Die Folgen von Armut
Welche Folgen hat Armut in der Kindheit?
Wer gilt als arm?
Armut wird unterschiedlich definiert. Wir unterscheiden zwischen absoluter und relativer Armut.
Absolute Armut findet man insbesondere in Entwicklungsländern. In Deutschland kommt sie eher selten vor. Menschen, die in absoluter Armut leben, können ihre wichtigsten Grundbedürfnisse nicht befriedigen.
Bei uns in Deutschland haben die meisten Menschen ein Dach über dem Kopf. Sie haben Kleidung am Körper und Essen im Kühlschrank. Deshalb spricht man hierzulande von relativer Armut.
Bei uns gelten Menschen als arm, die weniger als 60% des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. Davon sind in Deutschland knapp 20% der Menschen betroffen.
Von Armut bedrohte Menschen sind oft nach außen hin kaum zu erkennen. Ihr Leben an der Armutsgrenze hat aber weitreichende Folgen. Viele Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien müssen mit schwerwiegenden Folgen kämpfen.
Vgl. auch: Fakten zu Kinderarmut 2023 – Überblick & zentrale Erkenntnisse
Vgl. auch Kinderarmut erkennen – subtile Anzeichen
Die Folgen sind real
Leider erfährt Kinderarmut in Deutschland wenig Aufmerksamkeit. Betroffene Kinder sind immer noch unsichtbar. Es wird Zeit, ihre Sorgen und Bedürfnisse mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Sie sollten ein Sprachrohr erhalten.
Immerhin gibt es einige Berichte von betroffenen Menschen. Menschen, die aus ihrer Erwachsenenperspektive zurückblicken. Sie erlauben einen ehrlichen und tiefen Einblick in ein wenig beleuchtetes Thema.
Einer von ihnen ist Olivier David. Er hat ein Buch über seine Kindheit geschrieben.
In “Keine Aufstiegsgeschichte: Warum Armut psychisch krank macht” beschreibt er, wie sehr eine prekäre wirtschaftliche und soziale Situation Kinder bis ins Erwachsenenalter hinein prägt.
Und das, obwohl Olivier David seine Kindheit nicht einmal als extrem schlecht einschätzt.
David empfindet eine Kindheit in Armut dennoch als stressig und krankmachend. Seine Sichtweise ist klar: Eine Kindheit in Armut kann negative Folgen für das ganze Leben haben.
Wenn das Geld nie ausreicht
Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien wachsen mit einem ständigen Druck auf. Sie leiden unter dem materiellen Mangel in ihrer Familie. Sie bemerken den Stress ihrer Eltern. Sie spüren die Verzweiflung, dass das Geld nicht vorn und hinten reicht. Sie werden in die Problematik hineingezogen.
Im Alltag kommen die Eltern immer wieder finanziell an ihre Grenzen. Wenn die Waschmaschine kaputt geht, gibt es kein Geld für eine neue. Oder der Strom wird abgedreht, weil kein Geld für die Rechnung bleibt.
Keine soziale Teilhabe
Soziale Teilhabe bedeutet, gleicher Zugang zum gesellschaftlichen Leben wie besser gestellte Kinder. Kindern aus sozial schwachen Familien fehlt so viel.
Sie können beispielsweise keine Geburtstagsparties feiern. Sie dürfen auch keine Einladungen von Freunden annehmen: Die Eltern haben kein Geld für ein Geburtstagsgeschenk. Und eine Gegeneinladung ist nicht möglich. Vgl. auch: Kind hat keine Freunde im Kindergarten – Ursachen & Tipps
Olivier David beschreibt, dass er alle seine Geburtstage immer nur allein mit seiner Mutter und seiner Schwester gefeiert hat.
Das Gefühl des Ausgeschlossen seins prägt sich schon im frühesten Kindesalter ein. Wirtschaftlich schwache Kinder werden in der Schule oft diskriminiert und ausgeschlossen. Die betroffenen Kinder wachsen mit einem wenig ausgeprägten Selbstbewusstsein auf. Ihr Leben ist von klein auf ein Kampf.
Die mangelhafte Ernährung
Obst und Gemüse sind teuer
Die Ernährung im Kindesalter legt den Grundstein für später. Satt werden alleine reicht nicht. Es gibt nicht umsonst den Spruch „Du bist, was Du isst“.
Kinder brauchen eine gesunde und ausgewogene Ernährung, um sich gut zu entwickeln. Mit einem geringen Einkommen ist das kaum möglich.
Deshalb greifen wirtschaftlich schwache Menschen oft auf industriell verarbeitete Lebensmittel zurück. Sie kaufen große Pakete Nudeln und Reis im Discounter.
Auf dem Speiseplan steht viel preisgünstiges Fleisch und Wurst. Das Wichtigste ist, satt zu werden. Dabei übersäuert der Körper. Die Unterversorgung an wichtigen Nährstoffen führt zu dem sogenannten „Versteckten Hunger“.
Versteckter Hunger bleibt lange unerkannt
Der Begriff „versteckter Hunger“ kann irreführend sein: Wer an verstecktem Hunger leidet, fühlt sich nämlich nicht hungrig. Der Bauch ist voll, der Magen ist gefüllt. Das Problem aber ist: Der Bedarf an lebenswichtigen Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen ist bei Weitem nicht gedeckt.
Der versteckte Hunger ist gefährlich, weil er sehr lange unentdeckt bleiben kann. Die chronische Unterversorgung kann schwerwiegende körperliche Folgen haben.
Hinzu kommt, dass Kinder aus weniger gebildeten Eltern weniger Wert auf eine gesunde Ernährung und medizinische Versorgung der Kinder legen.
Mit gravierenden Entwicklungsbeeinträchtigungen. Kinder aus armen Familien haben oft eine geringere Knochendichte und bleiben kleiner. Sie sind gefährdet, Krankheiten wie Typ-II-Diabetes zu entwickeln.
Die Verbindung von Körper und Psyche
Die Auswirkung von Ernährung auf die Psyche
Die Wissenschaft vermutet, dass die Ernährung einen großen Einfluss auf die psychische Gesundheit hat. Vitamin- und nährstoffreiche Lebensmittel könnten das Risiko für eine Depression senken.
Wer sich ungesund ernährt, kann verschiedenste gesundheitliche Probleme entwickeln. Die in Wurst enthaltenen Pökelsalze beispielsweise stehen im Verdacht, psychische Störungen zu begünstigen oder womöglich zu verstärken. Das gleiche gilt für Fast Food.
Wer sich hingegen gesund ernährt, ist auch leistungsfähiger. Dieses mehr an Energie motiviert zum Sport treiben. Wer sich fitter und wacher fühlt, bewegt sich mehr. Wirtschaftlich schwache Kinder haben wenig Geld für Freizeitaktivitäten. Viele von ihnen sind körperlich wenig aktiv.
Psychische Krankheiten
Armut ist ein Risikofaktor für psychische Krankheiten. Viele psychische Krankheiten haben ihren Ursprung in der Kindheit. Die Zahl an Kindern, die an Depressionen und Angststörungen leiden, steigt stetig. Stress in der Kindheit ist einer der wichtigsten Auslöser.
Viele Menschen, die in Armut leben, erkranken psychisch. Einer Studie des Robert Koch-Instituts zufolge leiden rund ein Drittel der Männer und mehr als 40 Prozent der Frauen aus der unteren sozialen Statusgruppe an einer psychischen Erkrankung.
Kinder aus armen Familien sind in vielerlei Hinsicht stark gefährdet. Sie sind ständigen Stressfaktoren ausgesetzt. Zuhause gibt es immer Druck. Immer fehlt das Geld irgendwo.
Diese Stressfaktoren bedeuten wenig Zeit und Energie, um sich um die Psyche zu kümmern. Olivier David gibt Beispiele: Wirtschaftlich schwache Menschen müssen auf dem Wohnungsmarkt heftiger kämpfen. Und dann eher dort leben, wo es lauter und beengter ist.
Zudem gibt es kein Geld für unvorhergesehene Aufgaben.
Oft haben die Eltern nicht aufgearbeitete Traumata. Sie entstammen selbst einem Elternhaus, in dem Suchtproblematiken oder psychische Krankheiten an der Tagesordnung waren.
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Ausblick
Olivier David ist heute über 30 und in psychotherapeutischer Behandlung. Bei ihm wurde ADHS diagnostiziert, eine posttraumatische Belastungsstörung und Depression (Vgl. auch Umgang mit ADHS-Kindern). Er leidet noch immer an den Folgen seiner Kindheit. Der junge Mann ist überzeugt, dass es nur wenige Menschen schaffen, ihrer Kindheit in Armut zu entkommen.
Das oft gängige Bild hingegen ist, dass es jeder Mensch schaffen kann. Unser Bildungssystem suggeriert, dass soziale Schichten durchlässig sind. Es verspricht: Wer sich genug anstrengt, dessen Leistung wird belohnt.
Dem gegenüber steht, dass es sehr viele ganz klar nicht schaffen. Vgl. Soziale Armut – über Soziale Ungleichheit & Ausgrenzung