Gesamtmetall-Präsident Wolf

„Mir fehlt jegliches Verständnis, wie man jetzt mit so etwas kommen kann“

Von Christine Haas, Dorothea Siems
Veröffentlicht am 14.12.2020Lesedauer: 6 Minuten
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf klagt über einen Rückgang der Produktivität
Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf klagt über einen Rückgang der ProduktivitätQuelle: Amin Akhtar

Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf sieht Deutschlands Schlüsselindustrien in Gefahr. Mitten in der Corona-Krise setzten hohe Tarifforderungen und unrealistische Klimaziele den Betrieben zu. Für die Politik hat er deshalb einen Rat.

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In der kommenden Woche beginnen die Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektrobranche. Eine harte Auseinandersetzung steht an. Der neue Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Stefan Wolf, will eine Nullrunde und sogar automatische Lohnsenkungen, wenn Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation sind. Er droht mit Produktionsverlagerungen ins Ausland.

WELT: Herr Wolf, vom aktuellen Teil-Lockdown ist die Metall- und Elektroindustrie nicht betroffen. Ist sie nach dem Absturz im Frühjahr wieder über den Berg?

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Stefan Wolf: Nein, die Lage ist weiterhin extrem schwierig. Wir hatten in unserer Branche ja schon vor Corona eine Rezession. Zwar lief es zuletzt besser, und das Niveau ist mittlerweile nicht mehr so niedrig, aber Jubeln ist nicht angesagt. Unsere Betriebe leiden aufs Gesamtjahr gerechnet unter einem gewaltigen Umsatzverlust zwischen 15 und 25 Prozent. Die Branche insgesamt wird nicht vor 2022 zurück auf dem Niveau von vor der Rezession sein.

WELT: Wie hilfreich sind die Maßnahmen der Bundesregierung?

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Wolf: Die Bundesregierung macht in dieser Krise einen guten Job. Die Entscheidungen sind durchweg richtig. Es gibt etliche Branchen, die ohne die Unterstützung nicht überleben könnten. Man muss natürlich nach der Krise schauen, wie die Kredite, die der Staat jetzt zur Finanzierung der Hilfen aufnehmen muss, zurückgezahlt werden. Einsparungen werden unumgänglich sein.

WELT: Stattdessen werden schon Steuererhöhungen diskutiert. Zahlen am Ende die Unternehmen die Zeche?

Wolf: Momentan gibt es bei uns doch nichts zu verteilen. Und es wird dauern, bis die Folgen der Krise überwunden sind. Die Politik sollte auch nicht vergessen, dass die deutsche Industrie mitten in einem Transformationsprozess steckt hin zu einer klimaneutralen und digitalisierten Wirtschaft. Das kostet richtig viel Geld. Die Fahrzeugbranche zum Beispiel muss den Umstieg vom Verbrennungsmotor zum Elektroantrieb bewältigen. Dafür brauchen die Betriebe Luft zum Atmen und keine neuen Steuerbelastungen.

WELT: Belastung droht auch bei den Arbeitskosten. Die IG Metall fordert in der Tarifrunde vier Prozent mehr – für Lohnerhöhungen oder Viertagewoche mit teilweisem Lohnausgleich.

Wolf: Mir fehlt jegliches Verständnis, wie man jetzt mit so etwas kommen kann. Die Produktivität ist deutlich eingebrochen, die Inflation ist negativ. Da gibt es absolut nichts zu verteilen. Außerdem bezahlen wir schon extrem gut. Bundesweit verdienen die Beschäftigten der Branche im Schnitt 60.000 Euro pro Jahr, in Baden-Württemberg sind es sogar 65.000 Euro. Wir wollen ja gar nicht nach unten abweichen. Aber es ist jetzt an der Zeit, die Lohntabelle einfach mal anzuhalten. Das ist auch eine Frage der Gerechtigkeit zwischen den Branchen: Fast alle liegen deutlich unter der Metall- und Elektroindustrie.

WELT: Viele Beschäftigte sehen das offenbar anders. In einer aktuellen Umfrage der Gewerkschaft sagte der Großteil der Befragten, dass ihnen Lohnerhöhungen wichtig sind.

Wolf: Wenn ich mit Beschäftigten spreche, erlebe ich etwas anderes. Die Menschen besinnen sich gerade auf das Wichtige im Leben. Ihnen ist klar, dass Unternehmen die Produktion ins Ausland verlagern und Stellen streichen, wenn wir so weitermachen und immer teurer werden. Wir haben ja schon Standorte im Ausland. Viele der Beschäftigten würden sich deshalb mit dem begnügen, was sie haben. Manche würden sogar ein bisschen mehr arbeiten, wenn sie dafür ihren Job behalten können.

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WELT: Die Drohung, dass Jobs ins Ausland abwandern, gibt es immer. Was ist diesmal anders?

Wolf: Damit droht man nicht. Der Unterschied ist, dass wir in Deutschland inzwischen nicht mehr wettbewerbsfähig mit anderen Ländern sind. In Ungarn zum Beispiel, wo ich einen Standort habe, ist das Lohnniveau natürlich viel niedriger. Und viele Länder, etwa Bulgarien oder Rumänien, werben um deutsche Firmen und unterstützen sie immens, indem sie Steuererleichterungen und Zuschüsse gewähren. Wir sind in Deutschland wieder an dem Punkt wie zu Beginn der 2000er-Jahre, als Deutschland als kranker Mann Europas galt. Damals sind wir dank Gerhard Schröder und der Agenda 2010 relativ schnell genesen. Doch in den letzten Jahren haben wir uns wieder genau in die andere Richtung entwickelt. Und jetzt ist der Punkt gekommen, an dem Unternehmen sagen, dass sich die Verlagerung rechnet. Das dürfen wir nicht noch befeuern!

WELT: Sie wollen in den aktuellen Verhandlungen also eine Nullrunde?

Wolf: Ich sehe keinen Verteilungsspielraum. Und wir müssen die Tariflandschaft entrümpeln und an bestimmte Vergünstigungen ran, die über viele Jahre entstanden sind. Die Verträge sind zu komplex geworden. Noch mal: Es geht nicht um die Grundtabelle. Aber wir müssen an anderer Stelle schauen, wie wir die Arbeitskosten senken können. In Baden-Württemberg gibt es zum Beispiel sogenannte Spätzuschläge für die Arbeit nach 19 Uhr. Gezahlt werden die aber schon ab 12 Uhr, wenn die Schicht nach 19 Uhr endet. Dafür gibt es überhaupt keinen Grund. Und so werden wir vieles finden, was verzichtbar ist.

WELT: Was ist mit Öffnungsklauseln, also Möglichkeiten, vom Tarifvertrag abzuweichen?

Wolf: Der Flächentarifvertrag ist das Standardwerk, von dem zwei Arten von Abweichungen möglich sein müssen. Erstens brauchen wir eine automatische Differenzierung. Das heißt, wenn das Betriebsergebnis unter einen bestimmten Wert fällt, werden die Lohnkosten automatisch reduziert. Das würde den Unternehmen in wirtschaftlich schlechten Situationen sehr helfen. Über die genauen Parameter muss man noch sprechen.

WELT: Und zweitens?

Wolf: Daneben müssen wir betrieblich abweichen können, weil nicht alle Probleme durch einen Automatismus erfasst werden. Da stelle ich mir vor, dass die Geschäftsführung eine Differenzierung gemeinsam mit dem Betriebsrat verhandeln kann – und zwar ohne die Gewerkschaft. Wenn die IG Metall mit am Tisch sitzt, wird es immer kompliziert, erst recht, wenn ein Unternehmen Standorte in mehreren Tarifregionen hat.

WELT: Wie kann am Ende ein Kompromiss in der Tarifrunde aussehen?

Wolf: Es ist zu früh, das zu sagen. Die Arbeitgeberseite hat aber eine ganz klare Position. Und die IG Metall muss den Ernst der wirtschaftlichen Lage endlich erkennen. Die Vertreter der Gewerkschaft sitzen doch in den Aufsichtsräten der Unternehmen, die sehen doch, wie dramatisch die Umsatzeinbrüche sind.

WELT: Bei Daimler, Mahle und anderen Unternehmen der Autoindustrie gab es jüngst Proteste gegen Einsparungen – ein Vorzeichen, dass größere Auseinandersetzungen drohen?

Wolf: Es ist nicht neu, wenn sich Menschen vor Werkstoren mit roten Fahnen versammeln. Aber das ist nicht wirklich konstruktiv. Die Gewerkschaft muss sich stattdessen inhaltlich einbringen und sagen, wie sie sich eine moderne Industriegesellschaft vorstellt. Klimaschutz ist wichtig, aber Arbeitsplätze und Wohlstand auch. Wir Arbeitgeber berücksichtigen das alles. Aber die IG Metall muss das auch tun – und da gehört dazu, dass sie auch mal Abstriche macht.

WELT: Auf nationaler wie auch auf europäischer Ebene wird der Ruf nach ambitionierteren Klimazielen lauter. Ist das eine Gefahr für Ihre Branche?

Wolf: Man muss Klimaschutz mit anderen Zielen in Einklang bringen. Und es gibt Ziele, etwa in der Fahrzeugindustrie, die sind technisch machbar, und andere, die sind nicht machbar. Die EU-Kommission will bei den Abgas-Grenzwerten eine Euro-7-Norm durchsetzen, die so ausgestaltet ist, dass sie de facto ein Verbot des Verbrennungsmotors wäre. Die Folge wäre ein massiver Absturz der deutschen Autoindustrie und das Aus für diese Arbeitsplätze. Zu den bestehenden Klimazielen, die schon stramm sind, stehen wir. Mehr geht aber nicht. Man muss realistisch bleiben, wenn man unsere Industrie nicht kaputtmachen will.

WELT: Müsste die Bundesregierung härter in Brüssel verhandeln?

Wolf: Ja, die Bundesregierung muss in der europäischen Klimapolitik noch klarer machen, dass sich die Vorgaben strikt an dem technisch Machbaren zu orientieren haben. Und wir brauchen Technologieoffenheit statt einseitiger Lenkung. Denn kein Politiker weiß, welche Technik sich am Ende am Markt durchsetzt.

Dieser Text ist aus der WELT AM SONNTAG. Wir liefern sie Ihnen gerne regelmäßig nach Hause.

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Quelle: Welt am Sonntag

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