Die Zahl Null ist älter als gedacht
Die Datierung einer alten indischen Handschrift zeigt, dass mit der Null in Indien bereits 300 v. Chr. gerechnet wurde. In Europa wurde sie erst im 12. Jahrhundert von Leonardo Fibonacci etabliert.
Die Zahl Null wurde bereits vor mehr als 2000 Jahren in Indien verwendet. Das haben jetzt Wissenschaftler im britischen Oxford herausgefunden.
Die Null spielt in der Mathematik eine ganz besondere Rolle. Sie ist die Schnittstelle zwischen dem Positiven und Negativen, die Zahl, durch die man nicht teilen kann, aber die ansonsten das praktische Rechnen überhaupt erst ermöglicht. Gemeinsam mit der Zahl Eins spielt die Null heute sogar die zentrale Rolle im Digitalzeitalter, in dem letztlich alles zu Nullen und Einsen gerinnt – Texte, Musik und Daten aller Art. Keinesfalls kommt der Null eine geringere Bedeutung als all den anderen Zahlen zu.
Das war nicht immer so. Die Null war sogar eine Spätgeburt. Längst hatten sich die natürlichen Zahlen etabliert, da fehlte im mathematischen Denken noch das „Nichts“. Die deutsche Bezeichnung Null leitet sich übrigens vom lateinischen Wort „nullus“ (keiner) ab. Die noch heute verbreiteten römischen Ziffern kennen kein Symbol für die Null. Die war bei den alten Römern nicht vorgesehen. Auch die alten Griechen kannten keine Null.
Die Null erreichte Europa in Spanien
In Europa gab es offenbar keinen Sinn für das Nichts, das nicht Vorhandene, das man als mathematischen „Horror vacui“ bezeichnen könnte. Die Babylonier, die Maya und auch die Inder hatten die Null längst erfunden, als die Europäer von dieser Zahl noch nichts ahnten.
Die Null erreichte den europäischen Kontinent zuerst in Spanien. Die Araber, die damals Südspanien beherrschten, hatten die Null aus Nordafrika mitgebracht. Noch heute sprechen wir ja von den arabischen Zahlen, wenn wir unsere Ziffern 0, 1 … bis 9 meinen. Eigentlich müssten wir sie indische Zahlen nennen, denn die Araber haben die Null und die anderen Ziffern nicht erfunden. Sie haben ihren Ursprung vielmehr in Indien.
Der Mönch Gerbert von Aurillac, der spätere Papst Silvester II. soll sich in Córdoba, verkleidet als Araber, über die Bedeutung der Zahl Null informiert haben. Etabliert wurde die Null in Europa aber erst durch den Mathematiker Leonardo Fibonacci, der sie 1202 in seinem Werk „Liber abaci“ einführte. Das war in Italien. Doch für Fibonacci war die Null nicht gleichwertig mit den anderen Zahlen. Die Null bezeichnete er nicht als Zahl, sondern als Zeichen.
Und so hatte es wohl historisch auch mit der Null begonnen. Zunächst war sie einfach ein Leerraum zwischen Zahlen gewesen, um anzudeuten, dass an dieser Stelle nichts war. Später wurde aus dem Leerraum ein Punkt. Und schließlich erhielt dieser Punkt ein Loch, sodass sich das heutige Symbol für die Null entwickeln konnte.
Dass die Inder bereits im 9. Jahrhundert mit der Zahl Null umgingen, ist durch Handschriften aus dieser Zeit belegt. Eine diesem Jahrhundert zugeschriebene Schrift befindet sich seit 1902 in einer Bibliothek der Universität Oxford. Beschrieben wurden die indischen Ziffern mit ihrem Dezimalsystem allerdings schon im 7. Jahrhundert – zum Beispiel von dem syrischen Bischof Severus Sebokht.
Wissenschaftler haben jetzt das Alter der 70 Seiten starken indischen Schrift in Oxford, die vermutlich ein Mathematiklehrbuch für Mönche war, mit der Radiokarbonmethode präzise bestimmt. Das Ergebnis hat die Forscher überrascht. Das Buch wurde demnach um 300 v. Chr. erstellt. Es enthält Hunderte Nullen in Gestalt von Punkten. Die Datierung zeigt, dass es das älteste bekannte Werk ist, in dem Nullen verwendet wurden – und das vor mehr als 2000 Jahren.