Nadine Angerer möchte sich gern treiben lassen
Nadine Angerer ist die unumstrittene Nummer eins im tor der deutschen Frauen-Nationalelf. Bei WELT ONLINE spricht die 30-Jährige über das Spiel gegen Brasilien, den Unterschied zwischen der deutschen und der schwedischen Liga, und warum sie nicht in die USA sondern zum 1. FFC Frankfurt wechselt.
WELT ONLINE: Frau Angerer, Sie sind Anfang des Jahres nach nur einer Saison beim Stockholmer Djurgardens IF zum 1. FFC Frankfurt gewechselt, wie kam es dazu?
Nadine Angerer: Eigentlich wollte ich in die USA in die neue amerikanische Liga wechseln. Das hat sich aber durch die Überschneidungen mit der Europameisterschaft zerschlagen. Ich denke, dass ich als Nummer eins im deutschen Tor auch eine gewisse Verantwortung habe. Eine andere, als vielleicht noch vor ein paar Jahren, als ich nur Nummer zwei war. Ich wollte eben die komplette Vorbereitung vor der EM mitmachen und das wäre bei einem Wechsel nach Amerika nicht möglich gewesen. Dann kam das Angebot aus Frankfurt, das Gesamtpaket hat gestimmt und ich habe unterschrieben.
WELT ONLINE: Wie schätzen Sie denn das Niveau des schwedischen Frauen-Fußball im Vergleich zum deutschen ein?
Angerer: Die schwedische Liga ist im Moment einen Tick besser, was Athletik, Kondition und Schnelligkeit betrifft. Was die Technik angeht, können sich die Schweden sicherlich noch von uns etwas abschauen. Die deutsche Liga hat stark aufgeholt, die Schwedinnen aber immer noch einen Tick voraus ist.
WELT ONLINE: Die Popularität der Frauen-Nationalmannschaft hat in Deutschland nach dem Gewinn der WM vor zwei Jahren enorm zugenommen. Beim Freundschaftsspiel gegen Brasilien am Mittwoch wird sogar ein neuer Zuschauerrekord erzielt. Ärgert es Sie, dass die Liga im Vergleich dazu kaum wahrgenommen wird?
Angerer: Es ist ein Teufelskreis, dass die Liga hinter der Nationalmannschaft an steht. Das Zugpferd ist im Moment die Nationalelf, da darf die Liga den Anschluss nicht verpassen. Das haben jetzt auch viele kapiert. Man darf nicht vergessen, dass die meisten Spielerinnen noch Vollzeit arbeiten. Aber das tun die Spielerinnen in Schweden auch. Da muss man eben umdenken und noch vor der Arbeit trainieren. Das funktioniert dort auch. Jede Spielerin muss etwas investieren. Es reicht nicht, nur vier Mal die Woche zu trainieren, um die Liga besser und interessanter für die Medien zu machen. Mittelfristig wäre es aber auch wichtig, eine Semiprofessionalität im Frauenfußball zu haben. Wenn man volle acht Stunden arbeitet, ist es natürlich schwierig, nebenbei regelmäßig zu trainieren.
WELT ONLINE: Wie oft trainieren Sie denn?
Angerer: Ich selbst trainiere sieben Mal die Woche. Neben arbeite ich als Physiotherapeutin 15 Stunden die Woche, auch wenn ich das nicht müsste. Ich trainiere vor der Arbeit, gehe dann zur Arbeit und trainiere danach wieder. Wenn man in der Nationalmannschaft spielt, muss man Extra-Einheiten einlegen. Man sieht jedes Jahr wieder im Vergleich mit anderen Nationen, dass die uns am Anfang des Jahres immer einen Tick voraus sind.
WELT ONLINE: Sie meinen den Algarve Cup, bei dem die deutsche Mannschaft nur Platz vier belegte und viel Kritik einstecken musste?
Angerer: Ja, die Kritik beim Algarve war auch berechtigt. Wir müssen mehr trainieren, das fordert Sylvia Neid und das wissen wir auch. Die Japanerinnen trainieren jeden Tag zwei Mal, noch dazu mit Männern zusammen. Langfristig werden die uns davon rennen. Da muss in den Köpfen der Bundesliga-Spielerinnen, aber auch in den Köpfen der jüngeren Nationalspielerinnen ein Umdenken passieren.
WELT ONLINE: Nächste Gelegenheit, die Form zu testen, bietet am Mittwoch das Spiel gegen die Brasilianerinnen. Was erwarten Sie sich davon?
Angerer: Ich erwarte, dass es ein sehr, sehr heißes Spiel wird. Es ist ein brisantes Duell, wir haben ja auch so etwas wie eine kleine Geschichte. Wir wollen uns gut präsentieren und auf gar keinen Fall verlieren. Außerdem wollen wir uns für die Niederlage revanchieren, die wir zu Recht bei Olympia im vergangenen Jahr im Halbfinale kassiert haben. Wir haben also noch eine Rechnung offen.
WELT ONLINE: Wie schätzen Sie ihre Gegnerinnen ein?
Angerer: In Schweden haben ja auch mehrere Brasilianerinnen gespielt, von daher kenne ich die schon. Ich glaube, im vergangenen Jahr habe ich fünf oder sechs Mal gegen Marta gespielt. Wir kennen uns also. Obwohl man eine Marta eigentlich nie kennen kann, weil man nie weiß, was sie macht. Da muss man einfach geschickt spielen und zusammen arbeiten, denn eine allein kann Marta nicht stoppen. Die anderen Spielerinnen darf man aber auch nicht vergessen.
WELT ONLINE: Seit dem WM-Titel vor zwei Jahren sind sie nicht nur zu einer Leistungsträgerin, sondern auch zu einem der Aushängeschilder des deutschen Frauen-Fußballs geworden. Erinnern Sie sich gerne an die Zeit nach der WM zurück?
Angerer: Das war damals natürlich ein Riesen-Hype. Ich bin regelmäßig krank geworden und habe mir sogar eine Lungenentzündung geholt. Es war ziemlich viel, und ich war darauf auch nicht vorbereitet. Das konnte ja vorher keiner wissen. Aber wenn man zufrieden mit sich selbst ist und die Sache auch mit einer gewissen Neutralität sieht, kann man das auch wegstecken. Ich fand das damals alles sehr interessant. Spaß gemacht hat es natürlich vor allem, wenn es Termine waren, bei denen die ganze Mannschaft dabei war und wir uns alles wiedergesehen haben.
WELT ONLINE: Die Nationalmannschaft der Männer erlebt diesen Rummel ständig. Der Hype um Sie und ihre Kolleginnen ist dagegen wieder etwas abgeklungen. Macht Sie das neidisch?
Angerer: Wir haben da überhaupt keinen Neid auf die Männer. Man muss dabei ja auch sehen, wie alt der Frauenfußball und wie alt der Männerfußball ist. Wenn man die unterschiedlichen Entwicklungen sieht, kann man das nicht miteinander vergleichen. Wir wissen, dass wir uns Schritt für Schritt verbessern müssen. Wenn wir das tun, sind wir auch erfolgreich. Aber ich persönlich möchte auch nicht mit den Männern verglichen werden und ich glaube, das ist bei den anderen auch so.
WELT ONLINE: Werden Sie trotzdem in Frankfurt auch mal auf der Straße erkannt?
Angerer: In Frankfurt ist vor dem Länderspiel natürlich alles im Moment voll tapeziert mit Plakaten. Das ist also eine besondere Situation. Ich werde eigentlich erstaunlich häufig erkannt. Und das, obwohl ich nicht direkt in Frankfurt wohne, sondern außerhalb im Wald. Aber das ist ja ein gutes Zeichen, dass sich der Frauenfußball weiterentwickelt. Wenn die Leute einen Ballack kennen, aber eben auch eine Birgit Prinz.
WELT ONLINE: Die Heim-WM wird da natürlich nochmals einen zusätzlichen Anschub geben. Beschäftigen Sie sich jetzt schon damit?
Angerer: Klar, natürlich denke ich an die WM. Aber ich versuche, es nach hinten zu schieben, stattdessen alles Step by Step anzugehen. Zuerst kommt die EM in diesem Sommer, außerdem muss ich auch gesund bleiben. Aber am liebsten würde ich gleich morgen anfangen zu spielen. Ich bin richtig heiß drauf.
WELT ONLINE: Bei der WM 2011 sind sie 32 Jahre alt, denke Sie auch schon an Ihre Zeit nach der aktiven Fußball-Karriere?
Angerer: Daran denke ich oft, aber meine Vorstellungen ändern sich eigentlich jeden Tag. Ich bin da sehr flexibel und neugierig. Ich will auf jeden Fall für einige Zeit nach Afrika auswandern und nicht ständig alles vorgegeben bekommen, wie das im Moment so ist: 10 Uhr Training, 12 Uhr Mittagessen, 14 Uhr Pflege, 16.30 Uhr Training. Dann könnte ich mich auch mal ein bisschen treiben lassen.