Tiere als Staatsgeschenke: Flauschige Diplomaten
Staatsgeschenke Chinas Panda-Propaganda
"Welcome to Berlin" prangt am 5. November 1980 in leuchtenden Lettern auf einer Anzeigetafel am Flughafen Tempelhof. Mit dreistündiger Verspätung landet die Sondermaschine vom Typ "Herkules" der U.S. Air Force um 14.05 Uhr. Vor Ort sind gut 100 Journalisten, acht Fernsehstationen und auch Generalmajor Calvert P. Benedict, Kommandant des US-Sektors.
Die blauen Metallkisten im Flugzeug enthalten kostbare Fracht: zwei Pelzknäuel, Männchen und Weibchen, 22 und 24 Monate alt, schwarz-weiß. Und so putzig, dass ganz West-Berlin hormonell in Wallung gerät. "Das ist der schönste Augenblick meines Lebens", soll Zoodirektor Heinz-Georg Klös gestammelt haben.
Endlich hat die Mauerstadt, was sie schon so lange begehrt: Pandabären. "Hoch soll'n se leben", schmettern Hunderte von Fans zur Begrüßung, als Bao Bao (Schätzchen) und Tjen Tjen (Himmelchen) ihr 750.000-Mark-Luxusdomizil im Berliner Zoo beziehen. Die flauschigen Neuberliner entfachen einen Gefühlssturm, der erst 2006 durch Eisbär Knut getoppt wird.
Tiere als Staatsgeschenke: Flauschige Diplomaten
"Mir ist, als hätte ich selber ein Baby bekommen", zitierte die "Zeit" 1981 eine von Zuneigung übermannte Zoobesucherin. Tausende drückten sich an der Glasscheibe des Geheges die Nase platt, um einen Blick auf die Pandas zu werfen.
Die es damals für kein Geld der Welt zu kaufen gab: Denn Bao Bao und Tjen Tjen, von den Berlinern "Schnurz" und "Piepe" getauft, waren ein Staatsgeschenk des chinesischen Regierungschefs Hua Guofeng an Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Belohnen, besänftigen, umarmen
Solche Ehre lässt das Reich der Mitte gezielt Ländern zuteil werden, die es für sich einnehmen will: "Panda-Diplomatie" - Kuschelbären als "Soft Power"-Währung. Dazu befand 2013 eine Studie der Universität Oxford, Chinas Panda-Geschenke korrelierten immer stärker mit dem jeweiligen Handelsvolumen des Landes mit China. Pandas seien zum Mittel geworden, langfristige Wirtschaftsbeziehungen zu kultivieren.
Dieser Tage ist Berlin wieder im Panda-Fieber. Nachdem 1984 Tjen Tjen und 2012 auch Bao Bao starben, darf sich der Zoo nun am 24. Juni über ein Geschenk aus China freuen - Pandaweibchen Meng Meng (Träumchen) und Männchen Jiao Qing (Schätzchen). Wobei "Geschenk" ein vager Begriff ist in Chinas Panda-Diplomatie. Darin sind die Tiere zugleich Loyalitätsbeweise, Devisenbringer, das Siegel auf Handelsdeals und diplomatische Druckmittel.
Panda, mon amour: Pelzig, tapsig, schwarz-weiß
Die Wurzeln dieser Praxis sollen bis ins 7. Jahrhundert zurückreichen. Nach Aufzeichnungen aus der Zeit der Tang-Dynastie schenkte Kaiserin Wu Zetian damals Japan zwei Bären. Eine reguläre außenpolitische Taktik wurde daraus erst im Kalten Krieg: Die Sowjetunion erhielt schon 1957 und 1959 Pandas; die USA mussten lange warten.
Dass sich China und die USA näherkamen, hat wiederum mit dem Erfolg der legendären "Ping-Pong-Diplomatie" ab 1971 zu tun. Die Panda-Diplomatie folgte: Im Februar 1972 reichte US-Präsident Richard Nixon Chinas KP-Chef Mao Zedong die Hand, zwei Monate später schenkte Peking dem Zoo von Washington ein Bärenpaar, empfangen von 20.000 begeisterten Gästen. Die Pandas erweichten amerikanische Herzen - trotz aller Kommunismushysterie.
Goldig - und Gold wert
Peking startete eine Niedlichkeitsoffensive und beschenkte eifrig strategisch wichtige Länder mit Pandas, Frankreich etwa, England, Mexiko, Japan. Und schließlich sang man 1980 im Berliner Zoo das Willkommenslied für Bao Bao und Tjen Tjen.
Durch einen "so süßen, freundlichen und liebenswürdigen Botschafter wie den Panda", erklärte 2017 Liu Yuqing, Botschaftssprecherin in Washington, dem "Wall Street Journal", sei es "definitiv leichter für uns, für die Freundschaft und Kooperation zwischen unseren Ländern zu werben". Gerade "einfache Menschen" verstünden das durch die Tiere besser.
So ein Panda ist von Haus aus träge, schläfrig, liegt viel rum. Wenn er aber einmal in Bewegung ist, dann... aawwww! Sogar Spaß am Rutschen entwickeln die Veganerbären.
Ihre diplomatische Mission erfüllten Pandas so gut, dass Peking beschloss, sie sollten für den Job bezahlt werden. Aber nicht von China. In den Achtzigerjahren begann man, die Tiere befristet zu verleihen - gegen jährliche sechs- bis siebenstellige Dollarbeträge. Im Ausland gezeugte Jungtiere bleiben dabei Eigentum Chinas.
Trotzdem rechnet sich das für Zoos. Der in Edinburgh etwa kämpfte mit Verlusten, bis er 2011 (kurz vor Abschluss eines Milliardendeals zwischen Schottland und China) zwei Pandas bekam. Und schon verdoppelten sich die Zoo-Einnahmen binnen zwei Jahren.
Eine Win-win-win-Situation, scheint es: China gibt die Pandas, die Zoos geben Peking Millionen, und Zoobesucher geben einen feuchten Kehricht auf Zensur, Folter und Hinrichtungen in China, weil sie gerade so entzückt sind. Wenn zum Beispiel ein superanhängliches schwarz-weißes Pelzknäuel an den Stiefeln des Pflegers knabbert.
Doch so entzückt ist nicht jeder. Pandas seien "wie das Trojanische Pferd", ätzte 2006 laut "Los Angeles Times" der taiwanische Politiker Huang Shi-cho. Sie hätten "den Zweck, Taiwans psychologische Verteidigung zu brechen".
China hatte kurz zuvor Taiwan, dessen Autonomie Peking nicht anerkennt, zwei Pandas angeboten: "Tuan Tuan" und "Yuan Yuan" - im Mandarin steht "Tuan yuan" für "Wiedervereinigung". Der Knuddelfaktor setzte Taiwans Präsidenten Chen Shui-bian unter Druck. In einer Umfrage stimmten 70 Prozent der teilnehmenden Taiwaner dafür, die Pandas anzunehmen. Chen blieb hart, doch sofort nach Amtsantritt ließ sein prochinesischer Nachfolger Ma Ying-jeou 2008 die Bären einreisen.
Darf's auch mal eine Giraffe sein?
Die Chinesen mögen ein Monopol auf Pandas haben - aber keines auf Tier-Diplomatie. "Seit Jahrhunderten beschenken Herrscher einander mit besonders wertvollen, seltenen Tieren", sagt Mieke Roscher, Professorin für Geschichte der Mensch-Tier-Beziehungen an der Uni Kassel.
Schon Kaiser Karl der Große erhielt ein tierisches Präsent. So spendierte Harun al-Raschid, Kalif von Bagdad, dem Frankenherrscher einen indischen Elefanten namens Abul Abbas - der stapfte im Jahr 802 durch Aachens Stadttore. "Als diplomatische Gaben hatten Tiere meist einen Hintersinn", so Roscher. Abul Abbas galt als Signal für die Bündnisbereitschaft des Kalifen mit Karl gegen das byzantinische Reich.
Später versuchte sich etwa Ägypten in Giraffen-Diplomatie und verschenkte 1827 gleich drei davon an europäische Herrscher. Die Giraffenkuh Zarafa sollte Frankreich davon abbringen, den griechischen Unabhängigkeitskampf weiter zu unterstützen; zwei weitere Exemplare gingen nach London und Wien.
Altersschwacher Adler
Im Kalten Krieg ging es bei Tiergeschenken laut Historikerin Roscher vor allem "um den Wettlauf der Machtblöcke und darum, Zeichen zu setzen". Einen besonders erbitterten Alphatierkampf lieferten sich die Direktoren des West-Berliner Zoos und des Tierparks im Osten der Stadt - "Statussymbole zweier Systeme", wie Jan Mohnhaupt schreibt, Autor des Buches "Der Zoo der Anderen".
So schenkte Vietnams Staatschef Ho Chi Minh dem Tierpark 1958 das Elefantenweibchen Kosko als Zeichen der revolutionären Verbundenheit. Vier Jahre später beglückte US-Justizminister Robert F. Kennedy den Zoo mit einem Weißkopfseeadler, der nach dem Regierenden Bürgermeister Willy Brandt benannt wurde.
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Das Geschenk sollte "symbolisch verdeutlichen, dass die USA West-Berlin unter seine schützenden Fittiche nimmt", so Roscher. Dumm nur, dass es sich laut Tierarzt um ein "ziemlich altes Luder" handelte: Der Adler Willy Brandt starb schon 1964 an Altersschwäche.
Mit Ende des Kalten Krieges wurden, wie Mohnhaupt schreibt, die lebendigen Staatsgeschenke seltener. Dennoch fanden auch weiterhin Tiere auf höchster diplomatischer Ebene neue Besitzer - süße Koalas und gefährliche Komodowarane, flauschige Welpen und unhandliche Kamele.
Prompte Heimholung bei Zwist
Für die Pandas indes gilt eine Sonderregel: China kann sie bei Zwist sofort zurückholen. Als Obama 2010 trotz chinesischer Proteste den Dalai Lama empfing, wurden prompt zwei Pandas des Washingtoner Zoos nach China ausgeflogen. 2012 drohte Peking auch Wien nach Empfang des Dalai Lama mit Heimholung zweier Miet-Pandas. Erst als sich Österreich zur "Ein-China-Politik" bekannte und Bedauern für die Folgen des Empfangs äußerte, wich der Zorn.
Sorgen über Zwist müssen sich deutsche Panda-Fans vorerst nicht machen, wenn Meng Meng und Jiao Qing am 24. Juni in Berlin landen. Angesichts des isolationistischen Kurses von Trump üben sich Merkel und Chinas Präsident Xi Jinping derzeit im Schulterschluss.
Kann sein, dass Deutschland sogar bereits gelernt hat von Chinas Propaganda-Pandas: Wenn Meng Meng und Jiao Qing am Samstag in Deutschland landen, dann nicht etwa in Frankfurt, der regulären Frachtflugroute folgend. Stattdessen empfängt man sie feierlich als erste Gäste des umstrittenen Flughafens BER, dieses Milliardengrabs. Das Panda-Paar ist bestimmt auch dabei unwiderstehlich. Vielleicht heißt von China lernen eben doch siegen lernen.