Häufig gestellte Fragen: Die Anamnese in der Erziehungsberatung
Was ist der Zweck dieses Textes?
Dieser Text bietet eine umfassende Übersicht über die Anamnese in der Erziehungsberatung. Er beinhaltet eine Definition des Begriffs Anamnese, Anleitungen zur Durchführung, Anamneseschemata, Auswertungsmethoden und wichtige Aspekte der Gesprächsführung. Der Text richtet sich an Fachkräfte in der Erziehungsberatung und dient der Analyse von Themen in strukturierter und professioneller Weise.
Was ist eine Anamnese?
Anamnese (griechisch: Erinnerung, Wiedererinnerung, Gedächtnis) bezeichnet im medizinischen Kontext das Erfragen der Lebensgeschichte eines Patienten oder der Vorgeschichte einer Krankheit. In der pädagogischen Anwendung wird die Anamnese erweitert, um die Entwicklung und Schwierigkeiten eines Kindes durch die Aussagen einer engen Bezugsperson (meist die Eltern) zu verstehen. Sie umfasst sowohl die zu erhebenden Daten als auch den Prozess der Datenerhebung selbst.
Welche Bedeutung hat die Anamnese in der Untersuchung und Behandlung eines Kindes?
Die Anamnese spielt eine zentrale Rolle, da sie:
- den Kontakt und das Vertrauen zwischen Eltern und Therapeut fördert.
- die Schwierigkeiten und Symptome des Kindes aufdeckt.
- ein detailliertes Bild der Entwicklung und Persönlichkeitsstruktur des Kindes liefert, um die Ursachen der Störungen zu verstehen.
- Einblick in die aktuelle Lebensumwelt des Kindes ermöglicht.
- die Grundlage für eine genetische Diagnose (Genese der Störung) schafft.
Wie wird eine Anamnese durchgeführt?
Die Durchführung erfolgt idealerweise in einem entspannten, nicht-bürokratischen Umfeld. Die Gesprächsführung kombiniert freie Äußerungen der Bezugsperson mit gezielten Fragen des Beraters. Ein Anamneseschema dient als Grundlage, um sicherzustellen, dass alle relevanten Informationen erfasst werden. Das Gespräch sollte etwa eine bis zwei Stunden dauern. Die schriftliche Dokumentation erfolgt idealerweise durch Bandaufzeichnung und anschließende Transkription.
Welche Rollenbezüge sind bei der Anamneseerhebung wichtig?
Die Beziehung zwischen Berater und Bezugsperson ist entscheidend. Die Bezugsperson kann Unsicherheit, Verzweiflung, Schuldgefühle oder Ablehnung gegenüber dem Berater oder dem Kind zeigen. Der Berater muss eine warme, sachliche Atmosphäre schaffen und die Erwartungen und Haltungen der Bezugsperson berücksichtigen.
Welche Kenntnisse sind für die Durchführung einer Anamnese notwendig?
Der Berater benötigt fundierte Kenntnisse in Entwicklungspsychologie, Persönlichkeitslehre, klinischer Psychologie, Sozialpsychologie, Soziologie, Psychopathologie und Kinderheilkunde. Es geht nicht um das Ausfüllen eines Fragebogens, sondern um die Gewinnung und Gewichtung wichtiger Informationen aus einem freien Gespräch.
Wie ist ein Anamneseschema aufgebaut?
Ein Anamneseschema gliedert sich in allgemeine Fragen (Daten, die in jeder Anamnese erhoben werden müssen) und spezielle Fragen (zur Aufdeckung der Symptomatik und der Ursachen der Schwierigkeiten). Allgemeine Fragen beziehen sich auf den Grund der Vorstellung, Wohnort, Krankheiten, Biographie des Kindes, Familiensituation, Familienanamnese und den Eindruck des Beraters von der Bezugsperson. Spezielle Fragen richten sich auf die Symptomatik und die Ursachen der festgestellten Probleme (z.B. Sprach- und Sprechstörungen).
Wie wird ein Anamneseschema in der Praxis eingesetzt?
Der Berater passt das Anamneseschema an die individuelle Situation des Kindes an. Es gibt verschiedene Typen von Bezugspersonen (sachlich und warmherzig, zurückhaltend, umschweifend). Der Berater muss den Gesprächsverlauf steuern und wichtige Themen gezielt ansprechen. Ein Entwicklungskreis sollte vollständig abgefragt werden, bevor der nächste angesprochen wird.
Wie wird die Anamnese ausgewertet?
Die Auswertung berücksichtigt verschiedene Störfaktoren, das Erziehungsmilieu, die Persönlichkeit der Bezugsperson und deren Bezugssystem. Es geht nicht um eine mathematische Auswertung, sondern um die Zusammenfassung der Daten unter aussagekräftige Oberbegriffe, um eine genetische Diagnose zu erstellen. Ein Auswertungsschema hilft dabei, verschiedene Aspekte wie Umweltfaktoren, körperliche Krankheiten, Konstitution, auffällige Verhaltensweisen und positive Aspekte zu berücksichtigen.
Wie wird eine Diagnose gefunden?
Die Diagnosefindung erfordert eine gründliche Abwägung verschiedener Diagnosen. Der Text verweist auf ein komplexes Ursachenschema kindlicher Verhaltensstörungen, das hier nicht im Detail erläutert wird.
Gliederung:
1. Definition des Begriffs Anamnese
2. Zur Durchführung einer Anamnese
2.1. Rollenbezüge in der Anamneseerhebung
2.2. Notwendige Kenntnisse zur Durchführung einer Anamnese
2.3. Die Gesprächssituation
2.4. Die Gesprächsführung
2.5. schriftliches Festhalten der Anamnese
3. Das Anamneseschema
3.1. Was ist ein Anamneseschema / Vorbemerkungen
3.2. Die Gliederung des Anamneseschemas
3.3. Die Erhebung mit dem Anamneseschema
4. Die Auswertung der Anamnese
4.1. Auswertungsschema
4.2. Diagnosefindung
(5. Beispiel für eine Anamnese => Anamnese Andreas L. S.96)
1. Definition des Begriffs Anamnese
Anamnese: (grch: Erinnerung, Wiedererinnerung, Gedächtnis)
medizinisch:
das Erfragen der Lebensgeschichte eines Patienten (biographische Anamnese) oder das Erfragen der Vorgeschichte einer Krankheit durch den Arzt, Psychotherapeuten oder Berater
(Quelle: dtv Brockhaus Lexikon)
- Anamnese ist Teil der gesamten Behandlung eines Patienten, erst nach Anamnese, Untersuchungen und Rücksprache mit anderen Kollegen kann eine Diagnose erstellt und angemessene Therapie erarbeitet werden
- der pädagogische Sinn der Anamnese leitet sich aus dem medizinischen ab, wird teils in einem erweiterten, teils veränderten Sinne gebraucht
- hier spricht nicht der Betroffene, sondern eine enge Bezugsperson, also die Person mit der innigsten Kenntnis über das Leben, die Entwicklung und Schwierigkeiten des Kindes
- wichtig sind Aussagen über
1. die Genese der Störung
- Schwierigkeiten des Kindes
- Entstehung vorhandener Störungen
- Persönlichkeitsentwicklung
- Umweltkonstellation
aber auch über
2. die Gegebenheiten in der Familie
- Erziehungsansichten / -haltungen
- Meinungen
- Rollenbezüge
- Persönlichkeiten von Vater, Mutter und Geschwistern
- Anamnese umfasst sowohl die zu erhebenden Daten wie auch die Erhebung dieser Daten selbst
- Bedeutung der Anamnese innerhalb der Untersuchung und Behandlung eines Kindes
1. Begegnung und Kontakt mit den ratsuchenden Eltern sowie Förderung einer Vertrauensbasis zwischen Eltern und Therapeut
2. Kennenlernen der Schwierigkeiten und Symptome des Kindes
3. detailliertes Bild von Entwicklung und Persönlichkeitsstruktur des Kindes um den Rückschluß auf die psychodynamischen Vorgänge machen zu können, die die Störungen des Kindes verursachen; wichtig hierfür ist die gesamte Biographie des Kindes sowie aktuelle bedeutsame Verhaltensweisen
4. Einblick in die aktuelle Lebensumwelt des Kindes
5. Erstellung einer genetischen Diagnose (Genese der Störung)
2. Zur Durchführung einer Anamnese
-> Behandlung einiger formaler Fragen
2.1. Rollenbezüge in der Anamneseerhebung
- charakteristische Einseitigkeit des Anamnesegesprächs: von den beiden Gesprächspartnern erzählt der eine viel über sich, seine Familie, seine Umwelt, der andere verbirgt seine persönlichen Belange und Gefühle weitgehend
- Beachtung der Haltungen und Gefühle der Bezugsperson wichtig, da sie die Ergiebigkeit der Anamnese und folglich die aus ihr hervorgehenden Maßnahmen nachhaltig beeinflussen können
- verschiedene Haltungen und Erwartungen können auch gleichzeitig vorhanden sein
- Unsicherheit, Verängstigung (Bezugsperson muss sich einer fremden Person anvertrauen)
- Sorge, Verzweiflung über die Schwierigkeiten des Kindes
- Schuldgefühle
- Ablehnung gegenüber dem Berater, weil der Besuch nicht freiwillig, sondern auf Drängen bestimmter Institutionen (Schule, Jugendamt u.ä.) erfolgt o ablehnende Einstellung gegenüber dem Kind, Kind wird für seine Probleme verantwortlich gemacht
- Einstellungen gegenüber dem Berater:
- Berater als Untersuchungsrichter
- Berater als der allwissende „Heilbringer“
- Aufgabe des Beraters ist es, zu versuchen die Erwartungen und Haltungen soweit abzubauen, dass eine warme aber sachliche Gesprächsatmosphäre entsteht
- Bezugsperson sollte sich entspannt fühlen und frei sein, alle Sorgen zu äußern und alle Fragen so objektiv wie möglich zu beantworten
2.2. Notwendige Kenntnisse zur Durchführung einer Anamnese
- Anamnese bedeutet nicht das Ausfüllen eines vorfixierten Fragebogens, sondern die Gewinnung und Gewichtung wichtiger Aussagen aus einem freien Gespräch
- Der Fragende benötigt ein sicheres Wissen über die durchschnittliche Persönlichkeitsentwicklung eines Kindes und die Bedingungen abweichenden Verhaltens
- folgende Teildisziplinen sind da sehr wichtig:
- Entwicklungspsychologie
- Persönlichkeitslehre
- klinischen Psychologie
- Sozialpsychologie und Soziologie o Psychopathologie
- Kinderheilkunde
2.3. Die Gesprächssituation
- Räumlichkeiten:
- je weniger büromäßig, desto besser
- Sitzordnung:
- ist so anzuordnen, dass ein Kontakt leicht zustande kommen kann
- kein Schreibtisch als Kontaktbarriere, besser ein Tisch, an dem die Gesprächspartner übereck sitzen
- Dauer:
- hängt von den Umständen, dem Alter des Kindes, der Anzahl und Ausprägung der Schwierigkeiten, der Gesprächigkeit und dem Sprechtempo der Bezugsperson ab
- wichtig ist, dass der Berater das Gefühl von Ruhe und Zeit vermittelt, keine Hetzte
- schon bei der Vereinbarung des Termins sollte der Ratsuchende darauf hingewiesen werden, sich ausreichend Zeit für das Gespräch zu nehmen
- erfahrungsgemäß dauert eine Anamnese zwischen einer und zwei Stunden (nicht länger als zwei Stunden, da die Konzentrationsleistungen beider Partner dann erheblich sinken)
2.4. Die Gesprächsführung
- folgende Art und Weise der Erhebung hat sich für Kemmler bewährt:
-> kombinierte Vorgehensweise von freier Äußerung der Mutter und gezielten Fragen
- 1. Schritt: zu Beginn lässt man die Mutter frei sprechen
- sie kann ihr Herz ausschütten
- man stellt noch keine klärenden Zwischenfragen
- Dauer dieser freien Äußerung: zwischen 5 und 25 Minuten
- 2. Schritt: man befragt die Mutter nach einigen Einzelheiten aus der Entwicklung des Kindes
- Anamnese sollte frei in Gesprächsform gehalten werden
- Vermeidung eines vorfixierten Fragebogens und einer schablonenhaften Abfragung
➔ so wird der Charakter eines Verhörs vermieden
- wichtig: der Berater sollte ein festes Anamneseschema haben, dass er sich gut einprägt und dann den individuellen Problemen des Kindes anpasst
2.5. schriftliches Festhalten der Anamnese
- exakte Daten (z.B. Wohnort, Geburtsdaten) sofort notieren
- gleich nach Beendigung des Gesprächs spricht der Berater die Anamneseergebnisse gemäß seinem Schema auf Band dies wird dann in entsprechender Form abgetippt
3. Das Anamneseschema
3.1. Was ist ein Anamneseschema:
- Grundlage für ein ‚inneres’ Schema des Beraters, nachdem er das freie Gespräch mit dem Erziehenden gestaltet
- Zweck: Schema bietet einen festen Gesprächsrahmen, der gewährleistet, dass alle bedeutsamen Daten auch wirklich erhoben werden
- Das Anamneseschema:
- vor Beginn des Gesprächs wird festgehalten, wann (Datum) die Anamnese mit wem und durch wen durchgeführt wird
- 1. allgemeine Fragen
- d.h. Daten, die in jeder Anamnese erhoben werden müssen
- 2. spezielle Fragen
- d.h. solche, mit denen die bestimmte Symptomatik und die Verursachung der Schwierigkeiten aufgedeckt werden können
3.2. Die Gliederung des Anamneseschemas
1. Allgemeine Fragen
a) Grund der Vorstellung
b) Wohnorte und äußerer Lebensrahmen
c) Krankheiten
- sowohl die durchgemachten Krankheiten als auch der allgemeine Zustand des Kindes und chronische Gebrechen
d) Biographie
- umfasst die vollständige Entwicklung des Kindes sowie eine augenblickliche Zustandsbeschreibung
- Schwangerschaft / Geburt
- Erstes Lebensjahr
- Orale Entwicklung
- Sprachentwicklung
- Reinlichkeit
- Auseinandersetzung mit Mitmenschen
- Zärtlichkeit / Sexualität
- Frühe Kindheit
- Einschulung
- Schulalter
- Pubertät
- Augenblickliche Situation
e) Familiensituation und Umweltbeziehungen
- hieraus schließt der Berater unter anderem auf Erziehungshaltungen und Normen im Elternhaus
f) Familienanamnese
- bezieht sich auf Eltern, Großeltern und Geschwister
g) Eindruck von der Bezugsperson
- hier geht es um den persönlichen ersten Eindruck des Beraters von der Bezugsperson
2. spezielle Fragen
- hierbei werden zwei Gesichtspunkte berücksichtigt:
1. Frage nach den Symptomen (bzw. nach bestimmten Schwierigkeiten, Verhaltensabweichungen)
2. Frage nach der Verursachung
(- angesichts der in unserem Seminar vertretenen Fachrichtung beschränke ich mich auf die Bereiche zu den Sprach- und Sprechstörungen)
b) Sprach- und Sprechstörungen
I. zur Art der Symptomatik:
i. bei Hörstörungen
ii. bei Hörstummheit (für Kinder über drei Jahre)
iii. Stammeln nach dem 5. Lebensjahr
iv. Lispeln
v. Poltern
vi. Stottern
II. zur Sprachentwicklung
III. zur Feststellung körperlicher Störungsursachen
IV. zur Feststellung kontinuierlicher Störungsursachen
V. zur Feststellung psychischer Störungsursachen
3.3. Die Erhebung mit dem Anamneseschema
- das Verhalten der Mutter bestimmt den Verlauf der Anamnese nachhaltig
- Kemmler unterscheidet drei Arten von Müttern / drei verschiedene Verhaltenstypen:
1. die ‚ideale’ Mutter (recht häufig)
- sachlich und warmherzig
- gibt erschöpfend Auskunft ohne abzuschweifen
- viele Fragen erübrigen sich
2. die zurückhaltende, gesperrte Mutter (im Extremfall eher selten)
- Aussagestörungen
- reagiert nicht spontan, sondern gibt nur knappe Antworten auf eine Frage
- Anamnese wird zu einer Ausfragerei
3. die umschweifig berichtende Mutter (sehr häufig)
- kommt immer wieder vom Thema ab
- berichtet viel Nebensächliches
- wichtig: taktvolles aber entschiedenes Beschneiden des Redestroms / Zurückführen zum Thema
- die Erfahrung zeigt, dass immer ein Entwicklungs- oder Problemkreis ganz abzufragen ist
➔ so wird vermieden, dass wichtige Fragen vergessen werden
- die Art der Fragen muss sich dem geistigen Niveau der Mutter anpassen, manchmal sind Beispiele zur Erläuterung nötig
- sobald die Mutter im Gespräch ein einschlägiges Thema berührt (Krankheiten, hervorstechende Auffälligkeiten) können alle Fragen bezüglich dieses Themenkreises eingeschoben werden
4. Die Auswertung der Anamnese
- die Aussagen der Anamnese müssen ausgewertet werden, einzelne Störfaktoren, das Erziehungsmilieu und die Persönlichkeit des Gesprächspartners müssen berücksichtigt werden, um eine Diagnose der kindlichen Schwierigkeiten erstellen zu können
- wichtig: das Bezugssystem des Berichtenden muss berücksichtigt werden
- es wird meistens nicht mit dem des Berater übereinstimmen (Laie / Profi; Wissensgefälle)
➔ Beispiel S. 59
- es ist möglich, dass die Angaben der Mutter nicht immer der Wirklichkeit entsprechen (bewusstes Verschweigen bis Erinnerungstäuschung)
➔ Berater muss Verlässlichkeit der Aussagen abschätzen
4.1. Auswertungsschema
- Anamnese ist ein komplexes Ganzes, ihre Auswertung ist nicht zu mathematisieren (Intelligenztest)
- Sinn einer Anamnese: Zusammenfassung bestimmter Daten unter aussagekräftige
Oberbegriffe
➔ Erstellung einer genetischen Diagnose
- folgendes Auswertungsschema hat sich in der Praxis bewährt:
1. Störungen durch Umweltfaktoren
a) Störfaktoren im Lebensraum
- z.B. ungünstige Wohnverhältnisse, mangelnder Spielraum. Heimaufenthalte
b) Störfaktoren im Erziehungsmilieu
- z.B. Trennung der Eltern, Tod eines Elternteils, Großelternerziehung, Überforderung der Eltern etc.
c) Störfaktoren in den einzelnen Entwicklungsphasen
- z.B. verfrühte, strenge Reinlichkeitserziehung, zu frühe Einschulung
2. Körperliche Krankheiten / Handicaps
3. Konstitution
- u.a. augenscheinliches Befinden des Kindes (blaß, sehr aktiv, anfällig für Krankheiten)
- Schlafgewohnheiten / -probleme
4. auffällige Verhaltensweisen
- z.B. sehr aggressiv, autoaggressiv, quält Tiere, streitet häufig
5. positive Persönlichkeitszüge und Umwelteinflüsse
- hierher gehören die Daten, die komplementär zu den unter 1. genannten sind
a) Lebensraum:
- z.B. das Kind kommt gut in der Schule zurecht
b) Erziehungsmilieu:
- z.B. die Eltern führen eine harmonische Beziehung etc.
6. Hinweise für eine dynamische Zusammenschau der oben erfassten Daten
7. Hinweise für eine Diagnose
4.2. Diagnosefindung
- gründliche Abwägung verschiedener, den Symptomen entsprechender Diagnosen sehr wichtig
- zur Erleichterung der Diagnosefindung führt Kemmler ein Ursachenschema kindlicher Verhaltensstörungen auf, das auf Grund seiner Komplexität hier nicht näher erläutert werden soll
Anhang
FOLIE 1
Bedeutung der Anamnese innerhalb der Untersuchung und Behandlung eines Kindes
1. Begegnung und Kontakt mit den ratsuchenden Eltern / Förderung einer Vertrauensbasis zwischen Eltern und Berater
2. Kennenlernen der Schwierigkeiten und Symptome des Kindes
3. detailliertes Bild von Entwicklung und Persönlichkeitsstruktur des Kindes um den
→ Rückschluß auf die psychodynamischen Vorgänge machen zu können, die die Störungen des Kindes verursachen;
wichtig hierfür ist die gesamte Biographie des Kindes sowie aktuelle bedeutsame Verhaltensweisen
4. Einblick in die aktuelle Lebensumwelt des Kindes
5. Erstellung einer genetischen Diagnose
(Genese der Störung)
FOLIE 2
Haltungen und Gefühle der Bezugsperson
- Unsicherheit, Verängstigung
- Sorge, Verzweiflung über die Schwierigkeiten des Kindes
- Schuldgefühle
- Ablehnung gegenüber dem Berater, weil der Besuch nicht freiwillig, sondern auf Drängen bestimmter Institutionen (Schule, Jugendamt u.ä.) erfolgt
- ablehnende Einstellung gegenüber dem Kind, das Kind wird für die Probleme verantwortlich gemacht
- unrealistische Einschätzung des Beraters:
- Berater als Untersuchungsrichter
- Berater als allwissender 'Heilbringer'
Folie 3&4
Die Gliederung des Anamneseschemas
3. Allgemeine Fragen
a) Grund der Vorstellung
b) Wohnorte und äußerer Lebensrahmen
c) Krankheiten
d) Biographie
- umfasst die vollständige Entwicklung des Kindes sowie eine augenblickliche Zustandsbeschreibung
e) Familiensituation und
Umweltbeziehungen
- hieraus schließt der Berater unter anderem auf Erziehungshaltungen und Normen im Elternhaus
f) Familienanamnese
- bezieht sich auf Eltern, Großeltern und Geschwister
g) Eindruck von der Bezugsperson
- hier geht es um den persönlichen ersten Eindruck des Beraters von der Bezugsperson
4. spezielle Fragen
- hierbei werden zwei Gesichtspunkte berücksichtigt:
3. Frage nach den Symptomen (bzw. nach bestimmten Schwierigkeiten, Verhaltensabweichungen)
4. Frage nach der Verursachung
b) Sprach- und Sprechstörungen
I. zur Art der Symptomatik:
i. bei Hörstörungen
ii. bei Hörstummheit (für Kinder über drei Jahre)
iii. Stammeln nach dem 5. Lebensjahr
iv. Lispeln
v. Poltern
vi. Stottern
II. zur Sprachentwicklung
III. zur Feststellung körperlicher Störungsursachen
VI. zur Feststellung kontinuierlicher Störungsursachen
VII. zur Feststellung psychischer Störungsursachen
FOLIE 5
Das Auswertungsschema
8. Störungen durch Umweltfaktoren
a) Störfaktoren im Lebensraum
b) Störfaktoren im Erziehungsmilieu
c) Störfaktoren in den einzelnen Entwicklungsphasen
9. Körperliche Krankheiten / Handicaps
10. Konstitution
- u.a. augenscheinliches Befinden des Kindes
- Schlafgewohnheiten / -probleme
11. auffällige Verhaltensweisen
12. positive Persönlichkeitszüge und Umwelteinflüsse
- hierher gehören die Daten, die komplementär zu den unter 1. genannten sind
13. Hinweise für eine dynamische Zusammenschau der oben erfassten Daten
14. Hinweise für eine Diagnose
HANDOUT
Seminar: Diagnostische Methoden in der Sprachheilpädagogik
Dozent: Dr. Berthold Neumann
Referentin: Friederike Sturm
Datum: 11. Juni 2001
Thema: Die Anamnese in der Erziehungsberatung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Literaturangabe:
Kemmler, Lilly: Die Anamnese in der Erziehungsberatung, 4. Aufl., Hans Huber Verlag,
Bern 1980
Anamnese: (grch: Erinnerung, Wiedererinnerung, Gedächtnis)
- medizinisch:
das Erfragen der Lebensgeschichte eines Patienten (biographische Anamnese) oder
das Erfragen der Vorgeschichte einer Krankheit durch den Arzt, Psychotherapeuten oder Berater
(Quelle: dtv Brockhaus Lexikon)
- Teil der gesamten Behandlung eines Patienten (Anamnese, Untersuchungen,
Diagnoseerstellung, Therapie)
Das Gespräch:
- freies Gespräch (kein Ausfüllen eines vorfixierten Fragebogens, kein Verhör)
- Kombination aus freier Äußerung der Bezugsperson und gezielten Fragen des Beraters
➔ der Berater sollte sich jedoch an einem Anamneseschema orientieren
Das Anamneseschema:
1. Festhalten, wann (Datum) die Anamnese mit wem durch wen durchgeführt wird
2. allgemeine Fragen
- d.h. Daten, die bei jeder Anamnese erhoben werden müssen
3. spezielle Fragen
- d.h. solche, mit denen die bestimmte Symptomantik des Kindes und die Verursachung der Schwierigkeiten aufgedeckt werden können wichtig: es sollte immer erst ein Entwicklungs- und Problemkreis ganz abgefragt werden, bevor ein neuer angesprochen wird
Die Auswertung der Anamnese:
- bei der Auswertung müssen verschiedene Störfaktoren, das Erziehungsmilieu, die Persönlichkeit des Erziehenden und dessen Bezugssystem berücksichtigt werden
- die Auswertung ist nicht zu mathematisieren, durch gezielte Zusammenfassung kann der Berater zu einer gerechtfertigten genetischen Diagnose kommen
➔ Kemmler bietet hierfür ein Auswertungsschema, bei dem folgende Aspekte berücksichtigt werden:
1. Störungen durch Umweltfaktoren (im Lebensraum, im Erziehungsmilieu, während der Entwicklungsphasen)
2. Körperliche Krankheiten / Handicaps
3. Konstitution
4. Auffällige Verhaltensweisen
5. Positive Persönlichkeitszüge und Umwelteinflüsse
6. Hinweise für eine dynamische Zusammenschau der erfassten Daten
7. Hinweise für eine Diagnose
- Arbeit zitieren
- Friederike Sturm (Autor:in), 2001, Die Anamnese in der Erziehungsberatung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106560