Börsenmacht

Paris will Frankfurt zur Provinz degradieren

Von Gesche Wüpper, Paris, Karsten Seibel, Frankfurt
Veröffentlicht am 12.02.2018Lesedauer: 6 Minuten
Das Palais Brongniart, Sitz der Börse in der französischen Hauptstadt. Die Bourse de Paris war im 19. Jahrhundert der führende Finanzplatz des Kontinents
Das Palais Brongniart, Sitz der Börse in der französischen Hauptstadt. Die Bourse de Paris war im 19. Jahrhundert der führende Finanzplatz des KontinentsQuelle: picture alliance / Ulrich Baumga

Mit einer aggressiven Kampagne will Emmanuel Macron Frankreich nach dem Brexit zum führenden Finanzplatz Europas machen. Paris lockt mit seinem kulturellen Reichtum. Dabei wird der deutsche Konkurrent auch schon mal verspottet.

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Es ist eine von vielen Zutaten, die dabei helfen soll, Paris zum größten Finanzplatz Europas zu machen. So hat Frankreich letzte Woche am Berufungsgericht Paris eine internationale Kammer für Handelssachen eingerichtet, wo Verhandlungen auf Englisch geführt werden können. Die Regierung wolle Frankreich als Wirtschaftsstandort attraktiver machen und dabei sei das Rechtssystem ein Vorteil, der hervorgehoben werden müsse, meint Justizministerin Nicole Belloubet. Immerhin buhlt Paris nach dem Brexit-Votum der Briten um Unternehmen und internationale Investoren. Das Thema hat für Präsident Emmanuel Macron oberste Priorität.

Ökonomen sagen Frankreich eine blühende Zukunft voraus

Emmanuel Macron hat Frankreich in den letzten Monaten viele Reformen verordnet und der ramponierten Nation damit neuen Glanz verliehen. Ökonomen rechnen für 2018 mit einem Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent.

Sicher, Paris ist nicht die einzige Stadt, die nun die Brexit-Flüchtlinge aus der Londoner City umwirbt. Doch die französische Hauptstadt gehe dabei mit Abstand am aggressivsten vor, urteilen Experten. In Frankreich gebe es eine wahre landesweite Teamarbeit, um möglichst Vorteile aus dem Ausscheiden der Briten zu ziehen, berichtet Jeremy Browne, der Sonderbotschafter der Londoner City bei der Europäischen Union (EU). In Deutschland dagegen werde das Thema Frankfurt und den dortigen Behörden überlassen. Die deutsche Seite trete viel zurückhaltender auf, erklärte jüngst auch Wolfgang Fink, der Deutschland-Chef von Goldman Sachs. „Macron setzt sich machtvoll für Paris ein, er macht eine sehr gute Kampagne.“

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Le Président lädt Top-Banker ein

So lud das junge Staatsoberhaupt im Januar 140 Firmenchefs im Vorfeld des Wirtschaftsforums in Davos ins Schloss von Versailles ein, darunter die bekannten Banker Lloyd Blankfein von Goldman Sachs und Jamie Dimon von JP Morgan. Macron ist davon überzeugt, dass die Attraktivität eines Standorts auch von Symbolen abhängen kann, von Entscheidungen, die manchmal irrational sind. Nur zu gut hat er in Erinnerung, dass die von seinem Vorgänger François Hollande zu Beginn der Amtszeit beschlossene vorübergehende 75-Prozent-Steuer auf Gehälter von mehr als einer Million Euro im Ausland zum Symbol für die unternehmensfeindliche Haltung französischer Politiker wurde. Später wurde die Abgabe sang- und klanglos eingestampft.

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Die Einladung nach Versailles ist nicht die einzige Veranstaltung, mit der Macron für den Standort Frankreich warb. Bereits kurz nach seinem Amtsantritt im Mai stellte seine Regierung Banken eine Reihe von Erleichterungen in Aussicht – etwa für Lohnsteuerzahlungen im oberen Gehaltssegment und die schrittweise Senkung der Körperschaftsteuer von 33,3 auf 25 Prozent. Im Dezember dann initiierte er den One Planet Summit, bei dem die Finanzierung der Klimapolitik im Mittelpunkt stand. Denn Macron will Paris nicht nur zum wichtigsten Finanzplatz Europas, sondern auch zur weltweiten Hauptstadt der grünen Finanzwirtschaft machen.

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Ihr Budgetdefizit müssen die Franzosen noch in den Griff bekommen. Seit der Finanzkrise liegt das Minus im Staatshaushalt beharrlich über drei Prozent
Ihr Budgetdefizit müssen die Franzosen noch in den Griff bekommen. Seit der Finanzkrise liegt das Minus im Staatshaushalt beharrlich über drei ProzentQuelle: Infografik Die Welt

Die Franzosen können darauf verweisen, dass Paris eine lange Tradition als Standort für Aktien- und Anleihenhandel hat. Im 19. Jahrhundert war die Seine-Stadt die wichtigste Börsenplatz auf dem Kontinent.

Provokante Werbung für französische Hauptstadt

Seit die Briten vor 19 Monaten für den Austritt aus der EU gestimmt haben, machen französische Delegationen der Londoner City regelmäßig ihre Aufwartung. „Tired of the fog? Try the frogs!“, warb eine aggressive Werbekampagne des Pariser Büroviertels La Défense. Eine Art Retourkutsche für die Äußerungen des früheren britischen Premierministers David Cameron. Denn er hatte 2012 erklärt, er rolle französischen Konzernen den Teppich aus, wenn sie vor dem Steuerregime des damaligen Präsidenten François Hollande flüchten wollten.

In ihrem Bestreben, für Paris zu werben, schießen jedoch auch französische Politiker manchmal über das Ziel hinaus. So spottete Valérie Pécresse, die Präsidentin der Region Île-de-France, über die mangelnde Attraktivität Frankfurts als Stadt. „Wann haben Sie Ihren Partner das letzte Mal zu einem Wochenende nach Frankfurt eingeladen?“, fragte sie. Der Großraum Paris dagegen sei für sein reichhaltiges Kulturangebot, die Qualität der Gastronomie, seine gute medizinische Versorgung und das Bildungsangebot bekannt.

Frankfurt hält sich mit Lobbyarbeit zurück

Im Gegensatz zu Paris hielten sich Berliner Politiker bei dem Rennen um Londons Banken lange zurück. Einer der ersten, wenn nicht sogar der erste Beitrag in dieser Richtung findet sich jetzt im Koalitionsvertrag von Union und SPD. Darin heißt es: „Angesichts des bevorstehenden Austritts Großbritanniens aus der EU wollen wir den Standort Deutschland für Finanzinstitute attraktiver gestalten.“ Konkret will man den Kündigungsschutz für hoch bezahlte Banker lockern. So soll ausländischen Banken die Sorge genommen werden, dass sie nach einem Umzug von London nach Frankfurt ihre gut verdienenden Händler und Berater nicht mehr so einfach wie gewohnt loswerden.

Grundsätzlich will die Bundespolitik aber weiterhin den Vertretern des Finanzplatzes Frankfurt und dem Land Hessen die Lobbyarbeit überlassen. Die unterscheidet sich vom Ton her deutlich vom aggressiven Auftreten Frankreichs. Bewusst, wie eine im Januar vom Wirtschaftsforschungsinstitut Sheffield Political Economy Research Institute veröffentlichte Studie ergab.

Man habe bereits vor dem Brexit-Votum vereinbart, keine aggressiven Marketingstrategien einzusetzen, erklärte ein Vertreter der Frankfurter Finanzplatzlobby den Autoren der Studie. „Wir wollten nicht laut und aggressiv sein“, sagte ein anderer. „Und ich denke, dass das eine gute Strategie war.“ Paris dagegen sei bei seinem Bestreben, Firmen anzulocken, sehr aufdringlich und populistisch aufgetreten.

Exodus von der Themse Richtung Main

Bisher scheint der Ansatz Frankfurts aufzugehen, denn die meisten der von Banken angekündigten Stellenverlagerungen entfallen auf die Main-Metropole. Paris folgt erst an zweiter Stelle. Macron und seine Mitstreiter müssen sich mit symbolischen Siegen trösten. So gelang es ihnen im November, die Europäische Bankenaufsicht (EBA) von London nach Paris zu lotsen. Bei der Abstimmung im Europäischen Rat in Brüssel setzte sich die französische Hauptstadt gegen Frankfurt und Dublin durch.

Dass es sich bei der EBA um eine eher kleine Behörde mit nicht einmal 200 Mitarbeitern handelt, schien im Moment des Jubels keine Rolle zu spielen – und auch nicht, dass die eigentliche Kontrolle der Banken in Europa ohnehin Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB) ist, die ihren Sitz bekanntlich in Frankfurt hat.

Sehr viel wertvoller als die EBA ist eine andere Trophäe, um die Paris und Frankfurt derzeit noch rangeln: das sogenannte Euroclearing. Darunter versteht man das lukrative Geschäft zur Abwicklung von Derivategeschäften in Euro. Auch das ist bislang eine Londoner Domäne, an der viele Arbeitsplätze hängen. „Lassen Sie uns am Finanzplatz unterhaken und das Euroclearing in die stärkste Volkswirtschaft Europas, nach Deutschland, holen“, sagte unlängst Theodor Weimer bei einem seiner ersten Auftritte als neuer Vorstandschef der Deutschen Börse. Der Ausgang ist offen.

Noch ist Frankreich nicht zurück

Macron kämpft bei seinem Mühen um Banken und Börsengeschäfte auch mit der Vergangenheit. Frankreich hatte unter Ex-Präsident Hollande einen denkbar schlechten Ruf als Standort für Unternehmen. Dies muss Macron nun wieder wettmachen, um die französische Wirtschaft anzukurbeln.

Emmanuel Macron muss bei Investoren erst das Vertrauen wiederherstellen, dass sein sozialistischer Vorgänger Hollande zerstört hatte
Emmanuel Macron muss bei Investoren erst das Vertrauen wiederherstellen, dass sein sozialistischer Vorgänger Hollande zerstört hatteQuelle: dpa

Die Sicht ausländischer Investoren auf Frankreich zumindest scheint sich seit seiner Wahl verbessert zu haben. So haben sich die ausländischen Direktinvestitionen laut vorläufigen Schätzungen der Welthandels- und Entwicklungskonferenz der UN (UNCTAD) in Frankreich im letzten Jahr mit 50 Milliarden Dollar nahezu verdoppelt. Auch die meisten anderen Wirtschaftsindikatoren haben sich seit Macrons Antritt verbessert.

Die Konjunktur in der zweitgrößten Euroland-Volkswirtschaft zieht deutlich an
Die Konjunktur in der zweitgrößten Euroland-Volkswirtschaft zieht deutlich anQuelle: Infografik Die Welt

Und doch ist Frankreich noch nicht zurück, so wie Macron es gerne hätte. Letztes Jahr ist das Handelsbilanzdefizit der zweitgrößten Volkswirtschaft der Euro-Zone um rund 29 Prozent auf 62,3 Milliarden Euro gestiegen. Damit Frankreich im Welthandel wieder eine Rolle spielen kann, bedarf es mehr als schöner Worte und Werbeveranstaltungen für den Standort. Dafür müssen französische Unternehmen wieder wettbewerbsfähiger werden.

Wie sich Anleger jetzt verhalten sollten

Auslöser für das Börsenbeben ist die Zinsangst – vor allem in den USA. Aber ist die Sorge berechtigt? Bernd Meyer, Chefstratege bei Berenberg, erklärt, welche Fehler Anleger jetzt vermeiden sollten.


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