Die deutsche Wirtschaft muss sich neu erfinden
Die digitale Revolution treibt die Unternehmen vor sich her – und stellt den Sozialstaat hierzulande vor ganz neue Herausforderungen. Denn viele Mitarbeiter könnten bald ihren Job verlieren.
Uber macht Taxifahrern Konkurrenz, Reisende schlafen statt im Hotel in der Privatwohnung, die sie auf AirBnB gefunden haben, und Zahnkronen werden in einigen Laboren bereits von 3-D-Druckern gefertigt und nicht mehr von Zahntechnikern. Die Digitalisierung verändert nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Wirtschaft – und das in praktisch allen Bereichen.
Unternehmen hierzulande und insbesondere die Mittelständler müssten sich auf diesen Wandel einstellen, warnen jetzt die Autoren einer neuen Studie. Andernfalls drohten sie den Anschluss zu verpassen. Und auch der Staat sei bislang nicht ausreichend auf die Umwälzungen vorbereitet, die vor uns liegen.
Bisher verschließe die Bundesregierung die Augen davor, dass die Gewinne der Digitalisierung sehr ungleich verteilt seien und dass der technologische Fortschritt im schlimmsten Falle für sehr hohe Arbeitslosigkeit sorgen werde.
„Wir dürfen die digitale Veränderung nicht einfach nur als technologischen Fortschritt verstehen“, sagt Henning Vöpel, der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI). „Sondern wir reden hier über eine radikale Veränderung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das stellt uns vor neue Herausforderungen, die wir noch gar nicht richtig verstehen.“ Das HWWI hat die Studie „Digitalökonomie Strategie 2030“ zusammen mit der Berenberg Bank erstellt.
Neue technologische Herausforderungen
Entscheidend für die Zukunft des Standorts Deutschland sei, schreiben die Ökonomen, dass die deutsche Wirtschaft sich auf die nächste Stufe des digitalen Umbruchs einstellt, die aus heutiger Sicht vor allem von zwei großen technologischen Entwicklungen geprägt sein wird.
Zum einen der vernetzten Produktion, bei der Maschinen miteinander und mit den Produkten, die hergestellt werden, kommunizieren. Dieser Trend wird auch Industrie 4.0 genannt. Die zweite große Entwicklung ist Big Data: Die Verarbeitung und Auswertung großer Datenmengen.
„Die deutsche Wirtschaft ist für den digitalen Wandel grundsätzlich gut aufgestellt“, schreiben die Autoren der Studie. Schließlich zeichne es die deutsche Industrie aus, dass sie in der Lage ist, sich schnell an veränderte Strukturen anzupassen. Allerdings stellt die digitale Transformation die Unternehmen und ganz besonders die Mittelständler vor so bisher noch nicht da gewesene Herausforderungen.
Vor allem setze die Digitalisierung bekannte marktwirtschaftliche Mechanismen außer Kraft. So schaffe die Digitalisierung beispielsweise Märkte, auf denen einzelne erfolgreiche Unternehmen praktisch den gesamten Markt beherrschten, so wie beispielsweise Google bei der Internetsuche hierzulande. Das schaffe einen enormen Konkurrenzdruck, sagt Jörn Quitzau, Volkswirt bei der Berenberg Bank
Monopolstellungen verhindern den Wettbewerb
„Alle Firmen wissen, dass wenn ein Unternehmen die Nummer eins auf einem Markt wird, es dann häufig in der Folge sogar eine globale Monopolstellung hat“, sagt Quitzau. „Deshalb erleben wir gerade solch einen rasanten Wandel, weil alle Beteiligten alles daransetzen, die Nummer eins zu sein.
Selbst wenn die Nummer zwei ein gutes Produkt hat, nützt ihr das nichts, wenn der Markt bereits dicht ist, weil die Nummer eins ihn dominiert.“ Schnelligkeit werde dadurch zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil in der digitalen Ökonomie.
Grundsätzlich biete der digitale Wandel der deutschen Wirtschaft allerdings viele Möglichkeiten, schreiben die Autoren. Sie rechnen damit, dass die deutsche Wirtschaftsleistung nur aufgrund der Digitalisierung in 15 Jahren um bis zu 25 Milliarden Euro größer sein könnte als heute.
Das klingt zunächst nach nicht viel, schließlich lag das Bruttoinlandsprodukt hierzulande im vergangenen Jahr bei mehr als 2900 Milliarden Euro. Tatsächlich gibt auch HWWI-Direktor Vöpel zu, dass es ihm und seinen Kollegen schwerfalle, die tatsächlichen Potenziale zu beziffern; dazu wisse man zu wenig über die technischen Entwicklungen der kommenden Jahre.
Den grundsätzlich optimistischen Ausblick verbinden die Autoren der Studie allerdings mit einer ernsten Warnung: Absehbar sei, dass der digitale Wandel in der Wirtschaft auch den Sozialstaat hierzulande fordern werde. Etwa, weil die Digitalisierung soziale Ungleichheit verstärken könne.
Der Sozialstaat wird neu gefordert
„Die Gewinne aus der Digitalisierung werden in der Gesellschaft sogar noch ungleicher verteilt sein als in der Vergangenheit“, warnt Berenberg-Volkswirt Quitzau. „Bestehende Ungleichheit wird durch die Digitalökonomie verstärkt werden.“ Der Sozialstaat müsse darauf adäquat reagieren.
Bereits der durch die Digitalökonomie ausgelöste Strukturwandel werde den Sozialstaat erheblich fordern, sagt Quitzau. Der Sozialstaat müsse diejenigen auffangen, die wegen der technologischen Veränderungen ihren Job verlieren.
Bereits in diesen Fällen sei aber fraglich, ob diese Menschen durch Aus- und Weiterbildungen wieder fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden können. In einer sich rapide ändernden Welt, seien diese Bemühungen ein Wettlauf gegen die Zeit.
Zum gewaltigen gesellschaftlichen Problem könne es aber werden, wenn die durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungen über den ganz normalen Strukturwandel hinausgingen und die Wirtschaft von Grund auf verändern.
Wenn Roboter, vernetzte Maschinen und künstliche Intelligenz einen großen Teil der bisherigen Arbeit übernähmen und etwa nur noch 20 Prozent der Bevölkerung überhaupt erwerbstätig seien, dann werde ein völlig anderes Gesellschaftsmodell nötig.
Neue Arbeitszeitmodelle durch die Digitalisierung
„Es ist ein Traum der Ökonomen, dass die Menschen materielle Knappheit überwinden“, sagt Vöpel. „Aber wenn beispielsweise 80 Prozent der Menschen nicht mehr am Erwerbsleben teilnehmen, brauchen wir neue Arbeitszeitmodelle und neue Sozialmodelle. Ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte in solch einer Welt ein Modell sein“, sagt auch Bankvolkswirt Quitzau.
Gegenwärtig halte er allerdings vom bedingungslosen Grundeinkommen nichts. Das viel diskutierte Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens sieht vor, dass jeder Bürger unabhängig von seiner wirtschaftlichen Lage vom Staat ein Grundeinkommen erhält, das sein Auskommen sichert.
Die Bundesregierung verschließe vor dieser Entwicklung bisher die Augen, warnen die Autoren. Die Regierung habe zwar eine Digitale Agenda auf den Weg gebracht und versuche, alles zu unternehmen, damit der digitale Wandel möglichst reibungslos abläuft. Sie setze damit auch an den richtigen Stellen an, etwa wenn es darum gehe, die Netzinfrastruktur zu verbessern und auszubauen oder die Datensicherheit zu stärken.
Mögliche negative soziale Folgen der Digitalisierung blende die Bundesregierung aber aus, warnt Berenberg-Volkswirt Quitzau. Das gelte beispielsweise bei der Frage, wie damit umzugehen sei, wenn der technologische Wandel mehr Arbeitsplätze vernichten sollte, als er schaffen kann.
„Da ist die Bundesregierung relativ blank“, sagt Quitzau. „Die Digitale Agenda ist durchsetzt von einem positiven Geist. Aber man sollte natürlich auch wissen, was man macht, wenn es nicht so läuft wie geplant.“