Federzeichnung
englisch: Pen drawing; französisch: Dessin à la plume; italienisch: Disegno di penna.
Richard Harprath und Friedrich Kobler (1979)
RDK VII, 970–1000
I. Definition, Arten, Allgemeines
Eine F. kommt dadurch zustande, daß ein flüssiges Zeichnungsmittel, die Tinte, mit einer Feder auf die Zeichnungsfläche aufgetragen wird. Die Feder ist – wie der Pinsel – ein übertragendes Mittel. Die nasse Tinte dringt in die Zeichnungsfläche ein, wird also nicht nur auf die Oberfläche aufgetragen, wie es bei den trockenen, färbenden Zeichnungsmitteln Silberstift, Bleistift (RDK II 884–890), *Kreide, Rötel oder Kohle geschieht, die deswegen leicht verrieben werden können. Ihnen gegenüber hat die F. den Vorteil, daß sie außer bei der bewußt ausgeführten Lavierung (und bei starken Wasserschäden) kaum verwischt werden kann. Die intensivere Verbindung der Tinte mit dem Grund hat allerdings auch zur Folge, daß Korrekturen schwierig ausführbar sind, nämlich nur durch Rasur oder durch Deckweiß bzw. eine Deckfarbe im Ton der Zeichnungsfläche.
Neben der reinen F. (Abb. 2, 3, 12, 14, 16) gibt es als Hauptgruppen die lavierte F. (Abb. 4, 5, 7–10, 13), die F. mit Höhung in Weiß oder anderen Farben, auch in Gold (Abb. 4, 7, 11), F. in mehreren, verschiedenfarbigen Tinten, F. auf farbigem Grund (Abb. 4, 5, 7, 11) und die mit Wasserfarben kombinierte F. (Abb. 13, 15).
Die F. ist zwar nicht die älteste Art der Zeichnung, doch wurde sie in historischer Zeit am meisten gepflegt. In ihren technischen Voraussetzungen ist sie der Schreibkunst sehr verwandt und war von Anfang an mit ihr aufs engste verflochten, bevor es sie auch als selbständige Gattung neben der Textillustration und der Randzeichnung seit dem Spät-MA gab.
Die technischen Voraussetzungen, hauptsächlich Feder, Tinte und Zeichnungsfläche, änderten sich zwar im Laufe der Geschichte, blieben aber bis zum 19. Jh. im wesentlichen ähnlich. Moderne naturwissenschaftliche Untersuchungen der für F. verwendeten Substanzen sind unterblieben, aus Scheu vor Materialentnahme. Vor allem Meder [2] experimentierte mit Zeichentechniken und -materialien und verglich seine Ergebnisse mit alten Zeichnungen, um deren Technik zu bestimmen.
Wegen der im Vergleich mit den trockenen Zeichnungsmitteln komplizierteren Übertragung der Tinte ranken sich die Geschichten über die Erfindung der Zeichenkunst (RDK V 1235–1241) nicht um die Feder, sondern um den urtümlicheren, weil unmittelbar einsatzbereiten Stift. Mit der Feder zu zeichnen ist für den Künstler von Vorteil, „che tu fará sperto, pratico e capace di molto disegno entro la testa tua“ (Cennini [1] Kap. 13). In Äußerungen wie der von Francisco de Hollanda überlieferten des Michelangelo, daß das Zeichnen mit der Feder mehr Kunst erfordere als mit dem Meißel [2, S. 36], spiegelt sich ein Aspekt des „disegno“ (dazu Zeichnung).
II. Zeichnungsmittel
A. Federn
1. Rohrfeder
In der griechisch-römischen Antike benutzte man zur Herstellung von Schreibfedern das Schilfrohr (ϰάλαμος, calamus, canna): man bezeichnete mit dem Wort für das Material auch das Instrument selbst. Ein hohles Rohrstück wurde am vorderen Ende spitz zugeschnitten und in der Spitze gespalten (Abb. 1 a,oben und Mitte). Dadurch konnte die Schreibflüssigkeit in der Höhlung des Rohres gehalten werden und floß je nach dem Druck der Hand wieder aus. Später wurden neben dem Schilfrohr (Beleg von 1745: [2] S. 61) auch röhrenförmig wachsende Hölzer verwendet (z. B. Holunder: Joh. Mathesius, Sarepta, Nürnberg 1562, Bl. 104b). Die durch den Spalt und durch die Spreizung entstehende Kapillarwirkung ermöglichte ein gut regulierbares Abfließen der Tinte. Mit einem (doppelten) schulterförmigen konkaven Schnitt der Spitze von beiden Seiten her wurde die Oberflächenspannung des Tintentropfens vor dem Abfließen noch erhöht. Das Eintauchen der Feder in das Tintenfaß ist vom Früh-MA an auch bildlich wiedergegeben (Evangelistenbilder, vgl. Ausst.Kat. Aachen, Karl d. Gr., Taf. 55, 57, 59,79. 81).
Der Charakter der aufgetragenen Linien hängt (außer von der Beschaffenheit der Tinte) von der Federspitze ab, vor allem von ihrer Abschleifung. Durch sie ergeben sich dünnere Haarstriche und breitere Grund- oder Schaftstriche (der Kontrast zwischen ihnen braucht bei der F. wegen der freieren Linienführung nicht so ausgeprägt zu sein wie bei der Schrift). Die Rohrfeder ergibt wegen ihres unflexiblen Materials kräftige, aber etwas starr wirkende Linienstriche.
Ausdrückliche literarische Nachrichten über die Benützung der Rohrfeder als Zeichengerät sind aus dem griechisch-römischen Altertum nicht überliefert, doch sind die wenigen erhaltenen Federzeichnungen sicherlich mit der Rohrfeder gemacht.
Die Anfänge der Textillustration im Abendland dürften für literarische Werke in den Beginn des Hellenismus zu datieren sein; für naturwissenschaftliche Texte lassen sie sich schon für das 5. vorchristliche Jh. erschließen (Kurt Weitzmann, Ill. in Roll and Cod. [= Stud. in Ms. Illum., 2], Princeton, N. J. 19702, S. 47). Zu den ältesten erhaltenen Papyruszeichnungen gehören die rot kolorierten Illustrationen zu den Lehren über die Sphären im Pap. gr. 1 des Mus. du Louvre in Paris, 1. H. 2. Jh. v. Chr., eine künstlerisch reizvolle Darstellung von Amor und Psyche in einem Fragment im Museo Archeologico in Florenz, 2. Jh. n. Chr., sowie die Wegführung einer Frau (Briseis?) im Pap. gr. 128 der Bayerischen Staatsbibliothek in München, 4. Jh. n. Chr. (ebd. S. 48–52, Abb. 37, 42f.).
Die Rohrfeder wurde im Lauf des Früh-MA weitgehend von der Kielfeder verdrängt. Isidor von Sevilla nennt das moderne Schreibgerät bereits als gleichrangig neben der Rohrfeder (Etym. VI, 14,3: „Instrumenta scriptoris calamus et pinna“). Anscheinend kam die Rohrfeder aber niemals ganz außer Gebrauch.
Joannes Balbus kennt beide Federarten (Catholicon, 1286, ed. princ. Mainz 1460 [Nachdr. Farnborough 1971], s. v. calamus: „Item secundum Papiam calamus dicitur penna scriptoris“); italienische Zeichnungen vom A. 15. Jh. sind vermutlich mit der Rohrfeder gemacht, so z. B. von Lorenzo di Bicci (um 1370–1427), Lorenzo Monaco (um 1370–nach 1422) und aus dem Donatello-Umkreis [13, 1. Bd. S. XLII]; Guillaume Fichet beschrieb 1472 in seinem Bericht über die Erfindung Gutenbergs die Rohrfeder als altes, die Kielfeder als modernes Schreibinstrument (Bull. de la Soc. de l'hist. de Paris et de l'Ile-de-France 14, 1887, 107). Die Humanisten benutzten die Rohrfeder bewußt wieder als Schreibgerät, um ihre Verbundenheit mit der Antike auch hierin zu dokumentieren (Erasmus von Rotterdam ließ sich von Hans Holbein d. J. um 1523 mit der Rohrfeder schreibend darstellen: Heinr. Alfr. Schmid, H. H. d. J., Taf.bd., Basel 1945, Abb. 19). In der Neuzeit wurde die Rohrfeder immer wieder neben den moderneren Federn verwendet, z. B. von Hans Holbein d. J. (vgl. Paul Ganz, Die Handzchgn. H. H. d. J. Krit. Kat., Bln. 1937, S. XVIII, Kat.nr. 125), von Luca Cambiaso, von Adam Elsheimer (Ausst.Kat. „A. E.“, Ffm. 1966–67, Nr. 126, 139, 142, 152, 165, 175f.), von Rembrandt (Abb. 10), von Giov. Battista Piranesi (Ausst.Kat. „Disegni di G. P.“, Venedig 1978, Nr. 63 und 81; allgemein: [2] S. 60f.; nicht jeder breite Federstrich ist von einer Rohrfeder).
2. Kielfeder
Die Vogelfeder, lat. penna, pinna, von der im Deutschen die Benennung rückwirkend auf die Rohr„feder“ übertragen wurde (umgekehrt bezeichnete Joh. Neudörffer d. Ä. 1544 die Kielfeder als „Ror“: Werner Doede, Schön schreiben, eine K. ..., Mchn. 1954, S. 15f., Abb. 6f.), ist seit dem 6. Jh. literarisch als Schreibinstrument bezeugt (Isidor a.a.O.); sie war vom Früh-MA an bis zur Erfindung moderner Metallfedern vorwiegend gebräuchlich.
Die in den „Excerpta Valesiana“, § 79, und bei Prokopios, Hist. arcana VI, 14–16, toposartig überlieferte Geschichte von den beiden des Schreibens unkundigen Herrschern Theoderich d. Gr. und Justinus I., die zur Unterschrift Schablonen benutzt haben sollen, kann als Anhaltspunkt für die frühe Benützung der Kielfelder dienen – das als „γραφίς“ bezeichnete Schreibinstrument harrt allerdings noch der genaueren Interpretation, der lateinische Autor sagt ausdrücklich „pennam ducebat“ (Wilh. Wattenbach, Das Schriftwesen im MA, Graz 19584, S. 227, hier γραφίς = calamus).
In der frühma. angelsächsischen Buchillustration erscheinen Bildnisse der Evangelisten, die mit einer Vogelfeder schreiben (z. B. cod. Barb. lat. 570 der Bibl. Apost. Vat., 8. Jh., fol. 50v, Evangelist Markus: Zimmermann, Mappe IV Taf. 313 b; Book of Kells des Trinity College in Dublin, Ms. A. 1.6., um 800, fol. 291, Evangelist Johannes: Paks.ed. Françoise Henry, London 1974), in karolingischer Zeit auch in der kontinentalen Buchmalerei (Ebo-Evangeliar in der Bibl. munic. Epernay, Ms. 1, Reims vor 835, fol. 60v, Evangelist Markus: Ausst.Kat. Aachen, Karl d. Gr., Nr. 481, Taf. 81).
Als Material für Kielfedern dienten vor allem Schwungfedern aus den Flügeln der Gänse (vgl. Cennini [1] Kap. 14). Für besonders feine Zeichnungen nahm man auch Auerhahn- oder Rabenfedern ([2] S. 61; vgl. auch Mathesius a.a.O. [Sp. 973]; Charles-Antoine Jombert, Méthode pour apprendre le dessin, Paris 1755, S. 74f.). In den Niederlanden waren Schwanenfedern sehr geschätzt (ein Beleg des 14. Jh. bei W. Wattenbach a.a.O. S. 119; Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst ..., Rotterdam 1678, S. 31; vgl. Jombert a.a.O. S. 75). In der exakten Bestimmung, mit welcher Federart gewisse Zeichnungen oder gar einzelne Linienzüge darin (z. B, bei Rembrandt, vgl. Abb. 10) ausgeführt sind, gehen die Ansichten weit auseinander.
Die Kielfeder wurde ähnlich zugeschnitten wie die Rohrfeder (Abb. 1 a, unten; vgl. Cennini [1] Kap. 14; die Beschreibung des Zuschneidens ist ein Hauptteil der Schreibmeisterbücher, vgl. W. Doede, Bibliogr. dt. Schreibmeisterbücher von Neudörffer bis 1800, Hbg. 1958), der sie ihrer Geschmeidigkeit wegen weit überlegen war.
3. Metallfeder
a. Aus Metall gefertigte Reißfedern (Ziehfedern, Handfedern) sind seit der römischen Antike erhalten. Sie dienen dazu, (bei Rissen) gleichmäßige Linienbreite einzuhalten und erlauben kein freies Zeichnen. Es gibt zwei Arten: die starre, deren breites Blatt am Schreibende so gebogen ist, daß die zwei Flügel parallel zueinander liegen und einen schmalen Zwischenraum für die Tinte lassen (eine solche auf H. Holbeins Bildnis des Nikolaus Kratzer, 1528: H. A. Schmid a.a.O. [Sp. 974] Abb. 51), und die mit Backen, bei der die Strichbreite reguliert werden kann (durch einen Ring bei Dürers Reißfeder: Andr. Grote, der vollkommene Architectus, Mchn. 1959, Abb. 17; mit durch eine Schraube verstellbarer Schlitzbreite, belegt durch ein 1569 dat. Zeichenetui im Kgwb.mus zu Berlin, s. Klaus Pechstein, Anz. des Germ. Nat.mus. Der Name des Attributs „[Ort“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann.] 1970, 96–102, bes. S. 102 Anm. 6; allgemein zu Reißfedern: Franz Maria Feldhaus, Die Technik ..., Lpz. und Bln. 1914 [Nachdr. Wiesbaden 1970], Sp. 1352–54; s. auch Reißzeug).
b. Über die Verwendung metallener Schreibfedern im künstlerischen Bereich ist vor dem 19. Jh. nichts bekannt (so [12] S. 170; allgemein zu Schreibfedern: F. M. Feldhaus a.a.O. Sp. 998 und 999–1003; s. auch Schreibgerät). Erst besondere Erfindungen und industrielle Herstellung im vorigen Jh., die zu ihrer weiten Verbreitung und zur Verdrängung der Kielfeder beitrugen, machten sie auch als künstlerisches Mittel tauglich.
Diese Schreibfedern entsprechen in der Regel nur der Spitze herkömmlicher Rohr- und Kielfedern; sie mußten auf einen eigenen röhrenförmigen Federhalter aufgesteckt sein. Doch gibt es auch Metallfedern zusammen mit dem Halter aus einem Stück (Beispiele aus römischer Zeit im Rhein. L.mus. Bonn erwecken den Eindruck, als übersetzten sie Rohrfedern ins Metall). Die Glätte des Metalls erforderte eine neue Vorrichtung für die Adhäsion der Tinte vor dem Abfließen, die erst durch zusätzliche Löcher oder Schlitze beidseitig an der Schulter und bzw. oder am oberen Ende des Spaltes ermöglicht wurde (Abb. 1 b); James Perry erhielt 1830 das erste Patent für eine solche Erfindung (F. M. Feldhaus a.a.O. Sp. 1002, Abb. 665). Gegenüber der Kielfeder hat die Metallfeder den Vorteil praktisch unbegrenzter Haltbarkeit; die Feder brauchte weder zugespitzt zu werden noch unterlag sie nennenswertem Verschleiß.
Stahlfedern für lithographische Zeichnungen (s. Lithographie) wurden in beschränktem Umfang für F. benutzt; A. W. Hertel, der keine anderen Metallfedern nennt, beschreibt ihren zweckmäßigen Gebrauch (Kleine Acad. der zeichnenden Künste und der Mal. [= Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke, Bd. 134], Weimar 1834, S. 297).
B. Tinten
Unter Tinte für F. versteht man jede färbende Flüssigkeit, die zum Zeichnen (und zum Lavieren der Zeichnung) geeignet ist. Unbedingt notwendig sind kleinste Farbpartikel, um ein gleichmäßiges Abfließen durch den Federspalt zu sichern (der Spalt mußte für unterschiedliche Arten farbiger Tinte verschieden tief geschnitten sein, vgl. den Anonymus Bernensis, De clarea, ed. Rolf E. Straub, Jber. des Schweiz. Inst. f. Kw. 1964, 89–114, bes. S. 98), und ein schnelles Abtrocknen der Flüssigkeit, das die Gefahr des Verwischens ausschließt.
Ma. Rezeptensammlungen geben Tintenrezepte für Schreiber; nach diesen Rezepten hergestellte Tinten werden auch für F. verwendet worden sein. Zu ma. Tinten s. W. Wattenbach a.a.O. (Sp. 975) S. 233 bis 244; Daniel Varney Thompson, The Materials and Techniques of Medieval Painting, London 1956, S. 81–85; Bernh. Bischoff, Paläographie, in: Dt. Philologie im Aufriß, Bln. 1957, Sp. 384; Heinz Roosen-Runge, Die Tinte des Theophilus, in: Fs. Luitpold Dussler, Mchn. und Bln. 1972, S. 87–112; zu Tinten in der Neuzeit [2] S. 62–71.
Im einzelnen:
1. Schwarze Tusche wurde hauptsächlich aus Rußpartikeln von Lampen und Kerzen gewonnen. Aufgetragene Tusche ist nicht wasserlöslich und nicht transparent; ihre schwarze Farbe bleibt auch im Lauf der Zeit unverändert.
Rußschwarz mit Gummizusatz zum Schreiben erwähnt z. B. Vitruv (Archit., VII, 10, ed. Curt Fensterbusch, Darmstadt 19762; für weitere antike Belege vgl. Thes. linguae lat., Bd. 2 Sp. 1092, s. v. atramentum librarium). Laut Heraclius, de coloribus et artibus Romanorum III, 53 (10./11. Jh. [?]; ed. und übers. Albert Ilg [= Quellenschr. f. Kg. und K.technik des MA und der Renss., 4], Wien 1873) dient „atramentum“ „non solum ad usum picturae ... sed etiam ad quotidianas scripturas“. In spätma. Rezepten kommt Rußschwarz zur Tintenbereitung mehrfach vor, vgl. Jehan le Begue, Tabula de vocabulis sinonimis ... (ed. Mary Philadelphia Merrifield, Original Treatises on the Arts of Painting, London 1849, Bd. 1 S. 26f., s. v. fuscus, fumus, fulico vel caligo z. T., ebd. S. 19, s. v. attramentum; s. auch H. Roosen-Runge a.a.O. S. 107 Anm. 7); zu Ruß und Gummiwasser in einer Anweisung v. J. 1535 s. [2] S. 64. – Chinesische Tusche kennt man in Europa seit dem ausgehenden 17. Jh. (ebd.) und hat sie hier auch imitiert (ein Beleg von 1815: Anz. für K.- und Gewerbefleiß 1, 1815, Sp. 51–54).
2. Schwarze Tinte aus der Rinde der Schlehdornen oder anderer Dornsträucher unter Zusatz von „atramentum“ (hier wohl = Vitriol) und Wein gewonnen (H. Roosen-Runge a.a.O. S. 88 und 99), überliefern Rezepte bei Theophilus, De diuersis artibus I, 38 (frühes 12. Jh. [?]; ed. Charles Reginald Dodwell, London ... 1961, S. 34f.), J. le Begue a.a.O. (ed. a.a.O. S. 30) und andere hoch- und spätma. Autoren (H. Roosen-Runge a.a.O. S. 88).
3. Eisengallustinte färbt schwarz, wird aber später durch Oxydation braun. Ein zu hoher Vitriol-Anteil führt zur Auflösung des Papiers („Tintenfraß“).
Eisengallustinten sind seit vorchristlicher Zeit nachweisbar (2. Jh.: Harold James Plenderleith, The Conservation of Antiques and Works of Art, London 1956, S. 64). Isidor von Sevilla (Etym. XVII, 7,38) nennt Galläpfel als Grundstoff der Tintenherstellung (W. Wattenbach a.a.O. [Sp. 975] S. 238ff.). Im Spät-MA sind sie erwähnt bei J. le Begue (mit Vitriol; ed. a.a.O. [Sp. 978f.] S. 30; vgl. auch seine „Experimenta de coloribus“: ebd. S. 61, (s<), und die in seiner Abschrift überlieferte Schrift „de coloribus diversis“ des Johs. Alcherius von 1398: ebd. S. 289, 291, 293) und bei anderen (W. Wattenbach a.a.O. S. 238f.; H. Roosen-Runge a.a.O. S. 112 Anm. 34). Sehr gebräuchlich waren Eisengallustinten bis E. 18. Jh. (s. [2] S. 62 bis 64).
4. Bister wurde aus Kamin- bzw. Holzruß gewonnen. Seine warme Farbe spielt von Rotbraun bis ins Gelbbraun. Bister kann bis zur Papierrückseite durchschlagen, ohne das Material zu zerstören, und bleibt auch bei flächigem Auftrag transparent.
Die bislang früheste eindeutige Quelle für Bister ist J. le Begue, Tabula ... (ed. a.a.O. [Sp. 978f.] S. 24 s. v. caligo und S. 27 s. v. fuligo z. T.; [2] S. 68). Doch reicht die Verwendung sicherlich weiter zurück (vielleicht gehört das Sp. 978 erwähnte Rezept des Heraclius hierher). Zu Zeichenzwecken kommt Bister bis E. 18. Jh. vor, nicht ganz so häufig wie Eisengallustinte.
5. Sepia, der Farbstoff des Tintenfisches, ist am kühlen Braun bis ins Grau spielenden Farbcharakter erkennbar. Daß sie in der Antike als Schreibmittel diente, belegen Aulus Persius Flaccus (Saturae III, 13, ed. W. V. Clausen, Oxford 1966) und Decimus Ausonius Magnus, Epistulae (4.66: Mon. Germ., auct. ant., Bd. 5,2, ed. Carolus Schenkl). Über ihre Verwendung als Zeichenmittel ist vor dem 4. V. 18. Jh. nichts Sicheres bekannt; im Lauf des 19. Jh. wurde auch sie von den chemischen Tinten abgelöst.
Beimischungen machen die Identifizierung der Sepia manchmal schwierig (vgl. [2] S. 69f.): „Die Farbe ist ganz schwarz, mit Wasser vermischt ein wenig grißelich, wird aber mit Bister gut thun“ (Goethe, Tagebuch der Ital. Reise, 6. Oktober [1786] Nachmittags; Sophien-Ausg. III. Abt., 1. Bd., Weimar 1887, S. 271f.). – Darüber, ob Sepia zum Konturenzeichnen diente oder nur zur Lavierung, ist beim derzeitigen Forschungsstand keine Klarheit zu gewinnen. A. W. Hertel nennt Sepia nur bei den „Zeichnungen mit dem Pinsel“ (a.a.O. [Sp. 977] S. 292–95).
6. Tinten aus anderen Grundsubstanzen: Zur Erzielung brauner Farbtöne benutzte man Umbra, gebrannte Grüne Erde, Ocker oder Beimischungen von Rötel [2, S. 71]. Mennige und Zinnober gebrauchte man im MA für rote Tinte (Anonymus Bernensis, ed. a.a.O. [Sp. 977f.]; W. Wattenbach a.a.O. [Sp. 975] S. 244 bis 2 51), im 15. Jh. auch Brasilholz (D. V. Thompson a.a.O. [Sp. 978] S. 120f.), für blaue Tinte diente „lazurium“ (W. Wattenbach a.a.O.). Seit dem 16. Jh. wurden in Deutschland und in den Niederlanden häufiger farbige Tinten benutzt, vor allem in violetten und roten, indigofarbenen sowie gelben und grünen Tönen.
Farbigen chemischen Tinten – vorherrschend violetten und blauen – begegnet man erst seit dem 19. Jh.
C. Zeichnungsflächen für F.
F. finden sich in der Regel auf Papyrus, Pergament oder Papier. Für andere, rauhere Flächen (Holz, Stoff), auf denen sich mit anderen Zeichenmitteln gut arbeiten läßt, eignen sich die genannten Federarten schlecht.
Auf solchen Flächen zeichnete man mit der Feder, wenn im Fortgang der Arbeit die Zeichnung wieder in Wegfall kam oder überdeckt wurde. So zeigen nicht oder nur teilweise geschnittene Druckstöcke für den Holzschnitt noch die Vorzeichnung mit der Feder (oder den mit der Feder übergangenen Abklatsch [?]; vgl. die Bemerkungen bei [2] S. 43 und von Fedja Anzelewsky in [15] S. 86), wie z. B. die Holzstöcke für die 1492/93 geplante Terenzausgabe in Basel, an der Albrecht Dürer beteiligt war [14, Bd. 1 Nr. 1492/ 4ff.]; der Holzstock Albrecht Altdorfers mit der Beweinung Christi trägt auf der Rückseite verschiedene Skizzen (Abb. 6a und b; Ausst.Kat. „Dürer und seine Zeit“, Mchn. 1967, Nr. 1). Um mit der Feder auf Holzstöcke zeichnen zu können, wurden sie präpariert: mit Weiß eingestrichener Druckstock der „Schmutzigen Braut“ von Pieter Brueghel d. Ä., um 1566 (New York, The Metrop. Mus. of Art: [15] Nr. 99, Abb. 130); vgl. auch Abb. 6a und b. – Vorzeichnungen mit der Feder (oder dem Pinsel oder beidem; oft schwer, teils überhaupt nicht zu unterscheiden) für Stickereien auf Stoff, wie sie Cennini [1] Kap. 164f. schilderte (und wie sie für Miniaturen auf Pergament geläufig sind), sind durch die Ausführung der Arbeit überdeckt und nur in Ausnahmefällen noch erkennbar, wenn das Werk nicht zu Ende kam oder die Stickerei durch Abnützung wieder verloren ging (gegen M. 14. Jh. in Orvieto der Besatz für einen Ornat: [13] 1. Bd. Kat.nr. 45, 3. Bd. Taf. 77f.; dt. Beisp. des 12.–15. Jh. bei Renate Kroos, Niedersächs. Bildstickereien des MA, Bln. 1970, Kat.nr. 6, 12f., 25–29, 43, 48, 77c und öfters [frdl. Hinweis der Autorin]; vgl. auch Schütte-Müller-Christensen S. 8).
Seidenstoffe tragen ganz selten grisailleartig angelegte (lavierte) F.: infulierte Mitra des Mus. de Cluny in Paris aus dem Temple, 3. V. 14. Jh. (nach Braun, Liturg. Paramente, S. 172, „für Trauerfeiern bestimmt“).
Papyrus wurde für F. kaum anders hergerichtet als für die normalen Schreibbedürfnisse; er wurde im vom RDK behandelten Zeitraum und Gebiet nicht mehr verwendet.
Pergament wurde zum Beschreiben geglättet und geschabt. Diese Präparierung reichte für einfache Zeichnungen aus (Abb. 2); vielfigurige F. und die Verwendung von Farben erforderten, die entsprechende Seite mit Kreide naß einzuschlemmen. Diese aufgetragene Grundierung war weißlich oder gelblich, konnte aber auch in den verschiedensten anderen Farben eingetönt werden (in Italien bevorzugte man Grün, Violett oder Blau: [13] 1. Bd. S. XLI und Kat.nr. 91, 3. Bd. Taf. 141; für das deutsche Sprachgebiet vgl. das böhmische Add. Ms. 24189 der Brit. Libr., London, um 1410–20, mit in grünlichem Kreideauftrag eingestrichenem Pergament für die mit Silberstift und Feder ausgeführten und farbig behandelten Zeichnungen (Josef Krása in: Ausst.Kat. „Die Parler und der Schöne Stil“, Köln 1978/79, Bd. 3 S. 106f.; ein Rezept für „grune varb auf pergamen“ im Cod. VI. S. 19 der Prager Univ.bibl., aus dem 15. Jh.: Joh. Kelle, Serapeum 29, 1868, 341).
Das Papier war seit dem 13. Jh. in Europa bekannt und seit der 2. H. 14. Jh. weit verbreitet. Für F. waren nur bessere Sorten verwendbar (vgl. A. W. Hertel a.a.O. [Sp. 977] S. 298). Vor dem Bezeichnen hat man häufig farbig grundiert (Abb. 4), manchmal die Vorderseite anders als die Rückseite (vgl. die Hans Leu d. J. zugeschr. Zeichnung einer Baumgruppe auf sienafarbenem Grund – Vorderseite –, des hl. Hieronymus auf grünblauem Grund – Rückseite: Die dt. Handzchgn. Bd. 1 [= Kat. des Germ. Nat.mus. Nürnberg], Nürnberg 1968, Nr. 137, Taf. nach S. 176).
Rezepte für solche Grundierung finden sich bei Cennini [1,Kap. 15–22] oder im „Nürnberger Kunstbüchlein“, E. 15. Jh. (Nürnberg, Stadtbibl., Ms. cent. VI, 89, ed. in: Emil Ernst Ploss, Ein Buch von alten Farben, Mchn. 19774, S. 103ff., speziell S. 116f.). Wenn als Vorbereitung für die F. ein erster Entwurf in den Kreidegrund geritzt wurde, ist die Präparierung oft an diesen Stellen ausgebrochen – ähnlich wie auch bei Silberstiftzeichnungen auf farbig präpariertem Grund. Solche farbige Kreidegrundierung von Papier war für Federzeichnungen bis in den Manierismus hinein beliebt [2, S. 49f.]. Für helle Lavierungen eigneten sich präparierte Zeichnungsflächen allerdings weniger, da nur Deckfarben die Tönung des Grundes unsichtbar werden ließen und von der Kreidemasse nicht zu stark aufgesogen wurden.
Eine besonders für die F. gepflegte Art der Präparierung ist die trockene Einreibung des Papiers mit Rötel, die bei italienischen Künstlern im 14. Jh. für Skizzenbücher nachweisbar ist (vgl. [13] 1. Bd. S. XLI, Kat.nr. 68–73, 107– 109, 127f.; ebd. 2. Bd. Kat.nr. 271–285) und im deutschen Sprachgebiet im 15. Jh. gelegentlich vorkommt (vgl. Abb. 5); feuchte Rötelung ist hier häufiger (Beisp. das Skizzenbuch der Wolgemut-Werkstatt: Bock, Erlangen, Kat.nr. 117–135; Peter Candids ehem. Skizzenbuch [Skizzenbücher?] von ca. 1598/1604, vgl. Ausst.Kat. „P. C. Zchgn.“, Mchn. 1978, Nr. 8–22). Auch gibt es Schwärzung des Papiers mittels Kreide (Hans Weiditz zugeschr. F.: Altdt. Zchgn. aus der Staatl. K.halle Karlsruhe, Baden-Baden 1955, Nr. und Abb. 20f.; Barth. Spranger, Minerva und Cybele, um 1590: Albr. Niederstein, Rep. f. Kw. 52, 1931, 26 Nr. 16; frdl. Prüfung durch Dieter Graf, Ddf.). – Eine gegriffelte Zeichnung, vor der Rötelung angelegt, nahm Michelangelo in Studienblättern als Ausgangspunkt auch für seine F. (R. Harprath, Pantheon 35> 1977, 306–310; Frank Preußer und Heinr. Kneuttinger, ebd. S. 3 10f.); entsprechendes Verfahren im dt. Sprachgebiet ist den Verf. nicht bekannt geworden.
Anstelle des oberflächlich eingefärbten Papiers diente auch farbiges, d. h. bei der Herstellung bereits eingefärbtes Papier (s. Papier; vorläufig: [2] S. 174ff.).
Das bekannteste farbige Papier ist die gegen 1500 erfundene venezianische „carta azzurra“ [2, S. 175], die allerdings für F. – jedenfalls im 16. Jh. – relativ selten verwendet wurde (Abb. 7; Jost Ammans Zeichnung zweier Krieger, im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt a. M.: Edm. Schilling im Kat. der dt. Zchgn. Alte Meister, Ffm. 1973, Bd. 1 Nr. 24, Bd. 2 Taf. 7). Häufiger sind Papiere in Grün, Gelb (besonders am Ende des 16. Jh.), Grau und vor allem Braun (Abb. 11).
Neben dem ästhetischen Reiz diente das farbige Papier – ähnlich wie die mit Kreide präparierten Pergament- oder Papierseiten – dazu, einen mittleren Helligkeitswert als Grund für die Darstellung zu erhalten, den man mit Höhungen in Weiß, Gold oder anderen Farben auflichten und durch Federschraffen, Lavierung oder dunklere Deckfarben abschattieren konnte (dies ist für das deutsche Sprachgebiet vor allem vom späten 16. bis in das 18. Jh. kennzeichnend: Abb. 11).
Wollte man auf Papier mit der Feder von einer gezeichneten oder gemalten Vorlage kopieren, war eine der Möglichkeiten zur Übertragung die, das Papier für die Kopie zu ölen (Cennini [1] Kap. 23–26; Beisp. die Zeichnung nach Dürers Bildnis des Kardinals Matthäus Lang von Wellenburg: [14] Bd. 3 Nr. 1518/25).
III. Arten der Federzeichnung; Anwendungsbereiche
Die Grenzen zwischen den verschiedenen Arten der F. sind von Anfang an fließend. Die folgende Aufteilung beruht daher auf vorwiegenden Kriterien, nicht auf ausschließlichen. Auf Vollständigkeit bei der Erfassung sämtlicher Spielarten oder auf eine lückenlose Darlegung historischer Entwicklungen muß angesichts der überreichen Fülle an Beispielen verzichtet werden. Außerdem relativieren sich manche Feststellungen aus geschichtlichen Gründen.
Gleiche Zeichnungsmittel dienen nicht immer demselben Zweck. Beispielsweise ist die anonyme böhmische Zeichnung Abb. 11 ersichtlich innerhalb eines Werkprozesses für die Vorbereitung eines Gemäldes entstanden; sie wurde mit ausgesprochen komplizierten Mitteln ausgeführt, die ihr eine gewisse bildmäßige Autonomie verleihen. In früherer und späterer Zeit hätte man für den gleichen Zweck weniger „aufwendige“ Ausführungen als ausreichend erachtet, vielleicht nur in Kreide oder in Feder, ohne Höhungen und auf unfarbigem Grund. – Im 18. Jh. sind nicht selten Stichvorlagen von ähnlich großem Aufwand (vor allem in Augsburg: Die dt. Handzchgn. Bd. 4 [= Kat. des Germ. Nat.mus. Nürnberg], Nürnberg 1969, Nr. 13: Joh. Wolfg. Baumgartner; ebd. Nr. 71, 79, 86, 92, 96, 99, 102, 115: Joh. Gottfr. Eichler d. J.).
1. Die reine F.
Sie besteht aus dem bloßen Strich, mit dem zunächst Außen- und dann Binnenkonturen angegeben werden. Hinzu treten kann Schraffierung, die in einer dichten parallelen oder auch kreuzweisen Lage Schattenpartien oder Dunkelzonen beschreibt (Abb. 3).
Die geringe Korrekturmöglichkeit verlangt größere zeichnerische Sicherheit; Anweisungen von spät-ma. Zeit (Cennini [1] Kap. 8) bis John Ruskin (The Elements of Drawing in three Letters to Beginners, London 1859 [Nachdr. 1907, S. 13]) raten dem Anfänger, mit anderen Zeichnungsmitteln zu beginnen und die F. durch eine (schwach sichtbare) Unterzeichnung in Stift [1, Kap. 10], Rötel oder farblosem Griffel (vgl. Abb. 12 und 14) vorzubereiten.
Diese praktische Voraussetzung läßt sich bei hochma. Handschriften beobachten, bei denen die Ausführung mit der Feder unterblieb (als Beisp. sei Cod. lat. 1133 der Bayer. Staatsbibl. München genannt, in dessen Margarethenvita-Teil die Illustrationen z. T. nur Vorgriffelungen sind, etwa auf fol. 85v); sie ist bis zum Ende des 16. Jh. fast immer die Regel geblieben. Unterzeichnungen in Silberstift, schwarzer Kreide oder in Blei reichen über den ganzen behandelten Zeitraum hinweg, Vorgriffelungen mit einem „Blindrillenstift“ sind bei ma. Bauzeichnungen die Regel (Peter Pause, Got. Archit.zchgn. in Dtld., Diss. Bonn 1973, S. 38–46) und auch in nachma. Zeit anzutreffen (Zchgn. der Sangalli, vgl. Ausst.Kat. „Plan und Bauwerk“, Mchn. 1952, Nr. 11 und 24; Gabriele Dischinger, Joh. und Jos. Schmuzer [= Bodensee-Bibl., 22], Sigmaringen 1977, Planbeschreibungen S. 131 und 165–171).
a. Beschreibende Präzision und definierende Abstraktion sowie eine außerordentliche Variationsfülle in der Linienführung bis zum Schraffieren und Punktieren sicherten der F. eine Vorrangstellung, wenn theoretische Darstellungen oder Zeichnungen von modellartigem oder didaktischem Charakter verlangt waren; naturwissenschaftliche, medizinische und technische Traktate wurden seit ihren Anfängen vorwiegend in dieser Zeichnungsart illustriert.
In ma. wie in späteren *Musterbüchern wurde die reine F. gepflegt (sofern es sich nicht um Zeichnungen mit einem Stift oder dem Pinsel handelt; vgl. den Überblick bei R. W. Scheller, A survey of medieval model books, Haarlem 1963; Abb. aus dem Reuner Musterbuch, A. 13. Jh.: RDK IV 934 Abb. 1 und VI 812 Abb. 46).
Das „Bauhüttenbuch“ des Villard d'Honnecourt, zw. 1225 und 1235 (?), gehört zu den bedeutendsten Beispielen dafür (RDK I 189 Abb. 2f., 994 Abb. 1; III 516 Abb. 2; IV 411f. Abb 5; Hahnloser, Villard). Für die beginnende Renss. lassen sich z. B. für Gentile da Fabriano und Marco Zoppo Musterblattkomplexe nachweisen, die fast ausschließlich in reiner Feder gezeichnet sind (Bernh. Degenhart und Annegrit Schmitt, G. da F. in Rom und die Anfänge des Antikenstudiums, Münchner Jb. III. F. 11, 1960, 59–151; [13] 1. Bd. Kat.nr. 125–135; Ausst.Kat. „Vom späten MA bis zu Jacques Louis David“, Bln. 1973, Nr. 28).
Für Risse und andere Architekturzeichnungen, die größte Deutlichkeit und Genauigkeit im Maßstab und beim Ablesen von Distanzen garantieren mußten, bevorzugte man bis zur Renss. ebenfalls die reine F. (RDK I 995f. Abb. 2, 998 Abb. 3, 1001 Abb. 4; Rob. Branner, Gaz. des B.-A. 105 [6e sér., 61], 1963, 129–46; P. Pause a.a.O. [Sp. 987] S. 50–56), selten mit verschiedenfarbenen Tinten (ebd. S. 51). Auch in der Neuzeit gab es Architekten, die für Zeichnungen die reine F. mindestens bevorzugten (Beispiel: Elias Holl, vgl. Ausst.Kat. „Augsburger Barock“, Augsburg 19682, Nr. 13–18, 20f., 241., 28, 31–33; meist auf Pergament gezeichnet). Oft sind in neuzeitlichen Rissen die Spuren von mit grauem Stift gezeichneten „Blindlinien“ – etwa für Angabe von Proportionen –, die manchmal nicht oder nur unzureichend wieder getilgt wurden, zu sehen (vgl. Hieronymus Rodler, Eyn schön nützlich büchlin und underweisung der kunst des Messens ..., Simmern 1531 [Nachdr., mit Einf. von Trude Aldrian, = Instrumenta artium 4, Graz 1970], 4. Kap. [= Nachdr. S. 7]: „vonn den Blindlinien oder strichen“). A. 18. Jh. hatte sich das farbige Anlegen von Rissen allgemein durchgesetzt (vgl. Joh. Friedr. Penther, Collegivm architectonicvm ..., Göttingen 1738, S. 13 und 15; Abb. 13); erst romantische Architekten benutzten wieder reine F. in nennenswertem Ausmaß gleichwertig neben der herkömmlichen lavierten bzw. mit Wasserfarben lasierten F. (s. etwa die Auflistung bei Alfr. Frhr. von Wolzogen, Aus Schinkel's Nachlaß, 4. Bd., Kat. des künstlerischen Nachlasses ..., Bln. 1864).
Aus dieser Tradition leitet sich wohl auch die Gepflogenheit der reinen F. bei frühen Veduten ab, von denen man in erster Linie Zuverlässigkeit in der Angabe architektonischer wie topographischer Details verlangte. Hier sind vor allem die römischen Zeichnungen Maarten van Heemskercks, seiner Vorgänger und Zeitgenossen zu nennen (Herm. Egger, Röm. Veduten. Handzchgn. aus dem XV.–XVIII. Jh., 2 Bde., Wien und Lpz. 1911 und 1931; Chrn. Hülsen und H. Egger, Die röm. Skizzenbücher von M. v. H., 2 Bde., Bln. 1913–16); vgl. auch die Ortsansicht Abb. 14.
Viele naturwissenschaftliche und technische Erkenntnisse wie Untersuchungen in der Renss. haben ihren optischen Niederschlag in reinen F. gefunden; dieses Medium kam der gewünschten Klarheit am meisten entgegen. Als hervorragende Beispiele seien Paolo Uccellos und Piero della Francescas Perspektivstudien erwähnt [13, 2. Bd. Kat.nr. 312–314, 513f.], Leonardo da Vincis anatomische Darstellungen (Sigrid Esche, L. da V. Das anatomische Werk, Basel 1954; Kenneth Clark, The Drawings of L. da V. in the Coll. of Her Majesty the Queen at Windsor Castle, London 19692, 3. Bd.), Albrecht Dürers Proportionsstudien (A. Dürer, Schriftl. Nachlaß, hrsg. von Hans Rupprich, 2. Bd., Bln. 1966, 3. Bd. ebendort 1969). Hier erweist sich, daß die Zeichnung, und zwar eine ihrer Urformen, ein schöpferischer Akt sein kann (wie es Federico Zuccaro formulierte: Romano Alberti, Origine, et progresso del'Accad. del Disegno, de Pittori, Scultori & Architetti di Roma, Pavia 1604, S. 17f.; Text auch bei Detlev Heikamp, Scritti d'arte di F. Z., Florenz 1961, S. 29f.).
Einen Höhepunkt in der Pflege der reinen Federtechnik bei Figurenzeichnungen erreichten die toskanischen Künstler im 15. Jh. Sie bildeten eine Manier aus, die sich durch eine strenge, nicht unterbrochene Kontur und eine konstruktiv-funktionale Linienführung auszeichnet. Als Exponent dieser Zeichenweise kann Sandro Botticelli mit seinen Dante-Illustrationen von um 1490/96 gelten (vgl. Fritz Lippmann, Zchgn. von S. B. zu Dantes Göttlicher Komödie, Bln. 1887).
Gern verwendete man für die auf knappe, treffende Formulierung abzielenden Karikaturen die reine F. (vgl. Abb. 16; Werner Hofmann, Die Karikatur von Leonardo bis Picasso, Wien 1965; Fernando Tempesti, Maestri della caricatura [= Bibl. di disegni, Ist. Alinari, Bd. 27], Florenz [im Druck]).
b. Zeichenweise.
Viele deutsche Zeichnungen des 15. Jh. in reiner Feder sind mit geraden Strichlagen (Abb. 3) oder mit parallelen Häkchenformen schraffiert. Diese Schraffierung ersetzt Pinsellavierung und verbindet sich häufig gespinstartig zu den Konturlinien hin mit zunehmender Dichte (vgl. Ausst.Kat. „Altdt. Zchgn. aus der Univ.bibl. Erlangen“, Mchn. 1974, Nr. 25f., 33f. und 42). Ansätze, diese Zeichenweise zu überwinden, finden sich im Werk von Martin Schongauer, völlig abgelöst hat sie Albrecht Dürer in seinen reifen F. mit ihren konsequent durchgezogenen und systematisierten Schraffen – sichtlich eine Frucht intensiver Beschäftigung mit dem Kupferstich. Zeichner wie M. Schongauer, A. Dürer und Lucas van Leyden haben eine Reihe von F. in Stichmanier ausgeführt; d. h. sie schufen reine F. mit einem gleichmäßigen System von Kontur- und Schraffenlinien, ohne daß sich die Absicht einer Vorzeichnung für einen Druck nachweisen ließe.
In den sog. Federkunststücken verschiedener Zeichner des Spät-Manierismus läßt sich eine gesuchte Annäherung an den Kupferstich beobachten.
So versuchten u. a. Bartolomeo Passarotti, die Brüder Wierix, Jan Muller oder Hendrick Goltzius, in F. mit reiner Linien- und Punktiertechnik Kupferstiche zu imitieren; sie ahmten das An- und Abschwellen der Taillen nach sowie die verschiedenen Lagen der Schraffierung und ihre unterschiedliche Dichte, einschließlich der Punkte in den Rauten der Schraffen. Diese F. galten als Zeugnisse hoher Kunstfertigkeit. Gegenüber dem Kupferstich hatten sie den Reiz des Einmaligen. Jacob Matham hat in seinem Federkunststück (Abb. 8) die verschiedenen Utensilien für die F. wiedergegeben und den Zeichnungsmitteln neben dem Hauptgegenstand in der Darstellung Präsenz verliehen (dieser Teil der Zchg. geht ikonographisch auf die Bilder von Schreibgeräten zurück, wie sie häufig in Schreibanweisungen seit dem 16. Jh. zu finden sind, vgl. Emanitele Casamassima, Trattati di scrittura del Cinquecento ital., Mailand 1966, Fig. 2, Taf. XXII, XXVI, XXXIV und XL; zu Federkunststücken bes. von Hendr. Goltzius, s. E.K.J. Reznicek, Die Zchgn. von H. G., Utrecht 1961, S. 76ff., Kat.nr. 119, 131, 165f., 265, 360 und 431). Solche Federkunststücke sind später bei Gaetano und Mauro Gandolfi anzutreffen (Catherine Johnston, Il Seicento e il Settecento a Bologna, Mailand 1971, Abb. 29; Ausst.Kat. „Europ. Drawings from Canadian Coll. 1500–1900“, Ottawa 1976, Nr. 27).
Bei F. von Pieter Brueghel d. Ä. verbindet sich mit der Angabe von festen Umrissen eine lockere Punktiermanier, die nicht ausschließlich aus der Beziehung zum Kupferstich und zur Radierung erklärbar ist. Sie hat ihre Vorstufen in niederländischen und französischen Zeichnungen vom E. 15. und A. 16. Jh. (vgl. Ausst.Kat. Ottawa a.a.O. Nr. 2f., 23, 27, 32, 58 und 106). Die Bolognesen Guercino und Donato Creti lösten die feinen Parallelstriche ihrer F. an den Enden in Punkte auf und bereicherten damit die Skala der Helldunkelwerte (neben der Lavierung).
Die vibrierende Strichführung barocker Zeichner kommt selbst in kleinen Entwürfen zur Geltung – wie bei Daniel Gran (Abb. 12: hier wird in einer wiederholten Variante der Hauptgruppe am oberen Rand die definitive Fassung der Ausführung erreicht, vgl. Eckhart Knab, D.G., Wien und Mchn. 1977, S. 202 Nr. Z 90).
Erst im Klassizismus maß man der durchgehenden Kontur wieder eine grundlegende Bedeutung bei; Künstler wie John Flaxman erneuerten damit auch die Kunst der reinen F. Ihre Umrißmanier wirkte bis weit über die M. 19. Jh. fort (Abb. 16). Die Schätzung des Altdeutschen ließ Zeichner die optische Wirkung von Kupferstichen der Dürerzeit erstreben (als Beispiel: Fritz Novotny, Ferd. Oliviers Landschaftszchgn. von Wien und Umgebung, Graz 1971, S. 12–14, Abb. 1, Taf. I–XIV, XVIII).
c. Viel seltener als schwarze bis graue oder braune Tinten sind von spätma. Zeit an bis zur Erfindung chemischer Tinten im 19. Jh. farbige Tinten verwendet worden (im Hoch-MA allerdings sind farbige Tinten, auch zwei oder mehr nebeneinander, häufig; vgl. etwa die aus Aldersbach stammende Handschrift cod. lat. 2599 der Bayer. Staatsbibl., Mchn. (1. H. 13. Jh.: Cimelia monacensia, Wiesbaden 1970, S. 97 Farbabb.).
In der Neuzeit gelten mit farbiger Tinte gezeichnete F. wegen der Erlesenheit ihrer Mittel und ihrer künstlerischen Wirkung als besonders kostbar. Exemplarisch sei auf die Randzeichnungen im Gebetbuch Kaiser Maximilians I. hingewiesen, die von Dürer, Cranach d. Ä., Albr. Altdorfer, Hans Burgkmair, Jörg Breu d. Ä., Hans Baldung Grien und einem uns anonymen Zeichner in roter, grüner oder violetter Tinte angefertigt wurden (vgl. die von Karl Giehlow besorgte Faks.ed Wien 1907). Zusätzlich zur schwarzen verwendete z. B. Virgil Solis farbige Tinte (Fama, Vorzeichnung für die Radierung, in Schwarz und Rot: Hans Werner Schmidt, Die dt. Handzchgn. bis zur M. 16. Jh. [= K.hh. des Hzg.-Ant.-Ulr.-Mus., H.9], Braunschweig 1969, Nr. 49).
Die Zeichnung kann allein aus weißen Linien bestehen (Weißlinien-Zeichnung): Urs Graf; es besteht allerdings keine Übereinstimmung darüber, ob diese Blätter „mit weicher Feder oder feinem Pinsel“ ausgeführt sind (zur Zeichnung des Landsknechts mit der Fahne, 1514: Hans Koegler [Hrsg.], Beschr. Verz. der Baseler Handzchgn. des U. G. ..., Basel 1926, S. 34f. Nr. 45; Teréz Gerszi, Capolavori del rinascimento tedesco, Mailand 1970, Taf. XXVIII: „biacca a penna“; Hanspeter Landolt, 100 Meisterzchgn. des 15. und 16. Jh. aus dem Basler Kk., Basel 1972, Nr. 61: „Pinsel mit Deckweiß“).
2. Höhungen
Die aus der Antike herrührende Praxis, Helligkeiten („Lichter“) durch Höhung mit Weiß oder heller Farbe, auch Gold anzugeben, ist bei F. seit dem späten MA belegt. Auf naturfarbenem oder farbigem Grund wurde ein flüssiges Farbmittel durch einen (zumeist spitzen) Pinsel, seltener durch die Feder aufgetragen (Abb. 4, 7 und 11). Der Zeichner erhielt so neben dem bewußten Freilassen von heller Zeichnungsfläche bei der Lavierung (s. Sp. 993), die er – falls sie angewandt wurde – vor dem Höhen vornahm, einen vierten Grad in der Skala von Hell-Dunkel-Werten. Feinere oder breitere Linien können parallel oder kreuzweise angelegt werden, auch in freieren, stellenweise zu flächigen „Lichtinseln“ verdichteten Strichen. Besonders brillant wirken gehöhte F. auf dunklem oder starkfarbenem Grund (vor allem im 16. Jh. beliebt; Hans Baldung Grien höhte gelegentlich in zwei Farben – Inkarnate in Rosa: Carl Koch, Die Zchgn. H. B. G., Bln. 1941, Kat.nr. und Abb. 7 und 105; zu V. Solis s. H. Landolt a.a.O. Nr. 84; drei Farben – Weiß, Gelb und Rot – auf einer 1482 dat. schwäbischen Darstellung der Geburt Christi: Bock, Erlangen, Kat.nr. 88).
Mit der Höhung strebte man bildmäßige („malerische“) Wirkungen an (so z. B. Hieronymus Bosch: [15] Kat.nr. 11; dt. Beisp. etwa bei H. Landolt a.a.O. Nr. 12, 16, 23, 49, 84 und 91). Als gleichermaßen malerisches wie modellierendes Element dient die Weißhöhung z. B. bei Dürers Grüner Passion, 1504 [14, Bd. 2 S. 769–823]. Bei Detail- und Kompositionsstudien sowie bei „modelli“, die Bilder vorbereiten, tritt die Höhung erst relativ spät auf (als Beispiel Francesco Primaticcio: Ausst.Kat. „L'École de Fontainebleau“, Paris 1972, Nr. 149, 153–157, 174 bis 177). Wegen ihrer Seltenheit sind kostbar anmutende goldgehöhte F. wie die von Jacopo Ligozzi besonders geschätzt (Ausst.Kat. „Ital. Zchgn. 15. bis 18. Jh.“, Mchn. 1967, Nr. 41; Catherine Monbeig-Goguel, Il manierismo fiorentino, Mailand 1971, Taf. XXXVIII; James Byam Shaw, Drawings by old masters at Christ Church Oxford, Oxford 1976, Bd. 1 Nr. 218–220, Bd. 2 Taf.abb. 142, 144f.); Lienhard Panzer, hl. Sebastian, dat. 1613 (Max Hasse, Die Zchgn. alter Meister in der Lübecker Graphikslg. [= Lübecker Mus.hh., H. 9], Lübeck 1969, Nr. 34). Zu Zeichnungen in „Schwarz-Weiß-Technik“ als Vorlagen für Glasmaler, Kupferstecher und Kartenzeichner s. [2] S. 50f.
3. Lavierung
Die zusätzliche Verwendung des Pinsels bezweckt, Tonstufen (Helligkeitsstufen) in flächigem Auftrag zu schaffen. Sie erfolgt auf verschiedene Weise: Der Zeichner kann den farbfreien, mit Wasser getränkten Pinsel an den noch feuchten Konturen der vorher ausgeführten F. entlangführen und erzeugt dadurch eine breitere abgedunkelte Zone, die sich durch das Verfließen der Tinte von den Konturlinien her bildet (von diesem Vorgehen ist das vom Franz. „laver“ abzuleitende Wort lavieren genommen); oder man verdünnte die Tinte und tränkte damit den Pinsel [1, Kap. 31]. Welches Verfahren gewählt wurde, hing davon ab, inwieweit die Tinte gegen ein vollständiges Auslaufen der Konturen resistent war.
Vielfach werden durch Lavierungen Schatten angegeben, was bei der reinen F. die Schraffen besorgen (vgl. Abb. 4); sie können diese ersetzen, können aber auch nebeneinander und nicht selten an derselben Stelle in der Zeichnung auftreten (vgl. Abb. 3). Als man im Umbruch von der Hoch-Renss. in den Manierismus begann, Licht und Schatten als Urbestandteil der künstlerischen Komposition anzusehen, wurde das Lavieren von F. ein nahezu obligatorisches Mittel, mit dem man unabhängig von den Einzelformen in Hell-Dunkel-Gegensätzen komponieren (etwa bei Giorgio Vasari und seinem Umkreis anzutreffen: Ausst.Kat. „Mostra di disegni del V. e della sua cerchia“, Florenz 1964; RDK VI 431 Abb. 7) oder diese in flächigen Kontrasten ausspielen konnte (vgl. Zeichnungen von Nicolas Poussin oder Rembrandt, auch Abb. 10). – Joh. Heinr. Füssli sollte nach 1770 dies wieder aufgreifen, in Verbindung mit reiner Umrißzeichnung des Figuralen (vgl. Gert Schiff, J. H. F. [= Oeuvre-Kat. Schweizer Künstler I], Zürich und Mchn. 1963). Die Italiener bevorzugten im allgemeinen Lavierung im Ton der Konturzeichnung, vereinzelt auch Indigo und Rosa [2, S. 58], manchmal verwendeten sie zusätzlich einen grauen Ton, wie z. B. Perino del Vaga (Ausst.Kat. „Mostra di disegni di P. d. V. ...“, Florenz 1966, Nr. 19, 43f., 47, 49, 53, 57, 59f.). Die deutschen und niederländischen Zeichner lavierten häufiger in einem Ton, der von der Konturzeichnung stärker abweicht, z. B. Hans Holbein d. J., Jost Amman, Paul Bril, Tobias Verhaeght oder David Vinckeboons; s. auch Abb. 51.
Nicht selten wurde in der Neuzeit in zwei oder mehr Stärkegraden laviert (vgl. Giov. Batt. Armenini, De' veri precetti della pittura, Ravenna 1587 [Neudr. Hildesheim 1971], S. 61); durch (teilweise) wiederholtes Lavieren erreichte man unterschiedliche Ton- oder Helligkeitsstufen. Gelegentlich geschah das Zeichnen der Konturlinien erst nach der Lavierung (Ausst.Kat. „Vom späten MA bis zu J. L. David“, Bln. 1973, Nr. 85r, 133, 138, 159). In manchen F., z. B. solchen Paolo Farinatis, übernimmt die Lavierung stellenweise sogar sonst dem Federstrich zukommende Funktionen, dort, wo sie die Kontur angibt (Terence Mullaly im Ausst.Kat. „Disegni veronesi del Cinquecento“, Venedig 1971, Nr. 40 und 4 5; Arthur Ewart Popham und Johs. Wilde, The Ital. Drawings of the XV and XVI C. in the Coll. of His Majesty the King at Windsor Castle, London 1949, Nr. 282). Die Nähe zur *Pinselzeichnung ist groß; und manche von ihnen könnten sozusagen als lavierte F., bei der die Federstriche weggelassen sind, interpretiert werden (vgl. Zchgn. von Claude Lorrain bis zum E. der 1640er Jahre: Marcel Roethlisberger, C. L. The Drawings, Berkeley und Los Angeles 1968, Kat.nr. 7, 10, 95r, 148r, 149r, 278, 290r, 353r, 357, 359r, 361r, 425r, 589; Paul Egell hat in seinen Retabelentwürfen gelegentlich auf die Konturierung der Figuren mit der Feder verzichtet: vgl. Klaus Lankheit, Die Zchgn. des kurpfälz. Hofbildhauers P. E., Karlsruhe 1954, S. 16f., 77 Kat.nr. 5, Figur ganz links).
4. Wasserfarben
Im Gegensatz zur mit Tinte in verschiedenen Tonstufen lavierten F. wird durch die Verwendung von Wasserfarben auf der Zeichnungsfläche (Pergament oder Papier) in die F. Farbe integriert. Es wurden sowohl transparente (oft zu pauschal dann als Aquarell bezeichnet, so im RDK I 881–892; Ausst.Kat. „Das Aquarell 1400–1950“, Mchn. 1972, Einleitung) als auch deckende Farben aufgetragen (bei Gebrauch mit Weiß und einem Bindemittel vermischter deckender Farben entsteht die Guasch [Gouache]).
Neben dem Farbauftrag ausschließlich mit Wasserfarben gibt es Mischtechniken: Kombination mit Lavierung (Beispiel: Tobias Stimmers hl. Nikolaus, 1582: Friedr. Thöne, T. S. Handzchgn., Freiburg i. Br. 1936, Nr. 63, Taf. 54), mit Deckfarben (z. B. die Wolfg. Katzheimer d. Ä. zugeschr. Ansichten von Bamberger Örtlichkeiten, um 1480/95: Ausst.Kat. „Dürer und seine Zeit“, Bln. 1967–68, Nr. 12–14), mit Tempera (Ausst.Kat. „Das Aquarell ...“ a.a.O. Nr. 48). Im 15. Jh. gab man gern Inkarnate in deckend gemalter „natürlicher“ Farbigkeit wieder (vgl. Ausst.Kat. „Altdt. Zchgn. aus der Univ.bibl. Erlangen“, Mchn. 1974, Nr. 1f., 17f., 21; ein älteres Beisp. bietet die Königssaaler Chronik, Böhmen, dat. 1393, fol. 6r+v: Ausst.Kat. „Die Parler ...“ a.a.O. [Sp. 982] Bd. 3. S. 745). Die Verwendung von Pinsel und Feder, brauner und schwarzer Tinte, Lavierung und Höhung mit Guasch zeigt eine süddt. (österr.?) Zchg. aus der 1. H. 18. Jh. mit Darstellung der afrikanischen Märtyrer (Ausst.Kat. „Handzchgn. aus fünf Jhh. ...“, Mchn., Jul. Böhler, 1977, Nr. 27).
Auf Pergament wurden die Wasserfarben in der Regel mit einem Bindemittel aufgetragen (Gummiwasser, Eikläre usw.: [1] Kap. 10; Rezepte auch im Ms. XII. E. 27 der Bibl. Naz. in Neapel, wohl 2. H. 14. Jh.: ed. Franco Brunelle, De arte illuminandi ..., Vicenza 1975, S. 92 bis 102). Doch kann der Farbauftrag auch mit einem ausgepreßten, beinahe trockenen Pinsel erfolgen [2, S. 52].
Erhalten sind Beispiele in der Buchmalerei seit dem Spät-MA (Ill. zu den „Supplicationes variae“, einer Gebetesammlung, Toskana um 1293 bis vor 1300, in der Bibl.Med.-Laur., Florenz, Ms. Plut. 25,3: [13] 1. Bd. Kat.nr. 3, 3. Bd. Taf. 7d–18d).
Für transparenten Farbauftrag auf Papier nutzte man in nachma. Zeit häufig die Aquarelltechnik (sie ist auf Pergament nicht möglich: dieses verzieht sich und wirft Blasen, die Kreidegrundierung wird aufgelöst). Ist die Aquarellierung nur mit einer einzigen, dem Ton der Tinte ähnlichen Farbe ausgeführt, kann man in Anlehnung an den Begriff „monochromes Aquarell“ (vgl. [12] S. 180, Abb. 94) von monochrom aquarellierter F. sprechen.
Transparenten Wasserfarben-Auftrag verwendete Dürer 1503 bei den beiden Versionen der „Maria mit den vielen Tieren“; hier überziehen die Farben – wie in einem Gemälde – die ganze Fläche [14, Bd. 2 S. 696–699]. Hans Holbein d. J. legte die farbigen Teile seiner Entwürfe für Wandgemälde und Bildnisse als Aquarell an (P. Ganz a.a.O. [Sp. 974f.] S. X und XVIII, Kat.nr. 113, 116–118, 121–124, 141, 150–152 u. ö.). Aus späterer Zeit seien genannt: Jan Brueghel d. Ä., Ansicht von Spa, 1612 (Ausst.Kat. „Flemish Drawings of the Seventeenth C. from the Coll. of Frits Lugt“, Gent 1972, Nr. 14, Abb. 22); Adriaen van Ostade, Trictracspieler, 1670 (Ausst.Kat. „Das Aquarell ...“ a.a.O. Nr. 74 mit Farbabb.); Charles Joseph Natoire, „Ital. Landschaft mit Pastorale“, 1763 (Ausst.Kat. „Das Dresdner Kk. und die Albertina“, Wien 1978, Nr. 110, Farbtaf. IV). Aquarelle: Caspar David Friedrich, Landschaft mit Pavillon bei Kopenhagen, um 1797 (Helmut Börsch-Supan, C. D. F., Mchn. 1973, S. 66 mit Farbabb.); J. G. v. Dillis (Abb. 15); Carl Philipp Fohr, Blick auf das Forum Romanum und das Kolosseum, 1818 (Ausst.Kat. „Das Aquarell ...“ a.a.O. Nr. 169 mit Abb.).
Mehrfarbiger Wasserfarbenauftrag ist im 18. und 19. Jh. bei Entwürfen für Bauwerke und ihre Ausstattung die Regel (Abb. 13), im Rokoko auch bei Entwürfen für Bildwerke (vgl. Gerhard P. Woeckel, Ignaz Günther. Die Handzchgn. des kurf. bayer. Hofbildhauers Franz I. G., Weißenhorn 1975, S. 47f., Kat.nr. 22, 26, 33, 49, 52, 61, Farbtaf. 2–7; ob solche Farbgebung mit der *Fassung von Bildwerken zusammenhängt, bleibt zu untersuchen, ebenso, ob sie in Hinblick auf eine Stichreproduktion geschaffen wurde). Vorliebe für monochrom aquarellierte F. hatten bes. venez. Zeichner der 2. H. des 18. Jh.: Francesco de' Guardi (vgl. Ant. Morassi, Tutti i disegni di Ant., Francesco e Giacomo G., Venedig 1975, Kat.nr. 140 und 348, Farbabb. VIII und XI), Giov. Domenico Tiepolo (J. B. Shaw, The Drawings of Dom. T., London 1962, Kat.nr. 68 und 74; Terisio Pignatti, La scuola veneta, Mailand 1970, Taf. XXXVI); als französisches Beispiel sei ein Blatt von Jean-Honoré Fragonard genannt, der weit häufiger mit dem Pinsel allein arbeitete (Alex. Ananoff, L'oeuvre dessiné de J.-H. F., Bd. 2, Paris 1963, Nr. 825, Fig. 217).
Zu den Abbildungen
1 a. Rohrfeder (oben und Mitte) und Kielfeder (unten). Nach [5] S. 13 (oben und Mitte) und Diderot-d'Alembert Taf.bd. 3, Dessein, Dessinateur Taf. II Fig. 4 (unten).
1 b. Metallfedern, Annonce der Firma C. Brandauer & Co., Birmingham, in: The Internat. Exhibition of 1862. The Ill. Cat. of the Industrial dept., British division, vol. II, London 1862, Annoncenteil.
2. Dessau, Stadtbibl., Fürst-Georg-Bibl., Hs. 4,2°, Evangeliar, fol. 9r, Evangelistensymbole. Nienburg Bez. Halle, 2. V. 12. Jh. Fot. Marburg, Nr. 74442.
3. Ffm., Städelsches K.inst., Kk., Inv.nr. 623, hl. Barbara. Federzeichnung auf Papier, 18,5 × 9,1 cm. Süddt. (Augsburg?), A. 15. Jh. Fot. Mus.
4. Rotterdam, Mus. Boymans-van Beuningen, Inv.nr. F I 278, Anbetung der Könige. Federzeichnung auf Papier, 25,7 × 38,5 cm. Westfalen oder Köln, 1. V. 15. Jh. Fot. Mus.
5. Berlin, Staatl. Mus. Preuß. Kulturbes., Kk., Inv.nr. 4309, Dame mit dem Hirschenwappen. Federzeichnung auf Papier, oben unregelmäßig beschnitten, 26 × 18,8 cm. Oberrhein (in der Art des Meisters ES), um 1460/70. Fot. Mus.
6 a und b. Albr. Altdorfer, Beweinung Christi (a) und spielende Putten, Männerköpfe, Federproben (b), Vorder- und Rückseite eines nicht zu Ende geschnittenen Holzstocks. Federzeichnung auf Buchenholz, 12,4 × 9,5 cm. Mchn., Staatl. Graph. Slg., Inv.nr. 1919:269. Dat. 1512 (a). Fot. Slg.
7. Bartholomäus Spranger, Amor. Federzeichnung auf Papier, 18,6 × 14,6 cm. Nürnberg, Germ. Nat.mus., Kk., Inv.nr. HZ 28. Sign., dat. (15)99. Fot.Mus.
8. Jacob Matham, Gipsabgüsse dreier Köpfe auf einem Tisch, Schreibgeräte. Federzeichnung auf Pa pier, 35 × 46 cm. Mchn., Staatl. Graph. Slg., Inv.nr. 21128. Sign., dat. 1604. Fot. Slg. 9. Johann Liss, Phaetons Tod. Federzeichnung auf Papier, 19,7 × 29,6 cm. Braunschweig, Hzg.-Ant.-Ulr.-Mus., Kk., Inv.nr. 127. Um 1621/26. Fot. Mus.
10. Rembrandt, Christus und die Ehebrecherin. Federzeichnung auf Papier, 17 × 20,2 cm. Zur Lesung der Unterschrift s. Kat. Wegner Nr. 1093. Mchn., Staatl. Graph. Slg., Inv.nr. 1421. 1659 oder kurz darnach. Fot. Slg.
11. Prag, Nat.gal., Graph. Slg., die Jungfrau Maria mildert die Qualen der Sünder im Fegfeuer. Federzeichnung auf Papier, 28,6 × 17,5 cm. Böhmen, 17. Jh. Nach Jan Loris, Die tschech. Barockzchg., Prag o. J., Abb. 5.
12. Daniel Gran, Pfingsten, Entwurf für ein Deckengem. im Chor der Stiftskirche Herzogenburg, N.Ö., gemalt 1749. Federzeichnung auf Papier, 17,2 × 36,2 cm. Wien, Graph. Slg. Albertina, Inv.nr. 26.924.D.1999g. Fot. Slg.
13. Franz Anton Dirr (zugeschr.), Riß für ein Altarretabel. Federzeichnung auf Papier, 70,8 × 31,3 cm. Nürnberg, Germ. Nat.mus., Kk., Inv.nr. HZ 4128. Um 1755. Fot. Mus.
14. Caspar David Friedrich, Ansicht von Nossen mit Muldebrücke und Schloß. Federzeichnung auf Papier, 23,8 × 18,7 cm, Blatt 19r des sog. Berliner Skizzenbuchs II. Berlin (DDR), Nat.Gal., Kk. und Slg. der Zchgn., Inv.nr. F II 652. Bezeichnet „den 20. Mei 99“. Fot. Prause, Bln 15. Joh. Gg. von Dillis, Bauern, um einen geöffneten Sack stehend. Federzeichnung auf Papier, 13,9 × 11,4 cm. Mchn., Staatl. Graph. Slg., Inv.nr. 1920: 90, recto-Seite. Um oder kurz nach 1800. Fot. Slg.
16. Bonaventura Genelli, „Wie ein Künstler gewahr wird, daß alle seine Gebilde doch große Ähnlichkeit mit ihm selber haben. Der Malerteufel ergötzt sich am Monologe des sich Bespiegelnden“ (Karikatur auf Wilhelm Kaulbach; Ausschnitt, Beschriftung oberhalb der Zchg.). Federzeichnung auf Papier, Ges.maße 34,5 × 20,6 cm. Mchn., Staatl. Graph. Slg., Inv.nr. 35743. Um M. 19. Jh. Fot. Slg.
Literatur
1. Cennino Cennini, Il libro dell'arte (ed. Franco Brunelle, Vicenza 1971). – 2. Joseph Meder, Die Handzchg., Wien 19232. – 3. Heinr. Leporini, Die Künstlerzchg., Bln. 1928 (Neudr. = Bibl. f. K.- und Antiquitätenfreunde, Bd. 30, Braunschweig 1955). – 4. Hellmuth Lehmann-Haupt, Schwäb. Federzchgn., Bln. und Lpz. 1930. – 5. Max Kellerer, Die K. des Federzeichnens, Bln. und Lpz. 1935. – 6. Charles de Tolnay, Hist. and Technique of Old Master Drawings. A Handbook, New York 1943 (19722). – 7. Luigi Grassi, Storia del disegno, Rom 1947. – 8. Pierre Lavallée, Les techniques du dessin ..., Paris 19492. – 9. Heribert Hutter, Die Handzchg. Entwicklung, Technik, Eigenart, Wien und Mchn. 1966. – 10. M. W. Evans, Medieval Drawings, London 1969. – 11. Daniel M. Mendelowitz, A Guide to Drawing, New York 1976. – 12. Walter Koschatzky, Die K. der Zchg., Technik, Gesch., Meisterwerke, Salzburg 1977.
Mehrfach zitiert wurden: 13. Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt, Corpus der Ital. Zchgn. 1300–1450, Teil 1, Süd- und Mittelitalien, Bln. 1968. – 14. Walter Levy Strauß, The complete drawings of Albrecht Dürer, New York 1974. – 15. Ausst.Kat. „Pieter Brueghel d. Ä.“, Bln. 1975.
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