Der Kampf um die vergreiste Biker-Gemeinde
BMW und KTM treten dieses Jahr mit stärkeren Modellen auf dem stagnierenden Motorradmarkt an, während Honda auf kleinere Maschinen setzt. Eine neue Führerscheinregelung lässt die Branche hoffen.
Die R 1200 GS ist ein Lebensretter. Die Maschine hat die Motorradsparte von BMW einst vor dem Ruin gerettet. Der bayerische Hersteller sieht sich dieser Tradition verpflichtet und hat für die kommende Zweiradsaison das leicht schrullige Konzept des Klassikers so weiterentwickelt, dass es kaum noch etwas mit dem Premierenmodell von 2004 gemein hat. Den Siegeszug soll das meistverkaufte Motorrad Europas trotzdem fortsetzen.
Gewissermaßen ist die GS zu einem Cyborg geworden, der neben der Ur-GS aussieht wie der Sechs-Millionen-Dollar-Mann neben einer Vogelscheuche. Der Motor hat zur radikalen Verwandlung am meisten beigetragen. Überall sonst ist der Zweizylinderboxer aus dem Fahrzeugbau verschwunden, in einer GS darf er nicht fehlen.
Doch statt mit einem Luft-Öl-Gemisch wird der Boxer nun mit Wasser gekühlt. Die Zylinderköpfe mussten um 90 Grad gedreht werden und stehen jetzt nach unten gedreht statt nach vorn. Es gibt kleine Radiatoren in den Backen der Verkleidungsfront und kleine Wasserringe, die die heißesten Stellen des Zylinders kühlen.
Viel Knöpfe in der neuen „Moduswelt“
Puristen werden aufschreien, kaufen wird die angestammte BMW-Kundschaft die Maschine wohl dennoch, glauben Marktbeobachter. Denn geblieben ist das Versprechen des großen Abenteuers, genauso wie die Komplettversorgung ab Werk mit Elektrospielzeugen: Traktionskontrolle, ein sich automatisch einstellendes Fahrwerk mit Federwegssensoren, LED-Lampen – eine ganze „Moduswelt“, wie es die BMW-Marketingabteilung formuliert. Positioniert wird das Motorrad als eine Art Einspur-SUV, das sich an ältere, finanziell besser gestellte Besitzer richtet.
Aber die Bayern haben starke Konkurrenz bekommen. Der österreichische Hersteller KTM hat in seinem Rekordjahr 2012 mehr Motorräder verkauft als BMW und in der 1190 Adventure ein Modell präsentiert, das dank ihres kantigen, coolen Designs eher die jüngere Kundschaft, das einstige Kernklientel, anspricht. Wie hart der Wettbewerb geworden ist, zeigt der Verkauf der BMW-Enduro-Marke Husqvarna an den Rivalen KTM, der diese Woche bekannt wurde.
Verkaufserfolge bei Husqvarna blieben aus
Der Schritt kam überraschend: Seit der Übernahme 2007 hat BMW Motorrad einige Millionen in neue Produkte und das Werk im oberitalienischen Varese investiert. Nach einer wechselhaften Historie war der Dirtbike-Spezialist Husqvarna Motorcycles mit schwedischem Ursprung bei BMW bisher anscheinend in guten Händen. Investitionen von über 35 Millionen Euro brachten Rückenwind für Produktoffensiven. Die erwarteten Verkaufserfolge bei neuen Maschinen wie der Nuda 900, TR650 und Terra Strada blieben aber anscheinend aus.
Dabei verkaufte Husqvarna vergangenes Jahr weltweit 10.751 Maschinen, ein Plus von immerhin 15,8 Prozent gegenüber 2011. Zum Vergleich: BMW Motorrad kam im gleichen Zeitraum auf 106.358 Einheiten. BMW will sich mit der Trennung neu aufstellen.
KTM greift auch bei den Big Bikes an. Unumstrittener Star der Wintermessen war die KTM 1290 Superduke, die Ende 2013 bei den Händlern stehen soll. Von ihrer Gestalt her ist dieses Kraftrad das, was der Lamborghini Aventador für die Autowelt ist: eine Augenweide. Der Motor? Bombastisch. KTM-Triebwerke können wunderbar rau und pragmatisch sein. Das Fahrwerk ist ab Werk mit so viel Reserven für Rennstrecken gebaut, dass sie für Straßenfahrer gleich Zement statt Öl in die Dämpfer hätten kippen können.
Eine Duke ist zum Fahren da
Es ist doch so: Wer ständige Lektionen in Demut sucht, fährt ein Sportmotorrad. Ein großer Teil der Biker allerdings wendet sich ab, weil er etwas anderes sucht: simplen Fahrspaß, ganz altmodisch. Den findet er in altmodischen, simplen Motorrädern. So verdankt KTM der kleinen 690 Duke einen großen Teil des Vorjahreserfolgs.
Sie ist eine Straßenmaschine ohne Verkleidung mit federnden 165 Kilogramm Gewicht bei vollem Tank und kostet bescheidene 7500 Euro. Weil sich das „Naked Bike“ auf das Wesentliche beschränkt, hat es viele Neukunden zu KTM gebracht. „Das sind Leute, die eine BMW S 1000 RR oder eine Ducati 1199 Panigale haben, mit der sie am Sonntag beim Motorradtreff posieren. Die kommen dann und kaufen als Zweitmaschine eine Duke – um damit einfach nur zu fahren“, berichtet ein KTM-Händler.
Alle Hersteller brüten über die richtige Strategie im markenübergreifenden Überlebenskampf. Der Absatz der Branche befindet sich bereits seit Jahren im Sinkflug. „Das Motorrad hat seine seine eigene Jugendlichkeit verloren“, hat der Industrieverband Motorrad (IVM) schon vor Jahren konstatiert. Die Motorradfahrer werden immer älter. Im Durchschnitt ist ein Käufer Mitte vierzig, und manch potenzieller Kunde stellt sich da schon mal die Sinnfrage: Wozu brauche ich eigentlich ein Motorrad, das so viel mehr kann als ich?
Mittel gegen die Vergreisung
Moderne Sportmotorräder vermitteln so viel Überlegenheit, dass vor allem der in die Jahre gekommene Biker sie im Sattel zu spüren bekommt: das verächtliche Grollen einer Aprilia RSV4 über den viel zu späten Zeitpunkt, an dem wir erst den Mut finden, das Gas aufzureißen. Die sarkastische Servilität einer BMW S 1000 RR, mit der sie jeden Fahrerwunsch als Lappalie abfertigt.
Als Mittel gegen die Vergreisung werden diese Saison vermehrt kleine, liebenswerte und vor allem billigere Maschine herausgebracht. Bei KTM fahren sie ebenfalls unter dem Label „Duke“. Den Anfang machte die 125 Duke, die 2011 erschien. Bajaj in Indien fertigt das vielseitige Motorrad, das dafür ausgelegt ist, dass Einzylinder mit mehr Hubraum im selben Chassis angeboten werden können. Mittlerweile gibt es eine 200 Duke und ab Mai auch eine 390 Duke – für knapp 5000 Euro.
Erschwert wird der Einstieg durch aufwendige Prüfungen. Die neue Führerscheinregelung wird sich auf den Motorradmarkt auswirken. Die kleine Duke tritt im neuen Führerscheinsegment A2 bis 48 PS an. 18-Jährige absolvieren jetzt statt des Stufenführerscheins die A2-Ausbildung und können nach zwei Jahren Fahrpraxis und einer kurzen praktischen Prüfung die A-Lizenz erwerben und damit jedes Motorrad fahren.
Halber Motor aus dem Honda Civic
Das größte Stück dieses neuen Kuchens wird sich Honda einverleiben. Der japanische Hersteller hat sich mit Erfolg auf seine Ursprünge besonnen, schnörkellose und solide Alltagskrafträder zu einem fairen Preis anzubieten. Mit der superben NC-Baureihe hat Honda 2012 Gewinn gemacht, und darauf will der Konzern aufbauen.
Diese Motorräder sind mit ihrem halbierten Civic-Motor überaus sparsam und verbrauchen auf 100 Kilometern nur etwas mehr als zwei Liter. Sie kosten ab 6000 Euro und sind im Alltag mit ihrem großen Staufach in der Tankattrappe sehr praktisch. Trotz ihres Pragmatismus vermitteln sie großen Fahrspaß.
Für 2013 hat Honda nachgelegt und bietet im A2-Segment neben den 700ern der NC-Reihe eine neue CB-Reihe mit einem kleineren 500er-Zweizylinder an. Es gibt ein Naked Bike (CB 500 F), einen Tallrounder (CB 500 X) und einen voll verkleideten Sportler (CB 500 R), der aussieht wie eine kleine Fireblade. Auch im Kleinen will Honda die Strahlkraft des großen, teuren Supersportlers ausnutzen. Die Preise für die CB 500 F beginnen bei 5755 Euro.
Ohne träumende Einsteiger keine Traummaschinen
Kunden im darunter liegenden A1-Bereich soll die MSX 125 ködern, die als peppig gestaltetes Stadtfahrzeug die Honda Monkeys und Gorillas beerbt. Durch den einfachen Aufbau mit einem luftgekühlten Motor erreicht Honda ein verbraucherfreundliches Fahrzeuggewicht von rund 100 Kilo – ideal, um die MSX am oder im Wohnmobil zu transportieren. Und im untersten Einstiegssegment kommt eine neue Generation des 50er-Rollers Zoomer (Klasse AM). Die Produktion lief kürzlich in Asien an.
Für die Biker-Gemeinde ist es beruhigend, zu wissen, dass es wieder mehr kleine Motorräder für den Alltag gibt. Sie hofft, dass mit neuen Maschinen die Zweirad-Begeisterung neu entfacht wird. Die Hersteller und Interessenverbände wie der IVM müssen ihre verlorenen Söhne und Töchter mit Basisarbeit zurückgewinnen. Denn ohne träumende Einsteiger auf der unteren Seite gibt es demnächst keinen Markt mehr für die hochpreisigen Traummaschinen.