Zum Inhalt springen

Politik, Wirtschaft, Technologie Wie China schon heute die Welt beherrscht

China hat die Schwelle zur Supermacht überschritten. Und der Westen hat noch immer nicht begriffen, was das bedeutet.
Präsident Trump, Xi mit Ehefrauen am 8. November in Peking: Der "Führer der freien Welt" ist auf Abschiedstour

Präsident Trump, Xi mit Ehefrauen am 8. November in Peking: Der "Führer der freien Welt" ist auf Abschiedstour

Foto: Jim Watson / AFP
Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?

Mit dieser Weltkarte stimmt etwas nicht. Sie hängt im Blauen Saal des Außenministeriums in Peking, majestätisch groß über einem Podium mit zwei roten Fahnen. Europa liegt auf dieser Karte, ziemlich zerquetscht, am linken oberen Rand, darunter Afrika, das deutlich besser zu erkennen ist. Amerika, in westlichen Atlanten stets auf der linken Seite, liegt rechts außen, tief im Osten. Im Zentrum der Karte: die Leere des Pazifiks. Gleich daneben aber, wie ein mächtiger Bauch aus der eurasischen Landmasse ragend: China, das Reich der Mitte. Ganz Asien schaut anders auf die Welt als der Westen, der es jahrhundertelang dominierte. Das war schon früher so, es ist nur vielen Europäern und Amerikanern nicht aufgefallen. Je reicher und je selbstbewusster aber Asiens Großmacht China wird, desto bedeutender wird Pekings Blick auf den Globus.

Zwölf Tage lang reist US-Präsident Donald Trump zurzeit durch Asien, am Mittwoch landete die Air Force One auf dem Pekinger Flughafen.

Trumps Reise hat - ungewollt - etwas von einer Stabübergabe: Der irrlichternde "Führer der freien Welt" begibt sich auf eine Art Abschiedstour. Es ist der Abschied von einer Ära, in der jahrzehntelang die Machtzentren der Welt klar definiert waren und die amerikanische Führungsrolle nie infrage gestellt wurde.

"Ich zolle China großen Respekt", sagte Trump, der Peking noch im Wahlkampf vorgeworfen hatte, es "vergewaltige" die USA mit seiner unfairen Wirtschaftspolitik. "Wer kann einem Land vorwerfen, dass es ein anderes Land zum Nutzen seiner eigenen Bürger übervorteilt?"

Es war wie ein Kotau, die ritualisierte Geste, mit der sich ausländische Gesandte dem Kaiser von China früher zu unterwerfen hatten, eine unwürdige Verbeugung vor der Machtfülle, mit der die Kommunistische Partei Staatschef Xi Jinping auf ihrem Kongress im Oktober ausgestattet hatte - und die Trump offenbar imponiert.

Pekings Machtanspruch geht über China längst hinaus. Es ist ein globaler Anspruch. Das politische Modell seines Landes, sagte Xi auf dem Parteitag, sei "eine große Schöpfung" und ein Modell für andere Staaten: "Unsere chinesische Zivilisation erstrahlt in dauerhafter Pracht und Herrlichkeit."

So haben Chinas Herrscher seit dem Ende des Kaiserreichs nicht mehr gesprochen, nicht einmal Mao Zedong. Dessen Nachfolger Deng Xiaoping beschwor seine Genossen, mit Chinas wachsendem Gewicht behutsam umzugehen. "Verbirg deine Stärke und warte ab", lautete sein Leitsatz.

Mit dieser Doktrin der Zurückhaltung hat Xi Jinping gebrochen. Seine Parteitagsrede klang wie der Ruf nach dem "Platz an der Sonne", mit dem das wilhelminische Deutschland vor mehr als hundert Jahren seinen globalen Anspruch formulierte. Die Welt, sagte Xi, stehe am Beginn eines neuen "Zeitalters, in dem China ins Zentrum vorrücken wird".

Das ist mehr als eine Absichtserklärung, es ist die Beschreibung einer Realität: Chinas Aufstieg verändert die Welt. Seine politische und wirtschaftliche Kraft, seine Aufrüstung und sein wissenschaftlicher Fortschritt haben das Land in den Rang einer Weltmacht katapultiert, wie sie der Westen seit dem Führungswettlauf während des Kalten Krieges nicht mehr gesehen hat.

Skyline von Shanghai: Der aufstieg ist ein Langzeitprojekt

Skyline von Shanghai: Der aufstieg ist ein Langzeitprojekt

Foto: FRED DUFOUR/ AFP

Wie einst die Sowjetunion ist China ein repressiver, leninistisch durchregierter Machtstaat, der Widerspruch nicht duldet und jeden Einzelnen brechen kann, der sich dem Ganzen in den Weg stellt. Aber anders als damals die UdSSR ist die Volksrepublik ökonomisch stark und verfügt über ein hochmodernes Arsenal digitaler Überwachungs- und Kontrollwerkzeuge. Und anders als westliche Politiker regieren Pekings Führer, ohne sich von demokratischen Wahlen aufhalten zu lassen.

Washington, beklagt das US-amerikanische Magazin "Foreign Policy", leide unter einem "Aufmerksamkeitsdefizit", wenn es um China gehe. Die Trump-Regierung lasse sich von innenpolitischen Streitereien, dem Antiterrorkampf und Konflikten mit Russland, Iran und Nordkorea ablenken, den Volkswirtschaften Nummer 12, 29 und 113 der Welt - während "China hart daran arbeitet, die Nummer 1 zu werden".

Das gilt für den Westen insgesamt. China ist nicht an den nachrichtenträchtigen Krisen unserer Zeit beteiligt, es produziert selten Skandale, welche die westlichen Schlagzeilen bestimmen. Chinas Aufstieg ist ein Langzeitprojekt. Der kurze Atem unserer Aufmerksamkeit, die sich tagtäglich mit den jüngsten Peinlichkeiten im Weißen Haus befasst, hindert uns daran, die epochale Verschiebung wahrzunehmen, die von China ausgeht.

Spätestens 2050, so die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, also "zwei Jahrhunderte nach den Opiumkriegen, die das Reich der Mitte in eine Phase der Kränkung und der Schande stürzten, wird China an die Spitze der Welt zurückkehren". Sollte jemand versuchen, diesen weiteren Aufstieg von außen zu stören, so die "Global Times", werde Peking "nicht zögern, mit strategischer Kraft zurückzuschlagen oder sich, wenn nötig, auf eine entscheidende Machtprobe vorzubereiten".

Greift China wirklich nach der Weltherrschaft? Will Peking die Pax Americana, die seit dem Ende des Kalten Krieges gilt, durch eine andere Weltordnung ersetzen, notfalls mit militärischer Gewalt? Will die KP die "schlotternden Demokratien" (Xinhua) des Westens stürzen und den Erdball mit autoritären Regimen überziehen?

Die Angst vor einer totalitären Weltmacht China ist nachvollziehbar angesichts des auftrumpfenden Peking dieser Tage. Doch diese Angst geht am Problem vorbei. Die chinesische Herausforderung ist komplizierter.

China profitiert wie wenige andere Länder von der heutigen Weltordnung. Es sind US-Flotten, die die Seerouten sichern, über die Peking seine Rohstoffe bezieht und seine Exporte verschifft. Es ist nicht zuletzt Chinas Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation, der das Land seinen Wachstumsschub verdankt. Das Risiko, diese Weltordnung grundlegend zu verändern, wäre für Peking viel zu hoch, der Nutzen fraglich. China, kritisierte der damalige US-Präsident Barack Obama einmal, sei ein "Trittbrettfahrer" der Pax Americana. Warum sollte es daran etwas ändern?

China will die Welt nicht chinesisch machen. Anders als das katholische Weltreich Spanien und später die kommunistische Sowjetunion oder die republikanischen Vereinigten Staaten kümmert die Chinesen nicht, woran andere Völker glauben, welcher Ideologie sie folgen oder welche Regierungsform sie wählen.

DER SPIEGEL

China hat keine politische Mission, die über seine unmittelbaren wirtschaftlichen und Sicherheitsinteressen hinausginge. Peking vermeidet die politische Parteinahme und unterhält in fast allen großen Konflikten gute Beziehungen zu beiden Seiten - zu Iran und Saudi-Arabien, zu Israel und Palästina, zu Russland und der Ukraine.

Dieses Prinzip der Nichteinmischung bedeutet aber nicht, dass China keinen Einfluss nähme. Er speist sich nur aus anderen Quellen als jenen, die unsere Denkmuster prägen - vor allem aber aus seiner Größe: China hat mehr als doppelt so viele Einwohner wie die Europäische Union (EU), mehr als viermal so viele wie die USA und rund zehnmal so viele wie Russland. Kraft dieser Größe verändert China die Welt schon heute stärker als jedes andere Land, von der sich zurückziehenden Supermacht USA abgesehen.

Wirtschaftlich steuerte China im vergangenen Jahrzehnt ein Drittel zum globalen Wachstum bei. Für 92 Länder der Welt, darunter Deutschland, ist es der größte Handelspartner. China ist der größte Rohstoffimporteur und Automarkt der Welt und produziert mehr Solar- und Windenergie als alle anderen.

In der Digitalisierung prescht Peking ebenfalls vor. China hat die meisten Internetnutzer und Smartphone-Besitzer. Chinas Softwareingenieure konkurrieren mit den amerikanischen Konzernen auf dem Zukunftsfeld der künstlichen Intelligenz, manche US-Experten warnen schon vor einem erneuten "'Sputnik'-Moment". Kein anderes Land erhebt solche Mengen an Daten und wertet sie so hemmungslos aus. 2016 floss nach Schätzungen der Silicon Valley Bank zum ersten Mal etwa so viel Risikokapital nach China wie in die USA; ein Drittel der weltweit 262 Unicorns - Start-ups jenseits einer Milliarde Dollar Marktwert - kommen aus China.

Auch im Sport, in der Kultur und der Wissenschaft verändert China die Weltkarte. Einige der größten europäischen Fußballklubs sind heute in chinesischem Besitz. Hollywoodstudios richten sich zunehmend am chinesischen Kinomarkt aus, wo sie mit manchen Filmen mehr verdienen als in der Heimat. Und Peking investiert massiv in Forschungszweige wie Gentechnik und Quantentechnologie.

Um der Herausforderung zu begegnen, die Chinas Aufstieg für den Westen bedeutet, ist wichtig zu verstehen, was Peking erreicht hat und worauf es hinauswill. Ein Weckruf in fünf ausgewählten Kapiteln: Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik, Kultur - und Fußball.

I. GEOPOLITIK

Töte das Huhn, um die Affen zu erschrecken

Drei US-amerikanische Flugzeugträger kreuzen derzeit mit ihren Verbänden im Westpazifik - Donald Trumps Begleitkommando auf seiner ersten Asienreise.

Auf den ersten Blick richtet sich die Flottenparade an Nordkoreas Diktator Kim Jong Un. Er soll daran erinnert werden, dass seinem Regime die Vernichtung droht, sollte er es wagen, Amerika anzugreifen. Der langfristig gewichtigere Adressat aber ist Peking. China will die Hegemonie der USA im Pazifik brechen, errichtet Stützpunkte im Südchinesischen Meer und rüstet seine Marine auf - schneller und mit mehr Geld denn je, seit Xi Jinping regiert. Im Jahr 2025, warnte US-Generalstabschef Joseph Dunford den Kongress, werde China "die größte Bedrohung für unsere Nation" darstellen.

Nirgends manifestiert sich Chinas neues Selbstbewusstsein aggressiver als in seiner Nachbarschaft, die Peking zunehmend als seine geopolitische Einflusszone versteht. Schon lange spürt das die demokratische Inselrepublik Taiwan, deren Politiker ihr Land als eigenständige Nation betrachten und nicht als Provinz der Volksrepublik. Es spüren aber auch wirtschaftlich auf China angewiesene Staaten wie Kambodscha und Vietnam sowie Großmächte wie Indien und Russland.

Soldaten in Peking

Soldaten in Peking

Foto: Greg Baker / AFP

Besonders drastisch erlebte zuletzt Südkorea Chinas Machtanspruch. An Seoul hat Peking ein Exempel statuiert. Die ganze Welt sollte sehen, was einer Nation widerfährt, die Chinas Willen zuwiderhandelt. Das Chinesische hat ein Sprichwort für diese Art von Diplomatie: Töte das Huhn, um die Affen zu erschrecken.

Der Anlass für Pekings Unmut: Im Frühjahr begann Südkorea, das US-Raketenabwehrsystem Thaad zu stationieren, um sich gegen die Bedrohung aus Nordkorea zu wappnen. Peking protestierte, weil das Radar sich auch dazu eignet, tief nach China hineinzuspionieren. Seoul blieb hart.

So lernte die elftgrößte Volkswirtschaft, was passiert, wenn China seine wirtschaftliche Macht ausspielt. Der Mischkonzern Lotte, auf dessen Gelände Seoul Thaad stationiert hatte, wurde mit einer "patriotischen" Kampagne überzogen; Dutzende der etwa hundert Lotte-Märkte in China mussten schließen, weil Pekings Behörden dort "unzureichenden Brandschutz" festgestellt hatten. Vergangene Woche, unmittelbar vor Trumps Besuch, "einigten" sich Peking und Seoul dann plötzlich. Südkorea versprach, keine weiteren Thaad-Batterien mehr zu bestellen.

Die Staaten innerhalb der sogenannten ersten Inselkette, die von Hokkaido im Norden bis Mindanao im Süden reicht, stehen unter Chinas Beobachtung. Peking will sich den Westpazifik als strategischen Vorhof sichern - ähnlich wie einst die aufstrebenden USA mit der Monroe-Doktrin die Karibik samt Anrainer als ihre Einflusszone definierten. Im Südchinesischen Meer ist die Gefahr am größten, dass China seine Interessen eines Tages militärisch durchsetzt.

Mit seiner ganzen ökonomischen Macht dagegen wendet sich China Richtung Westen. Die "neue Seidenstraße", Xi Jinpings zentrales außenpolitisches Projekt, sieht vor, Staaten zwischen China und Europa mit einem Netzwerk von Straßen, Eisenbahntrassen, Häfen und Pipelines zu überziehen, ganz wesentlich finanziert und errichtet von chinesischen Banken, Ingenieuren und Arbeitern. Die 900-Milliarden-Dollar-Initiative, im Westen zunächst belächelt, nimmt nun Gestalt an. Von Tiefseehäfen in Malaysia und Pakistan bis zu Industriezonen in Polen und Weißrussland wird immer deutlicher sichtbar, wie ambitioniert Chinas Ziele sind.

Die neue Seidenstraße, sagt Bundesaußenminister Sigmar Gabriel, sei keine sentimentale Erinnerung an den venezianischen China-Reisenden Marco Polo, sondern "nach einem eventuellen Rückzug der USA aus der liberalen Welt- und Handelsordnung die weltweit einzige existierende geopolitische Strategie" überhaupt. Es sei falsch, Peking seine großen Pläne vorzuwerfen: "Im Gegenteil: Die neue Seidenstraße zeigt, wie weitsichtig dort gedacht und gehandelt wird."

Europa müsse Schlüsse aus Pekings Vormachtstreben ziehen: "Das Problem ist nicht, dass China eine Strategie hat, sondern dass wir keine haben!" Es sei Zeit, dass sich der Westen auf eine gemeinsame Linie einige.

Auch an Chinas umstrittenem Aufstieg zu einem der größten Geldgeber in Afrika entdecken Experten inzwischen Positives: In einer empirischen Studie haben der Heidelberger Entwicklungsökonom Axel Dreher und internationale Experten nachgewiesen, dass Peking sein Geld dort nachhaltig anlegt - zum eigenen und vielfach auch zum Nutzen der Afrikaner.

Peking hilft mit seiner Strategie und seinem Geld nicht nur bedürftigen Staaten in Asien, Afrika und Osteuropa. Es erweitert gezielt auch seinen Einfluss in internationalen Organisationen: In der Uno stellt es inzwischen eines der größten Blauhelm-Kontingente - und unterdrückt zugleich den Widerstand gegen Menschenrechtsverletzungen. In der Weltbank und im Internationalen Währungsfonds möchte China seine Anteile vergrößern - damit aber auch seine Stimmrechte.

Wo es an Grenzen stößt, gründet Peking eigene Institutionen mit umständlichen Namen, aber erkennbarem Ziel: die "Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit", in die Russland und Indien eingebunden sind; die "Regional Comprehensive Economic Partnership", zu der Australien und Japan gehören; die "Asiatische Infrastruktur-Investmentbank", der zahlreiche Mitgliedstaaten der EU beigetreten sind. China will in den Weltfinanz- und Sicherheitsorganisationen eigene Standards setzen.

Auf seiner letzten Peking-Reise im September wurde Sigmar Gabriel von Ina Lepel begleitet, der Leiterin der neuen Asien-Abteilung, die das Auswärtige Amt in diesem Jahr erst eingerichtet hat.

Man könnte sagen: Es war Zeit. Während das Kanzleramt China immer als Chefsache verstand und Angela Merkel insgesamt zehnmal in Peking war, firmierte die neue Weltmacht im Außenministerium bislang in der "Politischen Abteilung 3" - zusammen mit dem Nahen Osten, Lateinamerika und Afrika.

II. FINANZEN

Immobilien, Flugzeuge und Schweinefleisch

Im neuen Frankfurter Europaviertel, hinter der Messe und dem Hauptbahnhof gelegen, herrscht Baustellenatmosphäre. Noch ragen hier mehr Kräne als Bäume und bezugsfertige Häuser in den Himmel. Es sieht ein bisschen aus wie in China.

Deutsche Großstädter sind skeptisch, wenn es um Neubaugebiete geht. "Chinesen hingegen sehen hier moderne Wohnungen, gute Infrastruktur und die zentrale Lage", sagt Lin Dattner, 48. Die Menschen in China sind daran gewöhnt, dass aus Baustellen schnell Häuser werden.

Lin Dattner ist in China geboren und lebt seit mehr als 25 Jahren in Deutschland. 2008 hat sie ein Maklerbüro gegründet, Anjia Immobilien & Consulting. Die Firma ist auf Chinesen spezialisiert, die in Frankfurt am Main oder im Taunus Immobilien erwerben wollen. Ein Drittel von Dattners Kunden braucht eine eigene Bleibe, die meisten aber suchen eine Kapitalanlage.

Mehr als 25 Milliarden Dollar haben Chinesen 2016 für Immobilien im Ausland ausgegeben. In Europa ging der größte Anteil bislang nach London, heute verteilt sich das Geld chinesischer Investoren auch auf andere "Gateway Cities" wie Frankfurt. Chinas Wirtschaftsaufschwung hat enorme Vermögen aufgetürmt. Das gilt ebenso für den Staat, der mit gut drei Billionen Dollar den größten Devisenschatz der Welt besitzt.

Es gilt aber auch für viele chinesische Unternehmen, die ihren Reichtum nutzen, um weltweit Firmen aufzukaufen. Laut einer Studie des Mercator Instituts für Chinastudien (Merics) sind Chinas Auslandsinvestitionen 2016 auf 189 Milliarden Dollar angestiegen, das sind 40 Prozent mehr als im Vorjahr, in der EU sogar 77 Prozent.

Und China kauft strategisch ein: Der staatliche Chemieriese ChemChina hat den Schweizer Agrarkonzern Syngenta erworben (38 Milliarden Euro), die Midea-Gruppe den deutschen Roboterhersteller Kuka (4,6 Milliarden Euro), der Elektrokonzern Haier die Haushaltsgerätesparte von General Electric (5 Milliarden Euro).

Wer genau bei solchen Deals investiert, Privatunternehmen oder der Staat, ist im Geflecht von Chinas Planwirtschaft oft schwer zu sagen. Und obwohl Peking zuletzt einige Investitionen stoppte, scheinen die Mittel nach wie vor unerschöpflich.

Mit ihrer hohen Sparquote von 48 Prozent (Deutschland: 27) haben es die Chinesen auch zu großem Privatvermögen gebracht. China zählt heute nach den USA die meisten Milliardäre der Welt - und die meisten Selfmade-Milliardärinnen: Laut dem Magazin "Hurun Report" belegen Chinesinnen auf der Liste der zehn reichsten Frauen, die ihr Oligarchenvermögen selbst erarbeitet haben, sechs Plätze.

Insgesamt 22,5 Billionen Euro (Deutschland: 5,8 Billionen, siehe Grafik Seite 16) haben Chinas Haushalte laut einer Studie der Allianz angespart.

Ihre wahre Kraft entfaltet die chinesische Wirtschaft in China selbst. Die Chinesen kaufen die meisten Roboter der Welt, die meisten Luxusartikel, das meiste Schweinefleisch, das meiste Milchpulver. Sein riesiger Bedarf an Importgütern hat somit Abhängigkeiten geschaffen, die alarmierend sind, gerade für Exportländer wie Deutschland.

Zwischen 2015 und 2034 dürfte China Prognosen zufolge 6300 Passagierflugzeuge kaufen, das sind sechs Jets pro Woche, ein Großteil der Gesamtproduktion von Airbus und Boeing. Der deutsche Autokonzern Volkswagen verkaufte mehr als ein Drittel seiner Autos und erzielte geschätzt fast die Hälfte seines Gewinns in China. Hätte Peking nicht vor Jahren entschieden, grundsätzlich keine Pkw mit Dieselantrieb zuzulassen - VW hätte den Abgasskandal wahrscheinlich nicht überstanden.

Porsche-Fahrerinnen in Shanghai: Die meisten Selfmade-Milliardärinnen der Welt

Porsche-Fahrerinnen in Shanghai: Die meisten Selfmade-Milliardärinnen der Welt

Foto: Alessandro Gandolfi / Parallelozero

Der chinesische Konsument ist nicht nur ein Profiteur der Globalisierung, sondern auch eine ihrer wichtigsten Ressourcen. Gut 7000 Euro kostet ein Hochhausquadratmeter in Frankfurt am Main durchschnittlich, bei Luxusimmobilien können es bis zu 19.000 sein. Eine Durchschnittswohnung zwischen dem dritten und vierten Ring in Peking liegt umgerechnet bei 8000 Euro pro Quadratmeter. Zu den Investoren zählen nicht nur Privatanleger. Der chinesische Staatsfonds CIC hat deutschlandweit 16.000 Wohnungen übernommen.

Lin Dattner warnt ihre Kunden dabei immer wieder vor zu hohen Renditeerwartungen. "Man kann den deutschen Markt mit China nicht vergleichen", sagt sie. "Deutschland ist ein entwickeltes Land, da sind solche Spekulationsblasen nicht möglich." Dafür bekomme man hier eine garantiert solide Bausubstanz auf einem stabilen Markt mit transparenter Gesetzeslage.

III. TECHNIK

"Wer die künstliche Intelligenz beherrscht, beherrscht die Welt"

So also könnte das Restaurant der Zukunft aussehen: Bei einer Hähnchenbraterei im ostchinesischen Hangzhou bestellen Gäste ihre frittierten Chicken Wings an einem Computerterminal. Bezahlt wird mittels 3-D-Gesichtserkennung und Telefonnummer. Nur wenige Sekunden dauert diese Prozedur. Es geht darum, Fast Food noch schneller zu machen - und Daten zu sammeln. Der Werbespruch dazu lautet: "Zahlen Sie mit einem Lächeln."

Die Gesichtserkennung hat sich in China tief in den Alltag eingeschlichen: Fluggesellschaften scannen am Gate die Gesichter ihrer Passagiere statt die Bordkarten. Hotels, Schulen, Kindergärten nutzen die Technik bei der Einlasskontrolle. Von den 176 Millionen allgegenwärtigen Überwachungskameras ganz zu schweigen. Es ist genau, was Chinas Führung will.

Im Sommer erklärte der Staatsrat "künstliche Intelligenz" (KI), mit der Computer zuverlässig Gesichter erkennen und gesprochene Anweisungen verstehen können, zur Schlüsseltechnik und gab ein Planziel vor: 2030 soll das Land KI-Weltmarktführer sein.

Die "Werkbank der Welt" als Exporteur digitaler Spitzentechnologie? Ein Zensurstaat als Informatikpionier?

Die Chancen dafür stehen überraschend gut: Laut Experten wie Chris Boos, dem Gründer des Frankfurter KI-Hauses Arago, rangiert das Land hinter den USA bereits an zweiter Stelle. Auf einzelnen Feldern seien Chinas Forscher auf Augenhöhe mit den Amerikanern, sagt Boos, der selbst Chinesen in seinem Team hat - das zeige sich nicht nur an der Anzahl und Qualität chinesischer Patente, sondern auch in KI-Wettbewerben, die als Leistungsmesser in der Szene eine wichtige Rolle spielen.

Die Bedeutung dieser Informatiksparte ist kaum zu überschätzen. Es geht darum, Computer darin zu trainieren, aus unstrukturierten Datenmassen eigenständig Wissen aufzubauen und "intelligente" Entscheidungen zu treffen. Wer sich im Bereich der künstlichen Intelligenz durchsetze, sagte der russische Präsident Wladimir Putin, werde die Welt beherrschen.

Chinas gute Ausgangsposition basiert auf Erfolgen, die europäische Industriepolitiker neidisch machen: Das Land hat durch seine Marktabschottung riesige Onlineplattformen wie Baidu, Alibaba und Tencent geschaffen. Unternehmen wie Huawei, Oppo und Xiaomi sind in die Top Ten der Smartphone-Hersteller aufgerückt.

Vor allem aber fallen in China mit seinen 750 Millionen Internetnutzern riesige Datenmengen an. Westliche Vorstellungen von Datenschutz spielen dabei keine Rolle. Beim Trainieren von KI-Algorithmen ist das ein zentraler Wettbewerbsvorteil.

QR-Code-Formation von Studenten in Zhengzhou: Datenschutz spielt keine Rolle

QR-Code-Formation von Studenten in Zhengzhou: Datenschutz spielt keine Rolle

Foto: Li Sixin / Imaginechina / Laif

Der Pekinger Baidu-Konzern zählt mittlerweile zu den weltweit führenden KI-Unternehmen. Bei der Spracherkennung erreicht Baidu nach eigenen Angaben eine Trefferquote von 97 Prozent, bei der Gesichtserkennung von 99,7. Baidus Sprachassistent gilt als ähnlich leistungsfähig wie Amazons "Alexa". Die Spracheingabe entwickelt sich gerade zur neuen Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine, könnte Displays und Tastaturen überflüssig machen. Sie funktioniert, wie eine Baidu-Studie ergab, dreimal schneller als das Tippen auf Mobilgeräten - und sie ist präziser: Bei der Eingabe in Mandarin sank die Fehlerquote um 64 Prozent.

Aus der Mischung von Industriepolitik und der Innovationskraft der Unternehmen sei in China eine Dynamik entstanden, die im Ausland stark unterschätzt werde, sagt Björn Conrad vom Berliner Mercator Institut für Chinastudien.

Wie schnell diese Dynamik unseren Alltag verändern könnte, zeige ein aktuelles Testprojekt in Shanghai: Gerät ein Autofahrer dort in die falsche Spur, wird der Verstoß von der Videoüberwachung erkannt und ein paar Hundert Meter weiter auf einem Monitor am Straßenrand angezeigt. Sekunden später landet der Strafzettel auf dem Handy des Autofahrers. Per Knopfdruck kann er sofort bezahlen. China wirke auf ihn gerade "wie ein riesiges Testlabor für neue KI-basierte Anwendungen", sagt Conrad.

Chinas Ambitionen werden nicht nur aus Wettbewerbsgründen aufmerksam verfolgt. Peking will die Fortschritte im Umgang mit Big Data auch militärisch nutzen. Die Streitkräfte versprechen sich Fortschritte in der Technik für Raketen und Drohnen - von der autonomen Steuerung über die Bildauswertung bis zur Zielauswahl. Der Rüstungswettlauf ist in vollem Gang.

Früher als andere haben Chinas Führer erkannt, wie gut sich das Internet als effizientes Herrschaftsinstrument nutzen lässt. Spätestens 2020 wird China ein verpflichtendes "Social Credit"-System einführen und damit eine Art von Gesellschaftskontrolle, die "Big Brother"-Dystopien verblassen lässt. Der Staat verteilt dabei digitale Kopfnoten für Bürger und Unternehmen: Hat eine Firma den Plan übererfüllt, kann sie beim nächsten Kredit mit günstigeren Zinsen rechnen. Umgekehrt wird sanktioniert, was die Partei als Fehlverhalten wertet - auch missliebige Kommentare in sozialen Netzwerken.

In Shanghai haben Softwareingenieure bereits eine App mit dem euphemistischen Namen "Ehrliches Shanghai" entwickelt, die mittels Gesichtserkennung und nationaler Identifikationsnummer Informationen erteilen soll, wie vertrauenswürdig der jeweilige Nutzer ist. Die Score-Werte sind öffentlich für jeden möglichen Geschäftspartner abrufbar. Auch die Partei selbst will die neuen Technologien nutzen. Eine "rote Cloud" soll künftig bewerten, wie standhaft ihre Mitglieder sind.

IV. FUSSBALL

Dokumente des Irrsinns

Kasper Rorsted, der Vorstandsvorsitzende des Sportartikelriesen Adidas, hatte kürzlich eine ungewöhnliche Idee. Er könne sich vorstellen, sagte er, das DFB-Pokalfinale eines Tages nicht mehr in Berlin, sondern in China auszutragen.

Was Fußballromantiker für eine Groteske der Globalisierung halten dürften, ist für umsatzgetriebene Konzernchefs wie Rorsted selbsterklärend: Auch im Sportbusiness ist China der Markt der Zukunft, und wer von diesem Riesenmarkt profitieren will, muss ihn bespielen. Die englische Premier League macht es vor. Das erste Samstagsspiel beginnt dort in der Regel mittags um halb eins, das erste Sonntagsspiel um zwölf - live zur besten chinesischen Sendezeit.

China ist seit Jahrzehnten eine Supermacht des Sports. Doch bislang waren es vor allem Einzeldisziplinen, in denen das erbarmungslose Fördersystem Olympiasieger in Serienproduktion hervorbrachte. Im Fußball aber ist China ein Land unter vielen. Im aktuellen Fifa-Ranking steht die Volksrepublik auf Platz 57.

Chinas Staatschef Xi Jinping gefällt das nicht. Er möchte, dass China sich endlich wieder für eine Weltmeisterschaft qualifiziert, das Turnier selbst ausrichtet - und den Titel gewinnt.

Eingekaufter Fußballer Modeste: Das Gehalt vervielfacht

Eingekaufter Fußballer Modeste: Das Gehalt vervielfacht

Foto: STR/ AFP/Getty Images

Im Frühjahr 2015 sprach Xi ein Machtwort: China müsse endlich auch im Fußball zu einer Großmacht werden. Seither ist der Markt entfesselt. Und die Konzernlenker aus der Immobilienbranche, der Konsumgüterindustrie und dem Internethandel überbieten sich gegenseitig mit obszönem Einsatz - egal ob es um die Vermarktung des Spiels oder Investitionen in einzelne Spieler geht.

Die Preise für die TV-Übertragungsrechte der Super League haben sich verzwanzigfacht. Für die Jahre von 2016 bis 2020 zahlt der Fernsehsender China Sports Media den 16 Klubs rund 1,2 Milliarden Dollar. Für die fünf Jahre zuvor waren es gut 60 Millionen Euro gewesen.

Auch Ablösesummen für ausländische Spieler sind in absurde Höhen vorgestoßen, vor der Saison 2016 lagen die Transferausgaben chinesischer Vereine über denen der Premier League. Die Enthüllungsplattform Football Leaks hat dem SPIEGEL Dutzende Verträge von Profis zugespielt, die zu chinesischen Klubs gewechselt sind. Es sind Dokumente des Irrsinns.

So erhält der italienische Nationalspieler Graziano Pellè, der im Sommer 2016 vom FC Southampton nach China wechselte, nun ein Grundgehalt von 10 Millionen Euro pro Saison. Der Brasilianer Hulk kommt auf ein Netto-Festgehalt von 15 Millionen Euro, der Argentinier Ezequiel Iván Lavezzi auf 56,7 Millionen Dollar für knapp zwei Jahre.

Wohl kaum ein europäischer Verein verspürt den Abgang seines besten Spielers nach China derzeit aber so schmerzlich wie der 1. FC Köln: In der letzten Saison schoss der Stürmer Anthony Modeste den FC mit 25 Saisontoren in die Europa League, dann wechselte er zu Tianjin Quanjian. Sportlich ergab dieser Wechsel keinen Sinn, finanziell schon: Modeste hat sein Gehalt vervielfacht.

Der Expansionskurs von Chinas Fußballmagnaten beschränkt sich aber nicht auf den heimischen Markt. In fast allen Kernbereichen der Branche bieten die Chinesen mit, sie richten ganze Wertschöpfungsketten ein, zielgerichtet und strategisch: Unternehmen aus China kaufen europäische Rechteagenturen, die das Spiel vermarkten; sie kooperieren mit Verbänden wie dem Deutschen Fußball-Bund und umgarnen deren Spitzenfunktionäre - und sie beteiligen sich an Klubs mit großen Namen.

In Italien übernahmen chinesische Investoren den AC Mailand und Anteile an Inter Mailand, in England die Wolverhampton Wanderers. Beim spanischen Spitzenklub Atlético Madrid stieg Wang Jianlin ein, der Chef des Mischkonzerns Wanda Group. Wang übernahm auch die Schweizer Firma Infront, die Fernseh- und Vermarktungsrechte an der Fußball-WM für Asien hält. Ein smarter Zug. So hat Chinas fünftreichster Mann nicht nur Zugang zur Fifa, sondern auch das Wohlwollen von Staatschef Xi Jinping.

An Bundesligavereinen sind chinesische Investoren derzeit nicht ernsthaft interessiert. Noch sorgt die sogenannte 50+1-Regel dafür, dass Ausländer nur Minderheitsanteile an deutschen Profiklubs kaufen können. "Sollte die eines Tages fallen, rennen uns die Chinesen die Bude ein", sagt der Berater eines Bundesligaklubs, der bereits den Markt sondiert.

V. KULTUR

"Warum ist China so uncool?"

Am Ende sind es die Chinesen, die Matt Damon retten, den Helden des Science-Fiction-Films "Der Marsianer": Sie leihen den Amerikanern eine Trägerrakete, mit deren Hilfe es gelingt, den Astronauten vom Roten Planeten heimzuholen.

Auch Sandra Bullock überlebt in "Gravity" ihren Unfall im Orbit nur, weil sie sich in eine chinesische Raumstation retten kann. Während George Clooney in den Tiefen des Weltalls verschwindet, kehrt sie heil auf die Erde zurück.

Die Chinesen kommen in Hollywood erstaunlich häufig vor und verdächtig gut davon. Immer öfter werden in große Produktionen chinesische Figuren und Handlungsstränge eingeflochten - in Kino-Blockbustern wie "Independence Day: Wiederkehr" und "Iron Man 3" sowie Kultserien wie "House of Cards".

Filmfestivalplakate in Pingyao: Chinesen kommen in Hollywood erstaunlich häufig vor

Filmfestivalplakate in Pingyao: Chinesen kommen in Hollywood erstaunlich häufig vor

Foto: Giulia Marchi/The New York Times/Redux/Laif

Das hat nicht nur mit originellen Drehbüchern zu tun, sondern auch mit Chinas Streben nach "Soft Power", jener flüchtigen Substanz, nach der sich die Herrscher aufstrebender Weltmächte immer schon verzehrten. In China hat die "Soft Power" eine unverkennbar wirtschaftliche Note.

Der chinesische Kinomarkt ist der zweitgrößte der Welt - und wächst. Amerikanische Studios, die direkt mit chinesischen Partnern zusammenarbeiten, verdienen in China oft mehr als in jedem anderen Land. Der Fantasyfilm "Warcraft" spielte in China viermal, das Hundedrama "Bailey" fast anderthalbmal so viel ein wie in den USA. Der Grund: Chinas Gaming-Konzern Tencent kennt fast jeden chinesischen "Warcraft"-Spieler und der Onlinehändler Alibaba die Hundebesitzer. Beide Gruppen wurden mit Werbung eingedeckt.

Seit einigen Jahren gehen Chinas Unternehmen auch den umgekehrten Weg und investieren Milliarden in die US-Unterhaltungsindustrie - der Unternehmer Wang Jianlin, Mitbesitzer eines spanischen Fußballklubs und von Europas wichtigster Sportrechteagentur, hat auch eine der größten Kinoketten Amerikas und das Filmstudio "Legendary" ("Batman", "Hangover") gekauft.

Peking wendet enorme Mittel auf, um neben seinem politischen und ökonomischen Gewicht auch seinen kulturellen Einfluss zu erweitern. 2004 wurde in Seoul das erste Konfuzius-Institut eröffnet. China, das damals über ein Drittel seiner heutigen Wirtschaftskraft verfügte, wollte es Großbritannien, Frankreich und Deutschland gleichtun und ein globales Netzwerk von Kulturinstituten aufbauen, benannt nach seinem größten Philosophen.

Heute gibt es mehr als 500 Konfuzius-Institute. Sie bieten Sprachkurse an und fördern den akademischen Austausch. Es ist, wie auf so vielen Feldern, rein statistisch eine chinesische Erfolgsstory: China hat in nur 13 Jahren dreimal so viele Kulturinstitute gegründet wie Deutschland in fast sieben Jahrzehnten. Und trotzdem, Universitäten in Lyon, Stockholm und Chicago haben sich von ihren Konfuzius-Zentren getrennt, die amerikanische Association of Scholars ruft dazu auf, ihnen zu folgen: Die direkt aus Peking gesteuerten Institute seien intransparent und verbreiteten ein geschöntes China-Bild.

Die Mandarinkurse der Institute sind zwar hervorragend. Doch die Soft Power, die britische Popmusik, französische Mode oder amerikanisches Kino ausstrahlen, vermitteln die Institute nicht.

"Warum ist China so uncool?", fragte der in den USA aufgewachsene und kürzlich ins Heimatland seiner Eltern zurückgekehrte Student George Gao in einem Beitrag für "Foreign Policy". Seine Antwort: "Chinas Popkultur fehlt es an Emotionalem, an Künstlerischem, an Sex-Appeal." China "verführe" nicht. Auch die Erfolge von Pekings Hollywoodstrategie blieben letztlich aus: "Trotz eines hohen Grades an Nationalismus und steigenden Einkommen in China wenden sich die Menschen immer noch den USA, Europa, Südkorea und Japan zu, wenn sie sich amüsieren wollen."

Das gilt auch für die Bildung. Mehr als vier Millionen Chinesen haben seit 1978 im Ausland studiert, die meisten davon in den USA, darunter auch die Tochter von Staatschef Xi Jinping. Sie stellen in fast allen Ländern des Westens die größte Zahl ausländischer Studierender.

Ist das ein Trost? Ist es ein Zeichen dafür, dass all die Macht, das Geld, die Dynamik und das neue Selbstbewusstsein Chinas am Ende doch nicht konkurrieren können mit den Errungenschaften des Westens - den Werten der Aufklärung, dem Rechtsstaat, der Freiheit der Wissenschaft und den universellen Menschenrechten?

Bibliothek in Tianjin: Die Welt nicht chinesisch machen

Bibliothek in Tianjin: Die Welt nicht chinesisch machen

Foto: VCG/ VCG via Getty Images

Dieser Befund wäre eine große Beruhigung für Europas und Amerikas verunsicherte Eliten. Doch er könnte ein Trugschluss sein: Rund vier Fünftel der Auslandsstudenten kehren inzwischen nach China zurück. Ihr Land bietet Wachstum und Aufstiegschancen - auch wenn Chinas Wohlstandsschere inzwischen weiter auseinanderklafft als in vielen westlichen Staaten. Es bietet die höchsten Brücken, die schnellsten Züge und die dynamischsten Städte der Welt - auch wenn die Luft dort oft so giftig ist, dass ohne Schutzmaske keiner ins Freie will. Es bietet die größten Onlineshops und modernsten sozialen Netzwerke - auch wenn die Regierung die rasende Digitalisierung nutzt, um einen nahezu perfekten Überwachungsstaat zu schaffen. Vor allem bietet China die Zuversicht, dass das Heute besser als das Gestern ist und das Morgen besser als das Heute.

Aber ist es ein Land, dessen Vorherrschaft sich seine Nachbarn beugen werden? Ist es eine Großmacht, mit der sich andere Großmächte wie Indien oder Russland arrangieren können? Ist es die neue "Weltleitkultur", der wir gern folgen möchten? Oder sind es nur die Machtfantasien eines Regimes, die sich verflüchtigen, wenn China an die Grenzen stößt, an die noch jede Weltmacht irgendwann gestoßen ist?

"Der Westen hat keine Ahnung, was ihn mit Chinas Aufstieg erwartet", schreibt Australiens ehemaliger Premier Kevin Rudd, Mandarin-Sprecher und Präsident des Asia Society Policy Institute. "Es wäre verwegen anzunehmen, dass China auf seinem Übergang zur globalen Vorherrschaft unter dem Gewicht seiner inneren Widersprüche zusammenbrechen wird." Es sei nicht China, sondern der Westen, der "mit sich selbst beschäftigt, von sich eingenommen und selbstzufrieden" ist.

Und dann zitiert Rudd einen berühmten Europäer. "China ist ein schlafender Riese", hat Napoleon vor 200 Jahren geschrieben. "Lasst ihn schlafen. Denn wenn er aufwacht, wird er die Welt bewegen."