"Die Erde von oben" ist eine spektakuläre Reise
Die Filmreihe von Yann Arthus-Bertrand zeigt eine schaurig schöne Welt. Bis Januar ist sie in deutschen Kinos zu sehen.
Drunten auf der Erde, vor dem Computer oder im Kinosaal, ist es doch beruhigend zu wissen, dass das Schlimmste noch nicht eingetroffen sein kann, solange es Regisseure und Fotografen gibt, die uns mit frischen Bilddateien von Landschaften, Häuserschluchten und wildem Getier versorgen. Für die wirklich zu Ende gedachte Apokalypse sind augenscheinlich noch immer Special Effects nötig, wie im Animationsfilm „WALL-E – Der Letzte räumt die Erde auf“: Die Erde von oben ist da bloß noch eine menschenleere Schrottwüste.
Dass in vielen deutschen Kinos noch bis Januar eine Filmreihe über „Die Erde von oben“ zu sehen ist, die so viele Teile hat wie Harry Potter und die Bilder von blühendem, wenn auch gefährdetem Leben zeigt, ist also an sich erfreulich. Nach 3.000 Flugstunden, gegossen in acht abendfüllende Folgen, behandelt der französische Naturfotograf und -filmer Yann Arthus-Bertrand („Home“, 2009) unter anderem die „Artenvielfalt“ und das „Wasser“, „Erde und Ressourcen“ und „Nahrung für die Welt“, kurz: die gesamte Physiognomie des Blauen Planeten.
In einer Flut von Naturdokumentationen der letzten Jahre ist das eindeutig der Naturfilm-Overkill, und doch muss es, gerade jetzt, zu Zeiten nie dagewesener grüner Umfragehochs, so sein. Denn: Sich von der Erde ein Bild zu machen, war für den (westlichen) Menschen gerade in Umbruchzeiten stets ein beliebtes Mittel, um Abstand zu gewinnen und sich seiner eigenen Position zu vergewissern.
Notfalls auch ex negativo, wie etwa mit jenem Holzstich, den die meisten von uns vor Augen haben, wenn sie „Mittelalter“ und „die Erde ist eine Scheibe“ denken: Ein auf der Erdscheibe krabbelnder Mensch steckt sein Haupt durch die Himmelskuppel und bedarf offenbar dringend einer Horizonterweiterung. Camille Flammarions Stich entstand allerdings erst 1888, dreißig Jahre nach den ersten Luftbildern, und illustriert, wie man sich im Zeitalter der Industrialisierung das Weltbild des Mittelalters so vorstellte. Seitdem hält sich hartnäckig das Gerücht, im 15. Jahrhundert sei das Scheibenmodell selbst bei Gebildeten Allgemeingut gewesen, was längst widerlegt ist. Finstere Gegenwart!
Aus quasi-göttlicher Perspektive
Revolution ist nicht zufällig ein Begriff aus der Astronomie und meinte zunächst die Umlaufbewegung der Planeten um die Sonne. Und nicht zufällig fallen die Französische Revolution und die erste Fahrt einer Montgolfière in denselben Zeitraum. Damals erfindet der deutsche Schriftsteller Jean Paul (er hatte damals mehr Leser als Goethe) den rebellischen Luftschiffer Giannozzo: Der wünscht sich, eine Sintflut möge sich über eine Welt ergießen, auf der die einen ungestraft „Häuser und Länder“ der anderen „verdauen“. Schon damals ist die quasi-göttliche Perspektive auf die Erde die auf einen kranken Leib, der Blick auf die Menschen radikal egalitär und provokant undifferenziert. Und er fordert Umkehr.
Umkehr, wenn auch freundlicher im Ton, verlangt auch Yann Arthus-Bertrand, der Biologe, Rallye-Fahrer und Umweltschützer. Mit weißem Haar und Schnurrbart im ebenmäßigen Gesicht spricht er mahnende Sätze von der wenigen Zeit, die wir zur Weltrettung noch haben. Im Kenia der Siebziger beobachtete er einst vom Heißluftballon aus Löwen, ging aber bald dazu über, den ganzen Planeten abzulichten. Seine Bilder wurden in mehr als 30 Ländern ausgestellt, nach seinen Angaben sahen weltweit 50 Millionen Menschen die Aufnahmen.
Kurz bevor Arthus-Bertrand zum Umweltschützer wurde, hatte das Bild von der über dem Mondhorizont aufgehenden Erde das Verhältnis der Zivilisation zum Planeten radikal emotionalisiert. Die bei der Mondumkreisung von Apollo 8 im Jahr 1968 entstandene, „Earthrise“ genannte Aufnahme gilt heute als ein Auslöser der modernen Umweltbewegung. Das Bild des verletzlichen, kostbaren, einzigartigen Planeten erzeugte das Selbstbild seines reuigen Betrachters.
„La Terre vue du Ciel“, also „Die Erde vom Himmel aus“, heißt denn auch Arthus-Bertrands Film im Original. Anders als in der nüchternen deutschen Variante, in der auch etwas profan Herrschaftliches mitzuschwingen scheint, lässt der Originaltitel zweierlei anklingen: zum einen die Hinfälligkeit des Menschen, der durch seine Verfehlungen mit einem Bein den Jenseitsort schon betreten hat; zum anderen ist er eine Hommage an den homo sapiens, der forschend den Himmel erschließt und dessen Außengrenzen immer weiter nach draußen verlagert.
Der Film fragt nach Hintergründen der Rodungen
Das Erd-Foto aus dem vorläufig größten Abstand zum Planeten entstand am 14. Februar 1990, kurz nachdem die Wende die Welt veränderte. Die Aufnahme „Pale Blue Dot“ („hellblauer Punkt“) verdankt sich bezeichnenderweise dem spontanen Einfall, das Objektiv, das eigentlich etwas ganz anderes zu fotografieren hatte, mal um 180 Grad zu wenden. Aus einer Entfernung von etwa 6,4 Milliarden Kilometern fotografierte die Raumsonde Voyager 1 eine winzige blaue Erde in einem grobkörnigen Lichtstreifen. So klein war sie noch nie, unsere Erde, geradezu verschwindend gering. Fast möchte man fragen: Gibt’s vielleicht irgendwo noch eine zweite? Bislang jedenfalls ist allen Bildern von der Erde die Rückkehr auf dieselbe eingeschrieben. Wie anders sollten sie einen Sinn erhalten? Der mahnende Poet der Lüfte betritt hier als rasender Reporter gerne die Erde und lässt dort auch den schimpfenden Massai zu Wort kommen, der seit der Umstellung von Viehzucht zu Maisanbau mit den Elefanten im Dauerclinch liegt. Dann fliegt die Kamera wieder über Wälder und rauchende Schneisen, berauscht sich aber auch hier nicht bloß an schaurig schönen Strukturen. Der Film taucht herab ins tasmanische Gehölz und fragt nach den Hintergründen der Rodungen.
„Wir haben es in der Hand“, dieser in Naturfilmen, so auch in „Die Erde von oben“, inflationär beschworene Weckruf ist Schuldeingeständnis und Machtanmaßung in einem. Und er klingt inzwischen bloß noch routiniert. Dank Google Street View, Earth und Books ist der Wechsel von Heranzoomen und Darüberfliegen heute für jeden so leicht wie nie. Und was folgt daraus für die Selbstverortung des Menschen? Vielleicht ja einfach nichts mehr. Die Google-Treffer des eigenen Namens und Luftbilder des eigenen Heims sind Teil des bloßen Ganzen.
Trostlos muss das nicht sein. Beim Nachlesen des Nietzsche-Zitats auf Google Books, in dem die Rede ist vom Abdriften des Menschen von der Gotteskindschaft ins kosmische Nichts, erscheint neben dem Text eine Anzeige: „Gott ist in Berlin. Du kannst Gott jetzt kennen lernen in der Stadt Berlin.“ Nietzsche gesucht und Gott gefunden, weil Google weiß, wo ich bin.