Todd Phillips

„Der Joker steht für Chaos. Und für Freiheit“

Von Marten Hahn
Veröffentlicht am 10.10.2019Lesedauer: 10 Minuten

Regisseur Todd Phlipps (u.a. bekannt für seine „Hangover“-Filme) drehte hier mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle den Solofilm „Joker“. Die Titelfigur Arthur Fleck ist geisteskrank und diese wird durch ständige Demütigungen immer schlimmer.

Der Regisseur Todd Phillips ist bekannt für seine Komödien. Jetzt hat er mit seiner düsteren Charakterstudie „Joker“ eine Kontroverse ausgelöst. Ein Gespräch über die Nähe von Lachen und Schmerz.

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Schon lange hat ein Film sein amerikanisches Publikum nicht mehr in zwei so rettungslos verfeindete Lager gespalten wie „Joker“, der erzählt, warum Batmans Feind wurde, wie er ist. Es hat den Anschein, dass eine Gesellschaft, die daran gewohnt ist, die Welt wie in Superheldenfilmen in Gut und Böse aufzuteilen, nicht mehr fähig ist, eine moralisch zwiespältige Figur zu verkraften. Der Mann, der dafür verantwortlich ist, heißt Todd Phillips und hat bisher Komödien wie „Hangover“ gedreht. Ein Gespräch über Chaos und Freiheit, Comic-Filme für Erwachsene und die Angst, zurück zu schauen.

Todd Phillips
Auch in seinen Komödien liegt eine Düsternis: Todd PhillipsQuelle: Dan Steinberg

WELT: Einen Siebenjährigen sollte man nicht zu „Joker“ mit ins Kino nehmen, oder?

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Todd Phillips: Das wäre nicht empfehlenswert. (lacht)

WELT: Sind die Rechteinhaber Warner und DC da nicht über die Düsternis Ihres Films gestolpert?

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Todd Phillips: Wenn wir über die Ängste des Studios reden, dann spielte das sicher auch eine Rolle. Die sagten mir: ‚Du weißt schon, dass wir auch Kinderschlafanzüge mit dem Gesicht des Jokers verkaufen?‘ Und ich dachte: ‚Wirklich? Das macht doch keinen Sinn. Das ist doch ein Bösewicht.‘ Also ja, der Film ist für ein breites Publikum, aber nicht für jeden. Ich hoffe, das haben wir in der Vermarktung auch klar gemacht. In den USA wurde er als ‚R‘ eingestuft. (Altersfreigabe: Kinder unter 17 nur mit elterlicher Begleitung, d. Red.) Für Siebenjährige ist das nichts. Aber ich denke, das ist ok. Manchmal versucht man einen Film für alle zu machen und macht so am Ende einen Film für niemanden. Es ist sehr nett, sich stattdessen mal auf ein etwas schmaleres Publikum zu konzentrieren.

WELT: Aufgrund der Gewalt im Film haben sich die Opfer und Hinterbliebenen des Amoklaufs von Aurora zu Wort gemeldet. (2012 stürmte ein Schütze eine Vorstellung des Batman-Films „The Dark Knight Rises“ im US-Bundestaat Colorado und tötete zwölf Menschen, Anm. d. Red.) Sie befürchten, dass Filme wie Joker Gewalt verherrlichen und haben einen Brief an Warner Studios geschrieben. Einige glauben, Amokläufer könnten so ermutigt werden. Was ging ihnen durch den Kopf, als sie das hörten?

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Todd Phillips: Es ist recht schwer für mich, darüber zu reden, weil ich diesen Ideen keinen Sauerstoff geben will. Damit meine ich nicht den Brief. Der ist absolut in Ordnung. Darin sagen sie: Hey, ihr als Konzern solltet schärfere Waffengesetze in den USA unterstützen. Und dem stimme ich zu. Offen gesagt, sollten das alle Konzerne tun. Aber dann gibt es die Debatte darüber hinaus. Und darüber zu reden, würde bedeuten, Ideen zu beflügeln, an die ich nicht glaube. Ich glaube, manchmal werden solche Ideen größer als die Sache selbst und werden am Ende zu selbsterfüllenden Prophezeihungen. Man erschafft Dinge, die vorher nicht da waren. Das würde ich gern vermeiden.

WELT: Schaut man sich ihr bisheriges Werk an, könnte man das – verzeihen sie die Vereinfachung – mit den Stichworten „Bromance“ – Männerfreundschaft – und „Roadtrips“ – Auf Tour gehen – beschreiben. Würden Sie sagen, Joker führt nun davon weg?

Unterschwellig Düster

Todd Phillips: Nun ja, wenn man sich die Handlung anschaut, dann schon. Aber was den Ton angeht weniger, so verrückt das auch klingen mag. Wenn man sich die drei „Hangover“-Filme am Stück anschaut – ich schlage hiermit nicht vor, dass man das tun sollte – bemerkt man, dass diese albernen Komödien unterschwellig auch etwas Düsteres haben. Und man würde merken, dass wir die Situationen in den „Hangover“-Filmen, so absurd sie auch sind, immer sehr realistisch abbilden. Für mich war das ein ganz offensichtlicher Umgang mit Komödien. Ich finde, Dinge sind witziger, wenn sie in der echten Welt stattfinden. Das ist die Verbindung, die ich sehe. Natürlich sind die Filme wahnsinnig unterschiedlich. Aber der Ton ist für mich ein wichtiger Teil dessen, was ein Regisseur tut. Ich sehe da also keine so große Abweichung.

WELT: Was hat sie zum Joker-Material hingezogen?

Todd Phillips: Die Idee einer tiefgehenden Charakterstudie und der Wunsch, sich Comics auf neue Art und Weise zu nähern. Sie wissen sicher, dass Superhelden-Filme mittlerweile ein fester Bestandteil unserer Kultur in den USA sind und bestimmt ist das in Deutschland ähnlich. Sie sind ein eigenes Genre.

Als ich ein Kind war, gab es dieses Genre nicht. Es gab Horrorfilme, es gab Komödien, es gab Dramen und Liebesfilme. Nun sind auch Superhelden-Filme ein eigenes Genre. Manche dieser Filme sind ziemlich brillant und andere sind eher so la la. Aber sie fühlen sich alle so an, als seien sie aus dem selben Holz geschnitzt. Wir dachten: Was, wenn wir uns der Sache annehmen, eine 180-Grad-Wende hinlegen und es auf das Wesentliche reduzieren?

Um endlich ihre Frage zu beantworten: Warum der Joker? Weil der Joker in meinen Augen für Chaos steht. Und auf eigenartige Weise auch für Freiheit. Und da ist wieder die Verbindung zu den Themen, die ich in meinen Komödien erkundet habe. Sie erwähnten in dem Zusammenhang „Bromance“. Das ist sicher ein Teil davon. Ich denke nie an das Wort. Ich finde es fürchterlich. Wenn ich an „Hangover“ und einige meiner anderen Komödien denke, denke ich vor allem an Chaos.

Joker
Vertreter des Chaos: Joaquin Phoenix als JokerQuelle: Niko Tavernise

WELT: In ihren bisherigen Filmen haben sie häufig mit Schauspielern gedreht, mit denen sie schon einmal gearbeitet haben. Für Joker drehen sie zum ersten Mal mit Joaquin Phoenix. Warum fiel die Wahl auf ihn?

Todd Phillips: Ich kannte Joaquin nicht persönlich. Aber ich kannte natürlich seine Filme. Er ist einer der größten Schauspieler seiner Generation. Wenn ich Joaquin sehe, sehe ich einen Vertreter des Chaos. Das sehe ich nicht in jedem. Und wenn ich das sehe, fühle ich mich mit dieser Person verbunden. Ich meine das nicht wortwörtlich. Joaquin stiftet kein Chaos, aber in seinen Augen schimmert diese Wildheit. Schauspieler können so etwas natürlich spielen und tun das seit Jahrzehnten. Aber ich fand es aufregend, etwas zu nutzen, das schon da ist.

„Es ist einfach nicht sein Stil“

WELT: Aber es heißt, er war nicht sofort überzeugt.

Todd Phillips: Wie bei jedem Schauspieler brauchte es Zeit, einige Gespräche und Überzeugungsarbeit. Vor allem bei jemandem wie Joaquin, der in den vergangenen zehn Jahren all den Standard-Hollywood-Filmen widerstanden hat. Nicht weil ihm all diese großen Filme nicht angeboten worden wären. Es ist einfach nicht sein Stil. Mir war klar, dass mehr als eine Unterhaltung nötig sein würde, um ihn davon zu überzeugen, seine gewohnten Pfade zu verlassen und mit jemandem zu arbeiten mit dem er noch nie gearbeitet hat – mit mir, und das im „Comic-Buch-Bereich“. Nach drei Monaten sagte er endlich: Okay, lass uns das machen.

WELT: Hatte er Angst, in der Superhelden-Film-Schublade zu landen? Mussten Sie ihm versprechen, dass Sie etwas ganz anderes machen?

Todd Phillips: Ja. Er wusste zwar, dass wir etwas anderes probieren wollten. Er hatte ja das Drehbuch gelesen. Aber auf den ersten Blick sah es immer noch so aus, als würde er das Genre der Comic-Verfilmungen betreten. Es ist nicht so, dass Joaquin das Comic-Buch-Genre nicht mag. Aber als Schauspieler war er nie daran interessiert, es zu erkunden. Und auch wenn er wusste, dass es nicht die übliche Comic-Verfilmung werden würde – der Film heißt immer noch Joker und auf dem Poster steht DC. Es war klar, wie die Leute das interpretieren würden. Für die meisten wäre es immer noch eine Comic-Verfilmung, ganz egal wie verrückt, kaputt und düster es werden würde. Das war eine große Hürde für ihn.

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WELT: Sie haben mal gesagt oder getwittert, dass …

Todd Phillips: Ich habe kein Twitter. Ich tweete also nie.

WELT: Zumindest las ich in einem Artikel, dass sie einmal gesagt haben: „Man kann Marvel nicht schlagen – das ist ein Koloss. Lasst uns etwas machen, was sie nicht können.“ Was meinten sie damit?

Todd Phillips: Das wird oft falsch verstanden. Als ich Warner Studios und DC die Idee vorschlug, sagte ich: Statt Marvel zu jagen und das zu tun, was Marvel tut, lasst uns etwas ganz anderes machen. Marvel macht natürlich großartige Arbeit. Warum sollten sie diese wunderbare Sache, die für sie funktioniert, aufs Spiel setzen? Wir hingegen können spielen. Mein Pitch war: Lasst uns diesen kleinen Joker-Film oder andere Filme wie diesen machen, während parallel euer DC-Universum weiterläuft. Warum starten wir nicht ein separates Universum und beißen so zweimal in denselben Apfel?

Joker
Verrückt, kaputt, düsterQuelle: Niko Tavernise

WELT: Ihr Gotham City sieht aus wie das New York der 1980er. Der Einzelgänger Arthur findet es schwierig, mit seinen Mitmenschen und mit der Gesellschaft eine Beziehung aufzubauen, er verachtet Politiker und greift schließlich zur Waffe. Ich dachte da schnell an „Taxi Driver“. Wie wichtig war der Film für Sie?

Todd Phillips: „Taxi Driver“ ist Platz drei auf meiner Liste der besten Filme aller Zeiten. Aber … Entschuldigung! (Philipps spült ein Stück Keks mit Kaffee herunter.) Der Film war wichtig, um Joaquin und der Crew zu erklären, welchen Ton ich treffen wollte. Aber nicht nur „Taxi Driver“ spielte eine Rolle, sondern all diese Filme der Jahre 1974 bis 1982. Also auch „Einer flog über das Kuckucksnest“, „Hundstage“ oder „The King of Comedy“. Spricht man mit Filmcrews, lernt man schnell, dass wir alle aus denselben Gründen im Filmgeschäft gelandet sind. Nicht wegen Comic-Verfilmungen, sondern wegen dieser Filme, die uns geformt haben. Alle waren also begeistert, diese Welt wiederauferstehen zu lassen. Ich erinnere mich daran, dass ich gesagt habe: Ich will, dass der Film so aussieht, als wäre er im Sommer 1979 herausgekommen. Aber beim Schreiben war ehrlich gesagt nicht „Taxi Driver“ der größte Einfluss, sondern „Der Mann, der lacht“. Das ist ein Stummfilm aus dem Jahr 1928. Darin geht es um Lachen und Schmerz.

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WELT: Wie die Vorbilder ist „Joker“ sehr reduziert. Es gibt keine großen Spezialeffekte, keine Superkräfte, keine technischen Spielzeuge. War das eine bewusste Entscheidung?

Todd Phillips: Ja, auch hier war die Idee, alle so realistisch wie möglich darzustellen. Fliegende Menschen, Batmobile, übermäßige Computeranimation – all das hätte dem Ganzen nicht gedient. Aber nur um das klarzustellen: Wir haben uns beim Weltenbau durchaus von Computeranimation helfen lassen. Nur sieht das ganz bewusst nicht schön aus. Wir haben ein anderes Gotham gebaut als Tim Burton. Dessen Batman sah umwerfend aus, damals 1989. Man konnte es kaum glauben. Wir haben das Gleiche versucht, aber in hässlich.

WELT: Viele dürften sich vor allem noch an Heath Ledgers unglaublichen Joker in Christopher Nolans „Dark Knight“ erinnern. Haben Sie sich den auch angeschaut in der Vorbereitung?

Todd Phillips: Nein. Wir konnten uns das nicht anschauen, weil die Angst uns sonst gelähmt hätte. Genauso wenig haben wir uns die Joker von Jack Nicholson oder Jared Leto angesehen. Uns haben schon die Erwartungen der Leute halb erdrückt, als sie hörten, dass wir einen Jokerfilm machen. Jeder hat eine eigene Vorstellung davon, wie dieser Film klingen oder aussehen sollte. Dann noch zurückzuschauen, wäre zu viel gewesen. Wie gesagt: Nicht aus fehlendem Respekt. Sondern weil wir uns nicht einschüchtern lassen wollten, von diesen großartigen Filmemachern und Schauspielern, die vor uns kamen.

WELT: Haben Sie sich dann eher an den alten Comics orientiert?

Todd Phillips: Zum einen ist da mein eigenes Joker-Wissen. Ich bin mit Comics aufgewachsen, auch wenn ich kein irrer Nerd war. Aber ich erinnere mich noch genau an den Joker. Auch an den Joker aus der Batman-Fernsehserie, als ich ein Kind war. Wir haben uns überall in der DC-Welt bedient und nicht nur bei einer bestimmten Sache.

WELT: Im Film begleiten wir Arthur Fleck (gespielt von Joaquin Phoenix) auf einer Reise des schrittweisen Verfalls. Wer die Batman-Joker-Geschichten kennt, weiß ja, worauf es hinausläuft und das düstere Ende schwingt immer mit. Aber funktioniert das auch für Leute, denen das Vorwissen fehlt?

Todd Phillips: Ich kann mir nicht vorstellen, dass man Comic-Buch-Vorwissen braucht, bevor man sich den Film anschaut. Es handelt sich um eine Entstehungsgeschichte. Ich frage mich, ob es jemanden gibt, der nicht weiß, wofür der Joker steht. Welche Bösewichte sind größer, bekannter? Darth Vader vielleicht? Den kennen sicher 90 Prozent der Menschen in der westlichen Welt. Da kommt der Joker nicht ganz ran. Aber er ist nah dran.


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