Warum die Gen Z am liebsten im Fitnessstudio schwitzt
Körperoptimierung, Selbstbewusstsein, Dazugehören: Das sind alles Gründe, warum Jugendliche fast tagtäglich ins Fitnessstudio gehen. Auch auf Social Media promoten Fitness-Influencer diesen Lifestyle. Unser Autor hat seinen einst unsportlichen Sohn ins Fitnessstudio begleitet.
Arthur pumpt. Er „squatted“. Das sind Kniebeugen mit einer Stange und Gewichten daran, gut für Bauch, Beine, Po. Scheiben von 80 Kilo liegen jetzt auf. Er schlüpft mit dem Kopf unter der Stange durch, legt sie sich fest auf das Schulterblatt. Er geht in die Kniebeuge, kommt wieder hoch, schön langsam, sechsmal. Sein Atem presst, das Gesicht wird kurz rot. Kurzes pumpen, Schritt nach vorn. Er hängt das Gewicht vorsichtig wieder auf den „Squat-Rack“ ab. Arthur dreht sich um, grinst. „Du bist dran, Papa.“
Ich habe ihn angeschaut, zurückgegrinst – und erstmal Gewichtsscheiben heruntergenommen. Ich habe immer Sport gemacht, alle Arten, die mit einem Ball gespielt werden. Keinen Kraftsport. Am Ende liegen bei mir 50 Kilo auf, mein Sohn korrigiert die Fußhaltung, ich gehe in die Knie und langsam wieder hoch, wiederhole das, mein Atem geht bei jedem Satz schwerer, ich pumpe. Dann lege ich die Stange vorsichtig wieder ab. Mein Sohn schaut fürsorglich und ein wenig stolz. Ich fühle mich als hätte ich 14 Punkte in einer Mathe-Arbeit nach Hause gebracht.
Fast 20 Millionen Deutsche besuchten nach einer Allensbach Studie im vergangenen Jahr mindestens einmal ein Fitnessstudio, ein Viertel der Kunden ist 19 bis 29 Jahre alt – und 1,58 Millionen sogar zwischen 14 und 18 Jahren. Einer davon ist nun also unser ältester Sohn. Als er noch ein Kind war, habe ich immer wieder versucht, ihn für Sport zu begeistern. Klassischen Vereinssport. Vergeblich: Fußballspielen hat ihn nie die Bohne interessiert, auch Hockey, Tennis oder Judo wurden lustlos ausprobiert und nach wenigen Monaten wieder aufgegeben.
Das Fehlen jeglichen Ehrgeizes, wenn es um Sport ging, hatte aber auch Vorteile: Wir mussten etwa nie, wie so viele Eltern, die Wochenende als „Hockey-Dad“ oder „Soccer Mum“ auf mehr oder minder trostlosen Sportanlagen verbringen. Dass es ihm jetzt aber nicht an sportlichem Ehrgeiz fehlt, wenn es um die Gestaltung seines Körpers geht, dazu genügt im Gym ein Blick auf den angespannten Bizeps. Vor einem Jahr, mit 16, fing es an – erst begleitete er als Gast einen Freund ins Fitnessstudio, kurz darauf wanderten Hanteln, die ich mir einmal gekauft hatte, langsam in sein Zimmer. Dann die Anmeldung in einem „low cost“-Studio, beim deutschen Marktführer: günstig, jederzeit kündbar, später der Wechsel in ein schickeres und teureres Studio mit zwei Jahren Vertrag. Sein größter Wunsch zu Weihnachten und Geburtstag.
Es gibt gerade in Großstädten für jede Zielgruppe und jedes Bedürfnis eine darauf spezialisierte Kette. Seit einem halben Jahr trainiert er nun nach Plan, beharrlich und mit Begeisterung, auch seine Ernährung hat er optimiert. Und er ist mit dieser sehr offensichtlichen Veränderung nicht allein. „Kaum einer in meiner Klasse macht mehr einen Teamsport, aber alle gehen ins Gym“, sagt er. „Jeder in meinem Alter findet das cool – auch die Mädchen“.
Anruf bei einem, der wissen muss, was junge Leute interessiert. Marcus Adam fing einst als Praktikant zum Start des deutschen Musikfernsehsenders Viva an und beendete das Kapitel Musikfernsehen 2011 als „Vice President Talent and Music“ von MTV. Bis zum Anfang dieses Jahres war er Marketingchef von John Reed Fitness, der stylishen, etwa mit Live-DJ-Sets auf Musik setzenden Marke im Imperium des McFit-Gründers Rainer Schaller, der 2022 mit seinem Flugzeug verunglückte. Seit einem Jahr ist Adam unter anderem Mitinhaber des mittelgroßen Studios „Deen“ in Berlin-Friedenau, welches es dort schon seit 40 Jahren gibt. „Fitness wächst in allen Bereichen“, sagt er, „aber in der jungen Zielgruppe von 14 bis 29 Jahren besonders“.
Körperoptimierung sei gerade bei Teenagern das Ding. „In den vergangenen Jahren hat sich ihr Anteil an den Mitgliedern insgesamt sicher verdoppelt.“ Gesundheit sei für alle Generationen ein Thema, bei den Älteren ginge es vor allem um Prävention und das Fitbleiben, bei den Jungen ums Gutaussehen und Stressabbauen. „Bodyshaping trifft auf Fun – mit dem starken Treiber Social Media.“ Der Wunsch, Teil einer Community zu sein, sei bei Ihnen groß.
Man müsse nur einmal auf die Fitnessmesse Fibo gehen, die gerade Anfang April wieder in Köln stattfand: „Das sind Tausende, die ihre Fitness Role Models live sehen wollen.“ Etwa den Österreicher Sascha Huber, der auf YouTube 1,72 Millionen Follower hat und gerade ein Video von seinem ersten Fibo-Besuch postete. Oder Bodybuilder wie Ronnie Coleman, achtmaliger Mr. Olympia, der allein 9,8 Millionen Follower auf Instagram hat. Oder der deutsche Markus Rühl, ungefähr so hoch wie breit, der es immer noch auf mehr als eine Million bringt.
Auf die Frage, wie sein Interesse eigentlich geweckt wurde, sagt auch Arthur sofort: „Freunde und Social Media.“ Auf TikTok, YouTube und Instagram habe er sich immer mehr Videos angeschaut, er folgt „Legenden“ wie Coleman oder Arnold Schwarzenegger, aber auch neuen „Künstlern“ wie Leonidas Arkonas. Der würde mit 150 Kilo schweren Kurzhanteln trainieren. Auch wenn er – zum Glück – die Körper vieler Kraftsportler zu extrem findet, seien es Vorbilder für viele Jungs in seinem Bekanntenkreis. „Man will einfach stark sein!“ Das Beste aus seinem Körper herausholen, überhaupt einen „guten Körper“ zu bekommen, das sei auch sein persönliches Ziel.
Um mir zu zeigen, wie sein Training aussieht, hat mich Arthur eine Woche als Gast in sein Hamburger Studio mitgenommen. Ich habe mit ihm (und weniger Gewichten) seine regelmäßigen Programme mitgemacht: „upper body & legs“, dazu ein wenig „cardio“, also Ausdauertraining. Er erklärte mir geduldig die Übungen, zeigt mir, welche Muskeln trainiert werden sollen, wie man sich hinstellen und wo man belasten muss. Als Ahnungsloser, das merkte ich rasch, kann man selbst bei so etwas Banalem wie dem Training mit Kurz- oder Langhanteln sehr viel falsch machen. Und ich entdeckte, dass es neben Klassikern ausgeklügelte Geräte für nahezu alles gibt – etwa einen „dip/chin assist“, einen Turm mit diversen Griffen und (Gegen)-Gewichten und einer stützenden, wenn nötig nutzbaren Fläche zum Knien, um Klimmzüge zu trainieren.
Mein Sohn zeigte mir eine Welt, von der ich bisher nur diffuse Kenntnisse hatte: Ein paarmal war ich in Fitnessräumen in Hotels gewesen, aber nur einen einzigen Winter in meinem Leben Mitglied in einem Studio, das war in den Nullerjahren in Berlin, es befand sich im Fuß des Fernsehturms am Alexanderplatz. Ich machte damals ein paar Kurse mit, die Kickboxen und Aerobic mischten, und versuchte mich ansonsten ziemlich planlos an den Geräten. Eine richtige Einweisung gab es nicht – ich hatte auch nie eine gefordert. Ein Fehler, der mir heute nicht mehr passieren würde – und wohl auch von keinem Studio mehr zugelassen würde.
Arthurs Gym hat – heute selbstverständlich – auch eine App und er darin sein persönliches Trainingsprogramm. Nahezu täglich geht er mittlerweile trainieren in einer Beharrlichkeit, die ich von ihm so bisher nicht kannte. Ausnahme bilden nur die „rest days“, Ruhetage, die die Muskeln für das Wachstum brauchen. Und die wachsen rasant in seinem Alter. Kein Spiegel oder spiegelndes Fenster wird seitdem ausgelassen, um die „shape“ zu prüfen, keine Gelegenheit verstreicht, um der Familie den Bizeps zu präsentieren. Und beim Probetraining demonstriert er beiläufig, dass er beim „bench press“ jetzt das Körpergewicht seines Vaters drücken kann.
Die Fitnessindustrie sei, bis auf die Corona-Delle, eine Branche, die seit Jahrzehnten nur eines kenne: Wachstum, erklärt Marcus Adam. Das ist auch mit Zahlen zu belegen. Waren nach Zahlen des Fitnessstudioverbandes DSSV im Jahr 2003 4,4 Millionen Menschen in Deutschland Mitglied in einem Studio, so sind es 2023 11,7 Millionen gewesen. Die Branche profitiert dabei genauso von der Digitalisierung (mit geschätzten 375.000 Fitness-Apps im Jahr 2023) wie vom gesellschaftlichen Drang zur Selbstoptimierung, die verbunden ist mit dem Wunsch nach maximaler persönlicher Freiheit.
Flexibilität sei ein Vorteil von Fitness gegenüber dem klassischen Vereinssport, sagt der Experte: Fitness könne man heute, egal wo man gerade ist, praktisch 24 Stunden und sieben Tage die Woche machen. Die großen Ketten gibt es in jeder Stadt – und zudem viele Kooperationen. „Es ist gerade bei Teenagern eine Win-Win-Win-Situation: Die soziale Akzeptanz der Jungen wie Mädchen steigt, sie bekommen direkt eine positive Resonanz auf die Resultate aus ihrem Umfeld und die Eltern finden es auch gut.“ Für Arthur selbst ist das Gym, wie er das nennt, „eine Art safe place“. „Das Training hilft mir, mich besser zu konzentrieren. Ich bin fokussiert, powere mich aus und schaue in der Zeit auch nicht auf das Handy.“ Und das ist natürlich auch ein Punkt, den ich als Elternteil nur begrüße.