barkas-Lieferwagen, an den ich mein Rennrad bei einer pause gelehnt haben, liefert dazu den fotografischen Beweis.

Zum Rennradfahren ist die Gegend ideal. Die RTF-P führt Richtung Süden über idyllischen Nebenstraßen und führt heran bis an die tschechische Grenze.
Der Ausflug nach Tschechien ist mir natürlich einen Umweg wert. Bei Zinnwald rolle ich ohne Kontrolle über die Grenze, schaue mich kurz um in einem der typischen Vietnamesen-Grenzläden und schwinge mich wieder in den Sattel. Rund zehn Kilometer geht es über tschechisches Gebiet, auch 20 Jahre nach Glasnost ein immer noch unheimliches Gefühl.

Kurios finde ich, dass ich mein Trek-Rennrad vor vielen Jahren mal bei einem Händler in Prag gekauft habe. Für meinen Alurenner ist es also eine Art Rückkehr, obwohl er aus dem Land des einstigen kapitalistischen Erzfeindes stammt. Damals war es noch möglich, bei Mitnahme in die Bundesrepublik die Mehrwertsteuer wieder zu bekommen. Ein unschlagbarer Deal, der das Rad über 1000 Mark billiger machte. Nach rund 45 Minuten bin ich nach Graben-Überquerung einer kleinen Fußgängerbrücke wieder auf der Originalstrecke der P-RTF und fühle mich erleichtert. Obwohl alles legal war, fühlte sich der Ritt durch den Osten merkwürdig an.

Wie bisher schon führt die Strecke durch eine herrliche Landschaft fast ohne Verkehr, mit viel Wald, weiten Wiesen und teilweise giftigen Steigungen.

Nach rund 100 Kilometern stehe ich wieder an dem Kunsthandwerkerhaus und verlade mein Rad. Den RTF-Stempel hatte ich vor Abfahrt in meinen BDR-Ausweis gedrückt bekommen. Dazu musste ich den zuständigen RTF-Wart vorher per Telefon herbei bitten, was der aber mit großer Freundlichkeit tat. Inzwischen hat die RTF-P übrigens einen neuen Startort bekommen. Einiges ändert sich eben doch. Auch im verschlafenen Erzgebirge.



Nachts im Wald


Verdammt! Wo ist der Weg? Am Wochenende war der Trail doch noch da. Aber am Wochenende war es auch hell. Jetzt ist es dunkel, stockdunkel. Verdammt, ich sehe keinen Trail, keine Spuren. Nichts. Nur Laub, Äste, Pilze, Steine, aber keinen Trail. Dabei leuchten die beiden Frontscheinwerfer an den Crossrädern von Matthias und mir den Wald eigentlich bestens aus. Doch wo es langgeht, müssen wir trotzdem oft erraten, probieren und manchmal umdrehen. Besonders schönes, helles und weit leuchtendendes Licht wirft meine Lupine Betty in die stockfinstere Nacht. Eine perfekte LED-Leuchte.



Eine nächtliche Wald-und-Wiesentour in einer lauen Oktobernacht ist eine ganz besondere, weil sinnliche Erfahrung. Es wird ja früh dunkel dieser Tage. Bald droht auch noch die Zeitumstellung für die Wintermonate. Wann dann noch Radfahren wenn man berufstätig ist? Im Dunkeln natürlich. Eine Tour entlang der Bille und durch den Sachsenwald nach Sonnenuntergang steht schon lange auf unserer Agenda. Heute war es so weit.



Zur Tagesschauzeit fahren wir los. Rein in die schwarze Nacht. Schon auf den ersten Metern merken wir, wieviel langsamer wir gegenüber unserem normalen Tempo sind. Die Schnittgeschwindigkeit sinkt von zirka 15 km/h, wie sonst üblich, auf nur noch etwa zwölf km/h. Für zügigere Fahrweise fehlt uns der vorausschauende Blick. Bis auf den schmalen Lichtkegel bleibt alles im Dunkeln - eine echte Herausforderung. Plötzlich springen 20 Meter vor uns zwei große Rehe durchs Unterholz. Bären und Wölfe wurden an der Bille zum Glück lange nicht mehr gesichtet.



Besonders die Geräusche nehmen wir nachts viel intensiver war. Die Autobahn 24 ist schon weit vorher zu hören. Ein permanentes Rauschen dröhnt durch den Wald. Je näher wir kommen, desto lauter wird es. Wir tasten uns weiter. Mehrmals verlieren wir die richtige Spur und tasten uns vorsichtig durchs Unterholz. Nein, die pure Freude ist das nicht. Wann endlich kommt der bereite Forstweg. Bis dahin dauert es gefühlt eine kleine Ewigkeit. Dazu kommen ein paar weitere Verfahrer abseits unseres Trails. Schön das wir beide ein GPS-Gerät am Lenker haben. So sehen wir sofort, ob und wie weit wir vom richtigen Weg entfernt sind.



Dann erreichen wir den Waldweg. Hier können wir schneller fahren. Der Weg ist gut erkennbar. Zügig  kommen wir voran. An einer Lichtung knipsen wir unsere Lampen aus und schauen in den klaren Sternenhimmel. Obwohl zu viel Störlicht aus dem Westen, also aus Hamburg, den Blick beeinträchtigen, stehen wir unter einem grandiosen Sternenzelt. Ohne Lampen wären wir verloren; Wege sind auch nach Gewöhnung der Augen an die Dunkelheit nicht zu erkennen. Irgendwie bedrohlich.



Nach rund 25 Kilometer beenden wir unserer Nachtexperiment. Fazit: Mit guten Scheinwerfer kann man durchaus nächstens schwierige Offroad-Touren fahren. Uneingeschränkten Spaß macht das aber nicht. Besser man hält sich an die breiten Forstwege. Dort kommt man zügiger und mit mehr Spaß voran.

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