Marzahn hat die grünen Seiten der Platte
Marzahn haftet das Vorurteil der öden Bettenburg an. Doch das ist der Ortsteil im Norden schon lange nicht mehr. Aus fantasielosen, grauen Elfgeschossern sind längst drei- bis sechsstöckige farbenfrohe Stadtvillen geworden. Und im Erholungspark fühlt man sich wie in China, Japan, Italien oder wie auf Bali.
Die „Gärten der Welt“ sind ein Glücksfall für Marzahn – ein regelrechter Exportschlager. Diese exotische Schau internationaler Gartenbaukunst lockt jährlich mehr als 650.000 Besucher in den Erholungspark Marzahn. Sie zieht Berlin-Touristen aus allen deutschen Landen und aus aller Herren Länder an, die sonst vermutlich nie den Weg in die Plattenbausiedlung gefunden hätten.
Noch nicht. Der junge Amerikaner Brendan Scott aus Iowa will beim nächsten Berlin-Trip unbedingt mehr von Marzahn sehen. „Many Green and nice skyline“, sagt der Architektur-Student. Neben dem vielen Grün haben es ihm die pastellfarbenen Fassaden der sanierten Häuser angetan. Auch der neue Chef der Grün Berlin Park & Gärten GmbH kann die landläufige Meinung, die „Platte“ sei grau, öd, ja gar gruselig, „überhaupt nicht teilen“. Der 40-jährige Landschaftsarchitekt Christoph Schmidt – in seiner Funktion auch Hausherr der „Gärten der Welt“ – war bisher Projektmanager der Hamburger Hafencity. Er kennt Marzahn seit 1995: „Diese Großstadt hat sich sehr zu ihrem Vorteil entwickelt, modern, grün.“ Seinen Lieblingsplatz im Erholungspark hat Schmidt schon gefunden, das Teehaus im Chinesischen Garten: „Da kann man so schön die Seele baumeln lassen.“
Neben dem größten Chinesischen Garten in Europa (seit 2000) sind der Japanische, der Balinesische und der Koreanische Garten, der Englische Hecken-Irrgarten, der Italienische Renaissancegarten und ein Staudengarten weitere Anziehungspunkte. 2009 soll ein Europäischer Klostergarten öffnen, ein Englischer Cottagegarten mit Landhaus ist Zukunftsmusik. Schmidt sagt zwar, „langsam wird der Platz im Park knapp“, hat aber weitere Pläne. So müsse die afrikanische Kultur vertreten sein. Der Bezirk will Flächen vom nahen Kienberg-Gelände spendieren.
Comedy-Entertainerin „Cindy aus Marzahn“ hat den Ortsteil ebenfalls bekannt gemacht. Dabei stammt Ilka Bessin – wie sie im bürgerlichen Leben heißt – gar nicht aus Marzahn, sondern aus dem brandenburgischen Luckenwalde. „Einer ebenso schönen plattenreichen und grünen Gegend“, wie sie sagt. Sie finde den Kunstnamen schön und sei schon mehrmals in Marzahn gewesen. „Da ist es interessant, laut, schrill“, meint Cindy, haargenau passend zu ihrem Image. „Da gibt es noch Leute, die träumen, und auch Leute, die sich was geschaffen haben“, fügt sie hinzu, „Musiker, Modelabels und vieles mehr.“ Wenn das keine Liebeserklärung an die Marzahner ist. Deutschlands größte Plattenbausiedlung feiert 2009 offiziell ihren 30. Geburtstag.
Am 5. Januar 1979 wurde sie ein eigenständiger Bezirk, seit 2001 ist sie mit Hellersdorf verbandelt. Von 1977 bis 1989 waren auf Ackerland mehr als 60.000 Wohnungen errichtet worden, damals allerdings noch meist im tristen Beton-Grau, oft in schlangenförmige Endlosbauten und mit Schlammwüsten drum herum. Trotzdem rissen sich gerade junge Familien förmlich um die Wohnungen mit Bad und Fernwärme – heilfroh, ihren Bruchbuden in der Ost-Berliner Innenstadt entkommen zu sein. Seit der Wende zogen allerdings 35.000 Menschen fort.
Im Zuge des „Stadtumbaus Ost“ hat Marzahn im Norden des Ortsteils ein deutschlandweit bislang einmaliges Vorzeigeprojekt zu bieten, die „Ahrensfelder Terrassen“. Für 30 Millionen Euro waren marode Elfgeschosser mit 1670 Wohnungen zu drei- bis sechsstöckigen farbenfrohen Stadtvillen mit 447 Wohnungen geschrumpft. Und siehe da: Sie sind voll vermietet.
EU-Tierhof in Alt-Marzahn
Angelika Ristig wohnt zwar seit 1980 als „Erstbezug“ an der Märkischen Allee, ist aber „richtig stolz“, dass ihr Mann an den „Terrassen“ mitbaute. Sie dokumentierte es ebenso mit ihrer Kamera wie seit jeher alle großen und kleinen Veränderungen in den Kiezen: „Marzahn hat ein freundliches, großstädtisches Gesicht erhalten.“ Eine eigene Foto-Ausstellung ist in Sicht.
Im Dorf Alt-Marzahn ist sie oft auf Tour. Da kennt sich Albrecht Voigt noch besser aus. Der diplomierte Landwirt – jetzt Rentner – hatte seit 1997 den Tierhof Alt-Marzahn auf einem 250 Jahre alten Bauerngehöft zum anerkannten EU-Zuchtbetrieb für vom Aussterben bedrohte Haustierrassen ausgebaut. Der historische Landmaschinenpark nebenan am Fuße der Mühle ist auch sein Verdienst. Für Voigt ist der von Hochhäusern umzingelte Dorfkern „das letzte original erhaltene Stück Alt-Berlin“.
Bauernhäuser schmiegen sich aneinander, Anger, Kirche, Geschäfte, Gasthöfe. Katzen pilgern in aller Ruhe übers Kopfsteinpflaster, Touristen sowieso. Voigt nennt es einen Glücksfall, dass dieses Dorf in der DDR nicht abgerissen wurde. Er erklärt es sich so: „Die alten Männer im SED-Politbüro brauchten eben ein Spielzeug.“ Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) war bei einem Rundgang so begeistert, dass er Alt-Marzahn „Berlins schönste Puppenstube“ nannte.
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