„Ist das noch das Land, dem wir als Ostdeutsche beigetreten sind?“
Bei „Hart aber fair“ streitet die Runde, wer für die zunehmende Spaltung der Gesellschaft verantwortlich ist. Vor allem das Thema Migration sorgt für Zündstoff. Der muslimische Künstler Michel Abdollahi reagiert dünnhäutig.
Bevor es in die besinnliche Weihnachtspause geht, wollte es Frank Plasberg noch einmal richtig krachen lassen – diesen Eindruck konnten ARD-Zuschauer am Montagabend zumindest bekommen, wenn sie die letzte „Hart aber fair“-Ausgabe des Jahres einschalteten. „Sprachlos, verständnislos, wütend: Wie gespalten ist Deutschland?“ lautete das Thema der Sendung. Passend, denn das Motto traf in weiten Teilen auch auf die Talkrunde zu, die sich von Beginn an in einer hitzigen Debatte wenig Verständnis, dafür aber reichlich Wut entgegenbrachte. Nur sprachlos war sie selten.
Die zentralen Themen waren schnell gefunden: Migration und Rechtsruck. Ebenso schnell waren die Fronten abgesteckt. Journalist Claus Strunz wurde flankiert von Politikberaterin Antje Hermenau, der in der Runde die Rolle der Ostdeutschen-Versteherin zugeteilt wurde. Auf der anderen Seite saß der iranischstämmige Künstler Michel Abdollahi, der sich selbst scherzhaft als „Berufsmoslem“ bezeichnete, neben Annette Behnken, die die besonnene Pastorin geben durfte. Dazwischen Unternehmer Dirk Roßmann als Fels in der Brandung.
Von Strunz wollte Plasberg eingangs wissen, was denn sein Anteil an der vergifteten öffentlichen Debatte sei. Den Wink mit dem Zaunpfahl ließ der jedoch an sich abperlen: „Die Leute kommen nicht klar mit Argumenten und reagieren mit Häme und Emotionen.“ Das war das Stichwort für Abdollahi, der Strunz den Gefallen tat und eben genau das bestätigte. Er warf Strunz mangelnde Selbstkritik vor und gab sich fortan auch gegenüber Hermenau und Roßmann extrem dünnhäutig. Damit tat er sich keinen Gefallen. Heimste er anfangs für seine Kritik an AfD und Horst Seehofers Migrationspolitik noch reichlich Applaus ein, reagierte das Publikum zunehmend verhalten auf seine Einwürfe.
„Die Leute im Osten wollen selbst über Integration entscheiden“
Minutenlang referierte Roßmann über seine Unternehmensphilosophie und darüber, wie herzlich und klug seine Mitarbeiter aus knapp hundert Nationen seien. Als er dennoch anmahnte, dass es auch Probleme mit jungen Muslimen gäbe, die sich radikalisierten, von der deutschen Kultur distanzierten, Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau und Homosexualität ablehnten, verdrehte Abdollahi nur abfällig die Augen. Was für Quellen Roßmann denn dafür habe, wollte er wissen.
Antje Hermenau ging es nicht anders. Immer wieder versuchte sie, die ostdeutsche Gemütslage zu beschreiben. „Die Leute im Osten wollen selbst über Integration entscheiden. Der Westen ist da kein Vorbild“, sagte sie. Die Menschen wüssten sehr genau, wie es teilweise in westdeutschen Städten aussehe, und wollten präventiv gegensteuern. „Natürlich spielt Identität eine Rolle“, sagte Hermenau. „Wir haben uns aus der Umklammerung Moskaus gelöst und wollten Deutsche sein. Jetzt hat sich Deutschland so verändert, dass sich viele fragen: Ist das noch das Land, dem wir beigetreten sind?“
Für Abdollahi reichte das: „Sie wollen doch nur, dass gar keiner mehr reinkommt“, sagte er. Und außer in Duisburg-Marxloh gäbe es schließlich gar keine Grundlage für solche Sorgen. Dann zeigte Plasberg mehrere Ausschnitte aus einer schon einige Jahre alten Dokumentation, in der Abdollahi in Jamel einen mutmaßlichen Neonazi interviewt. Der Ort gilt als „Nazi-Dorf“. Viel zu diskutieren gab es darüber allerdings nicht. Es herrscht für einen Moment Konsens, bevor Strunz den Ball zurückspielt und provoziert: „Ich habe vor radikalen Moslems mehr Angst als vor solchen Idioten, die einen Wegweiser nach Braunau aufstellen.“
„Die Leute zu diffamieren reicht nicht“
Sowohl Strunz als auch Behnken zeigten sich davon überzeugt, dass das Thema Migration stellvertretend auch viele andere Probleme stärker in den Fokus gerückt hätte. „Die Leute fragen sich, wie wird das mit der Krankenversicherung, mit der Miete, mit dem Sozialstaat und mit den Schulen“, so Strunz. „Da braucht es Antworten von der Politik. Es reicht nicht, die Leute zu diffamieren und zu sagen: ‚Ihr seid zu dumm, um den globalen Zusammenhang zu begreifen.‘“
Annette Behnken konnte sich auf Plasbergs Nachfrage hin nicht so recht entscheiden, ob ein AfD-Mitglied auch ein guter Christ sein kann. Hintergrund ist ein Fall in Berlin, wo dem Kind eines AfD-Politikers die Aufnahme in einer Waldorfschule verwehrt wurde. „Das ist eine schwierige Vorstellung“, so Behnken. „Wenn jemand dialogbereit ist, kann man reden, aber wir stehen fest zu unseren Werten. Flüchtlinge sind willkommen. Feindesliebe und Nächstenliebe, das macht Menschen besser.“