Berlinale-Auftakt

„Die Leute werden weiter ins Kino gehen“

Von Rüdiger Sturm
Veröffentlicht am 05.02.2014Lesedauer: 7 Minuten
Wes Anderson ist besonders des Lobes für Görlitz voll, wo er „Grand Budapest Hotel“ drehte: „Wir fanden dort praktisch alle Motive. Ich war selbst überrascht, dass so viele Schauplätze real existierten.“
Wes Anderson ist besonders des Lobes für Görlitz voll, wo er „Grand Budapest Hotel“ drehte: „Wir fanden dort praktisch alle Motive. Ich war selbst überrascht, dass so viele Schauplätze real existierten.“Quelle: Getty Images

Wes Anderson, dessen „Grand Budapest Hotel“ die Berlinale eröffnet, über seine Liebe zu Stefan Zweig, viele väterliche Freunde, die Verwirrung des Publikums und Schauspieler als Konzeptgefangene.

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„Für uns war die Berlinale immer die beste Lösung“ – Dass „Grand Budapest Hotel“, eine Koprodukion mit Studio Babelsberg die Filmfestspiele eröffnet, ist auch für Wes Anderson ideal. Aber auch sonst fand er im deutschsprachigen Europa die optimalen Voraussetzungen für seinen neuen Film – vom Drehort Görlitz bis zu den Werken Stefan Zweigs. Im Gespräch erklärt er die Genese seines verspielten Thriller-Melodrams, seine Lust am privaten Rückzug und seine Präferenz für Ordnung, die indes nicht alle Schauspieler glücklich zu machen scheint.

Die Welt: Ihr „Grand Budapest Hotel“ entfaltet ein Feuerwerk an unzähligen visuellen und erzählerischen Einfällen. Können Sie noch überhaupt nachvollziehen, welche Grundidee am Anfang stand?

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Wes Anderson: Es waren eigentlich zwei. Mein Freund Hugo Guinness und ich haben einen gemeinsamen Freund, der uns zu Bruchstücken Geschichte inspirierte – aber das hatte noch nichts mit der Welt von „Grand Budapest Hotel“ zu tun. Gleichzeitig habe ich eine große Liebe für Stefan Zweig. Mehrere Elemente des Films sind eng verbunden mit „Ungeduld des Herzens“. In dem Roman wird ein junger Leutnant vor Beginn des Weltkriegs in ein Schloss eingeladen, wo er Zuneigung zu einem gelähmten Mädchen empfindet. Und auch die formale Konstruktion, in der eine Autorenfigur diese Geschichte erzählt, ist übernommen von Zweig, der dieses Stilmittel häufig verwendet. Sein autobiografisches Werk „Die Welt von gestern“ war wiederum ein wichtiger Einfluss auf die historische Hintergrundhandlung des Films.

Die Welt: Wie ist es mit persönlichen Themen? Ihre Filme drehen sich sehr häufig das Verhältnis zu Vater- oder vaterähnlich Figuren – ein Aspekt, der auch im Zentrum von „Grand Budapest Hotel“ steht.

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Anderson: Der einzige Film, wo ich Dinge aus meiner Biografie benutzt habe, war „Royal Tenenbaums“. Wobei ich zugestehen muss, dass sich in dieser Vater-Sohn-Thematik auch mein Verhältnis zu meinen Freunden widerspiegelt. Viele davon sind so alt wie mein Vater und haben mich stark geprägt. In „Grand Budapest Hotel“ ändert sich diese Dynamik jetzt ein wenig, denn an einem Punkt sagt Ralph Fiennes zu seinem jungen Protégé: „Wir sind Brüder.“

Die Welt: Wie praktisch in allen Ihren Filmen siedeln Sie diese Thematik in einer Art Paralleluniversum an...

Anderson: Richtig, „Grand Budapest Hotel“ ist ein Historienfilm, der aber an einem nicht existenten Ort spielt. Zwar findet die Haupthandlung im Jahr 1932 statt, aber der Krieg, der sich am Horizont abzeichnet, hat auch etwas vom Ersten Weltkrieg an sich. Und die ganzen historischen Ereignisse sind nicht real. Wir haben einiges getan, um das Publikum zu verwirren.

Die Welt: Man könnte fast den Eindruck bekommen, dass Ihre Filme für Sie ein Refugium vor der realen Welt sind.

Anderson: Eigentlich ziehe ich mich eher von der Welt zurück, wenn ich keinen Film drehe. Dann bleibe ich in der Regel zu Hause, treffe nur wenige Menschen und gehe meinen Interessen nach. Bestenfalls zum Abendessen wage ich mich nach draußen. Bei meinen Drehs dagegen breche ich mit einer großen Mannschaft ins Abenteuer auf. Allein um die Schauplätze für „Grand Budapest Hotel“ zu finden, bin ich durch Ungarn, Tschechien, Deutschland und ein bisschen durch Polen und Österreich gereist. – Diese Eindrücke haben dann auch noch Wirkung im Drehbuch hinterlassen.

Die Welt: Aber der Kosmos Ihres Werks ist wie ein regelrechtes Gegenuniversum, ein ästhetisches Spiel.

Anderson: Das ist schon richtig. Es gibt bei Künstlern das psychologische Bedürfnis, eine Art Ordnung zu schaffen. Und diese zu organisieren und zu formen, verleiht ihnen ein Gefühl von Vollendung und Befriedigung. Zugegeben, manche sind auch interessiert, etwas Chaotisches auszudrücken. Robert Altman ist da ein gutes Beispiel. Aber selbst wenn er danach suchte, spontane Momente einzufangen, so war er doch auch wie ein Dirigent, der das Geschehen auf seine Weise steuerte und gestaltete.

Die Welt: Ihre Filme sind dagegen aufs Kleinste designt und geplant.

Anderson: Das ist wahr. Garantiert stärker designt als ein Altman-Film. Bei „Grand Budapest Hotel“ haben wir zum Beispiel nur den Teil des Bühnenbilds gebaut, der auch in der Einstellung zu sehen ist. Das heißt, ich kann nichts filmen, was darüber hinausgeht, was natürlich beim Dreh meine Wahlmöglichkeiten einschränkt. Andererseits wurde ich im Lauf der Jahre bei der Planung meiner Filme immer besser. Für mich funktioniert das. Ich hoffe nur, dass sich die Schauspieler nicht als Gefangene meines Konzepts fühlen.

Die Welt: Ist das denn passiert?

Anderson: Eigentlich nicht. Ich drehe aber auch in der Regel mit Schauspielern, die das als positive Herausforderung begreifen. Sie denken „Jetzt arbeite ich nun mal unter solchen Voraussetzungen und versuche damit zu spielen.“ Ich gebe allerdings zu, dass sich Gene Hackman bei „Royal Tenenbaums“ in meiner Gegenwart nicht so wirklich wohlfühlte. Er war etwas angespannt, und so war es eine Herausforderung, mit ihm zu arbeiten. Aber er war auch einer der besten Schauspieler, mit denen ich drehte. Und selbst er mochte es, Szenen mit komplexen Bewegungen zu spielen, wo er sich zu einem bestimmten Moment an einem bestimmten Punkt befinden musste. Das war wie Theater für ihn. Ich hoffe einfach, eine Situation zu schaffen, in der sich die Schauspieler wie real lebende Menschen agieren können, selbst wenn der Kontext völlig fabriziert ist.

Die Welt: Bei allem Fokus auf die künstlerische Konzeption haben Sie es auch mit ökonomischen Zwängen zu tun...

Anderson: Ich kann es weder beeinflussen noch erraten, wie viel Geld meine Filme einspielen. Natürlich habe ich Budgetvorgaben. Und ich habe dabei meine Lektionen gelernt. „Life Aquatic“ zum Beispiel war zu teuer und zu groß. Wir hatten 100 Drehtage, viele davon auf See. Damals kostete er 60 Millionen Dollar, nach heutigem Stand wären das wahrscheinlich 80. Das ist ein zu großes Budget für so einen merkwürdigen Film. Während wir drehten, wurde mir klar, dass das des Guten zu viel ist und dass wir nicht genügend Geld damit einspielen würden. Zuvor hatte ich das nicht so richtig verstanden. Seither versuche ich mich nicht mehr in eine derartige Situation zu bringen. Ich spüre selbst eine enorme Befriedigung, wenn wir im Plan bleiben. Ich mag es, Geld zu sparen und die Kosten unten zu halten. Das Wichtigste ist, dass alles Geld, was wir ausgeben, im Film zu sehen ist.

Die Welt: Für „Grand Budapest Hotel“ haben Sie ja auch einen siebenstelligen Betrag an deutschen Fördergeldern erhalten. War das der einzige Grund, weshalb Sie hier drehten?

Anderson: Nein, mit entscheidend war, dass wir in Görlitz praktisch alle Motive fanden, die wir für den Dreh brauchten. Ich war selbst überrascht, dass so viele Schauplätze real existierten. Und es war auch hilfreich, dass wir hier nicht mit so starken Filmgewerkschaften zu tun hatten, wie in Amerika. In den Staaten ist vorgeschrieben, wer welchen Handgriff machen darf. Und ich mag es, mit kleinen Teams zu arbeiten, wo jeder drei verschiedene Jobs übernehmen kann, wenn notwendig. Und falls ich einen Fachmann aus einem anderen Land holen will, dann muss ich die Möglichkeit haben. Mit unserem Steadicam Operator Sanjay Sami arbeite ich seit „Darjeeling Limited“ zusammen, und in den USA hätten wir für ihn fast keine Genehmigung bekommen. In Deutschland war das kein Problem.

Die Welt: Es gibt noch andere Methoden, um effizienter zu drehen. Könnten Sie sich vorstellen, Digitalkameras einzusetzen? Bei der nostalgischen Prägung Ihrer Filme wirkt das fast eher abwegig.

Anderson: Offen gestanden, kann ich das noch nicht beurteilen. Vielleicht ist das in in ein, zwei Jahren eine vernünftige Option. Offen gestanden vermag ich selbst nicht immer zu sagen, wann ein Film digital oder auf Zelluloid gedreht wurde. Wie war das zum Beispiel bei „Gravity“? Ich kann es nicht sagen. Auf jeden Fall bin ich an den verschiedensten Arten und Techniken des Filmemachens interessiert.

Die Welt: Und wenn der Tag kommen sollte, dass Ihre Filme hauptsächlich auf Mobiltelefonen oder Tablet Computern betrachtet werden, was hielten Sie davon?

Anderson: Tablet Computer finde ich nicht so schlimm, denn wenn Sie sich das Bild aus nächster Nähe ansehen, ist es in Ihrer Wahrnehmung genauso groß wie aus der Distanz in einem Kinosaal. Wer dagegen einen Film auf einem Mobiltelefon betrachtet, der hat ihn nicht gesehen. Aber die Erfahrung im Kino ist trotzdem anders. Es macht eben einen Unterschied, ob du in einem Raum voller Menschen sitzt und ob der Ton die Luft um dich herum erfüllt, oder ob er aus zwei kleinen Kopfhörer kommt. Dazu gibt es keine Alternative. Aber ich bin nicht pessimistisch – die Leute werden weiter ins Kino gehen.


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