Zehntausende Syrer flüchten vor neuer Militäroffensive
Zehntausende Syrer fliehen nach einer Militäroffensive in Richtung der türkischen Grenze. Fraglich ist, ob die Türkei unter diesen Umständen das neue Abkommen mit der EU überhaupt umsetzen kann.
Während die Syrien-Gespräche in Genf auf den 25. Februar verschoben wurden, haben syrische Regierungstruppen eine neue Offensive in der umkämpften Region Aleppo gestartet. Dabei sollen sie von der russischen Luftwaffe unterstützt werden. Das meldet die türkische Regierung in Übereinstimmung mit der in London ansässigen und der Opposition nahestehenden Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Die Kämpfe konzentrierten sich auf die Orte Nubl und Zahraa im Norden Aleppos, in deren Nähe die letzte Nachschubroute der Rebellen in die Türkei verlief.
Diese Orte wurden bislang von der Nusrafront, dem Al-Qaida-Ableger in Syrien, sowie von der islamistischen Organisation Ansar al-Din belagert. Mit der erfolgreichen Offensive der syrischen Armee zur Beendigung der Belagerung sei nun die Verbindung in die Türkei unterbrochen, sagte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu. Der Nachschubweg ist gekappt.
Die Militäroffensive soll Zehntausende Menschen in die Flucht getrieben haben. Die Türkei erwarte 10.000 neue Flüchtlinge in der Provinz Kilis; weitere 60.000 bis 70.000 seien auf dem Weg, sagte Davutoglu und sprach vom „schwersten und gefährlichsten Angriff auf Aleppo“ seit fünf Jahren. Er forderte die USA dazu auf, gegen Russlands Offensive Stellung zu beziehen.
Am Vormittag zeigte der Fernsehsender CNN Türk Bilder von etwa 5000 syrischen Flüchtlingen, die den Grenzzaun erreicht hatten. Auf eine Anfrage der „Welt“ wollte sich der Gouverneur von Kilis nicht zur gegenwärtigen Situation äußern. Kilis ist nur fünf Kilometer von der Grenze und 16 Kilometer von der nordsyrischen Stadt Azaz entfernt – und die erste türkische Provinzhauptstadt, in der bereits jetzt mehr Flüchtlinge aus Syrien leben als alteingesessene Einwohner.
Das Abkommen, das die Europäische Union kürzlich mit der Türkei beschlossen hat, sieht vor, dass die Türkei im Gegenzug für finanzielle Hilfen und politische Zugeständnisse künftig syrische Flüchtlinge, die illegal nach Europa ausreisen, zurücknimmt. Falls die syrischen Regierungstruppen Aleppo erobern und so eine Massenflucht auslösen sollten, wäre es fraglich, ob sich unter diesen Umständen dieses Abkommen in dieser Form halten lässt.