Was brauchen arme Kinder – mehr Geld oder mehr Zuwendung?
Kinderarmut ist ein heiß diskutiertes Thema. Egal wie oft fehlendes Geld als Hauptproblem angesehen wird, meist mangelt es betroffenen Kindern nicht nur am Materiellen, sondern auch an Zuwendung, Chancen und Bildungsmöglichkeiten.
Kinderarmut ist Familienarmut
Kinder sind natürlich nicht für sich arm, da sie kein Einkommen haben. Doch Kinder, die als arm gelten, werden in Familien groß, in denen eine relative materielle Kinderarmut herrscht. Arme Eltern und arme Kinder gehören immer zusammen. Darum ist es auch nicht richtig, Kinderarmut isoliert zu betrachten.
Es sind schließlich nicht die Kinder, die sich verschulden oder einem Job mit geringem Verdienst nachgehen müssen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten.
Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen
Relative Armut hat ein anderes Gesicht
Doch der häufige Gebrauch des Wortes erzeugt oft falsche Vorstellungen: Arme Kinder in Deutschland müssen nicht vor Hunger betteln, sie schlafen nicht auf der Straße oder tragen zerlumpte Kleidung. Die Bilder von Armut, die wir aus 3. Welt Ländern oder Flüchtlingslagern kennen, haben mit relativer Armut wenig zu tun.
Arme Familien in Deutschland haben ein Dach über dem Kopf, Blumen auf ihrem Balkon, einen Fernseher und oft auch ein Haustier. Kinder in Armut fallen äußerlich gar nicht auf. Trotzdem fehlt es ihnen an unglaublich Vielem.
Vgl. auch: Fakten zu Kinderarmut 2023 – Überblick & zentrale Erkenntnisse
Allen voran: sozialer Teilhabe und Bildungsmöglichkeiten.
Armut ist kein materielles, sondern ein soziales Phänomen
Arm ist der, der kein oder zu wenig Geld hat, so die allgemeine Definition. Armut wird so auf eine quantitative, materielle Ebene reduziert.
Allerdings lässt sich Kinderarmut nicht ausschließlich auf den Mangel an materiellen Gütern gründen.
So gesehen ist Armut immer ein soziales Phänomen: ein Zustand großer, sozialer Benachteiligung im Vergleich zur restlichen Bevölkerung. Relative Kinderarmut beinhaltet eine soziale und kulturelle Verarmung.
Existenzsicherheit verändert Eltern
Finanzielle Mittel helfen gegen Familien- und Kinderarmut. Das ist durch viele Studien belegt. Vorausgesetzt, den Menschen wird nicht vorgeschrieben, was sie brauchen und kaufen dürfen – Geld hilft gegen Armut
Arme Kinder brauchen Zuneigung, Förderung & Sicherheit
Doch obwohl es diese Maßnahmen gibt, ist die Kinderarmut 2021 in Deutschland weiter gestiegen. Das liegt zum einen an der falschen Bedarfsermittlung. Ein Kind braucht oft viel mehr als vom Staat als Regelsatz berechnet. Die Kindergrundsicherung ist daher nur ein 1. Schritt, denn Kinderarmut in Deutschland ist nun mal keine rein materielle Frage. Zwar kommt ein Großteil der armen Kinder aus finanziell schwachen Familien – das stimmt schon – doch Kleidung, Essen und Schulsachen sind meistens vorhanden. Dafür entbehren die Kids an wichtigen emotionalen Grundbedürfnissen, Teilhabe-Möglichkeiten, Bildungsangeboten und Zukunftsperspektiven.
Vgl. auch Bildungsexpansion – mehr Bildung ist nicht die Lösung – » Mehr erfahren: Kinderarmut: Bildung bietet keinen Schutz
Emotionale & kulturelle Verarmung – die eigentliche Gefahr für arme Kinder
Was sozial bedürftige Kinder in Deutschland wirklich brauchen, ist mehr Zeit und Zuwendung von Seiten der Eltern und anderen Bezugspersonen. Denn vielen von ihnen mangelt es an Vorbildern und Inspirationen innerhalb der Familie.
Arme Kinder haben also niemandem in ihrem nahen Umfeld, der ihnen zeigen könnte, wie man sich aus der Armut befreit. Viele von ihnen sind beim Eintritt in Kindergarten nicht so weit entwickelt, wie ihre Altersgenossen, weil sie als Kleinkinder weniger gefördert werden.
Nicht anders läuft es, sobald bedürftige Kinder eingeschult werden. Mittellose Kids haben deutlich schlechtere Noten als ihre Mitschüler und kommen schlechter in der Schule mit. Kein Wunder also, dass sie den Übergang aufs Gymnasium sehr viel seltener schaffen als andere – und damit deutliche Einschränkungen in ihren Zukunftsmöglichkeiten hinnehmen müssen.
„Die qualitativen Analysen verdeutlichen den komplexen Zusammenhang von materieller Belastung und psychosozialen Gestaltungsfähigkeiten. Die Kinder wachsen in einem belasteten und belastenden Umfeld auf, das ihnen begrenzte Handlungs- und Entwicklungsspielräume verschafft.
Die kindliche Situation wird bestimmt durch Einschränkungen materieller wie immaterieller Art. Ein außerfamiliärer Ersatz oder ein Schutz davor ist nur selten gegeben.“ (4)
Kinderarmut ist damit weit mehr als zu wenig Geld zu haben.
Kinderarmut heißt soziale Ausgrenzung, stetiger Verzicht, häufige Schamgefühle und Benachteiligung. Vgl. auch Kinderarmut & Scham
Was wünschen sich arme Kinder & ihre Familien?
Wie wenig es ums Materielle geht, zeigt eine Studie, die von der Arbeitsgemeinschaft für Familienorganisation vorgestellt wurde (5): „Unser Kind soll es einmal besser haben“ lautete die Antwort der meisten Eltern.
Die Erwartungen an ein schönes Familienleben orientieren sich dabei an den normalen Mittelschicht-Familien. Weder betroffene Eltern noch Kinder hatten also überzogene Vorstellungen oder unmögliche Ansprüche.
Die Forscher konnten so 10 Dimensionen herausarbeiten, die für mittellose Kids und ihre Eltern wichtig sind:
1) Erfüllung existenzieller Grundbedürfnisse
dazu zählen Kleidung, Wohnung, Gesundheit und regelmäßige, warme Mahlzeiten – für arme Familien keine Selbstverständlichkeit.
2) Geld sparen können
um sich einmal etwas gönnen zu können oder im Notfall darauf zurückzugreifen. Doch die meisten einkommensschwachen Familien haben keinerlei Möglichkeiten zu sparen.
3) Ruhepausen und Freizeit
Während die Eltern hier Ruhepausen anführten, um Kraft sammeln zu können, sprachen sich ihre Kinder für mehr Freizeit für Hobbys aus.
4) „Arbeit haben“
Gleichzeitig war aber auch Fürsorge für die Familie sehr wichtig.
5) Mobil zu sein ist im Alltag wichtig,
um sich selbstständig und kompetent von A nach B bewegen zu können.
6) Viele wünschen sich ein seriöses Wohn-Umfeld,
genauso wie sichere Schulwege und gute Versorgungsleistungen (Ärzte, Einkaufen). Arme Familien spüren sehr genau, ob die Allgemeinheit ihren Wohnort als normal einstuft oder nicht.
7) Schulbildung
Wirklich alle Kinder, die an der Studie teilnahmen, gaben Bildung & Schule als wichtige Faktoren für ein schönes Familienleben an.
8) Medien
Auch Medien, wie Handy oder PC, stehen bei mittellosen Kindern hoch im Kurs. Klar, heutzutage braucht es Medien zur sozialen Teilhabe.
9) Gemeinsame Familienzeit
wünschten sich Kinder und Eltern. Am meisten fühlten sie sich benachteiligt, wenn kein Geld da war, um in den Urlaub zu fahren oder das Hobby des Kindes zu unterstützen/ermöglichen.
10) Naturerlebnisse
sind bedürftigen Familien sehr wichtig. Allerdings oft nicht umzusetzen, da sich ohne Auto oder gute Verkehrsanbindung (Bus, Bahn) schwer Ausflüge in die Natur planen lassen.
Was Kinder brauchen – Kinder benötigen Sicherheit, Werte & Zeit
Kinder brauchen nicht nur Essen, Kleidung und ein Zuhause, sondern noch viel mehr, um sich gesund zu entwickeln und glücklich zu sein. Klar, zu den 7 Grundbedürfnissen von Kindern zählen liebevolle Nähe und Sicherheit. Doch was braucht ein Kind konkret?
Quellen:
1) Wikipedia: Armut
2) Christine Brinck: Fürsorgepflicht statt Finanzierung
3) Felix Berth: "Kinder brauchen mehr als zehn Euro für den Sportverein"
4) AWO-ISS-Längsschnittstudie „Kinderarmut“: Zukunftschancen für Kinder!? – Wirkung von Armut bis zum Ende der Grundschulzeit
5) AGF Rheinland-Pfalz: Familien-Leben in Armut – was für eine Leistung!
6) Bepanthen® - Kinderförderung: Arme Kinder brauchen mehr als eine warme Mahlzeit
7) Zeit online: Fast jedes fünfte Kind in Deutschland von Armut bedroht
8) Svenja Meier: Armutsverschärfer Corona
9) Mein Grundeinkommen: Brauchen Kinder Grundeinkommen?