Panzerwaffe nach Kursk

„Wo Sturmgeschütze sind, wird die Front gehalten“

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Von Berthold SeewaldFreier Autor Geschichte
Stand: 19.12.2024Lesedauer: 6 Minuten
l.: Sturmgeschütz der Deutschen Wehrmacht r.: German Panzer VI Tiger
Zwar hatte die Panzertruppe mit dem "Tiger" (r.) eine überlegene Waffe erhalten. Aber die Infanterie wünschte sich Sturmgeschütze (l.)Quelle: picture alliance/dpa; Roger Viollet via Getty Images

Nach der gescheiterten Offensive bei Kursk im Sommer 1943 musste die Wehrmacht permanent in der Defensive kämpfen. Der Panzer, das Symbol der Blitzsiege, wurde als „Feuerwehr“ verschlissen. Rettung sollte eine andere Waffe bringen.

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Bis zum Sommer 1943 galt der Panzer als die wichtigste Waffe der Wehrmacht. Mit seiner Offensivkraft, die er weniger der Technik, sondern vor allem überlegener Führung verdankte, konnten bis dahin die „Blitzsiege“ errungen werden. Doch damit war es nach dem Abbruch der Schlacht um Kursk (5.–16. Juli 1943) und dem sich anschließenden großen Rückzug vorbei. Von nun an kämpfte die Wehrmacht stets in der Defensive gegen die an Menschen und Material überlegene Rote Armee. Der Panzer als Symbol weiträumiger Angriffs- und Umfassungsoperationen hatte ausgedient. Es ging nur noch darum, die Fronten zu halten.

„Die Krise des Heeres war vor allem eine Krise seiner Schnellen Truppen“, urteilt der Historiker Markus Pöhlmann in seiner grundlegenden Habilitationsschrift „Der Panzer und die Mechanisierung des Krieges“ (Schöningh, 2016). Der Wissenschaftliche Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam hat die Versuche der Wehrmachtsführung analysiert, Antworten auf die Frage zu finden, wie aus einer Angriffswaffe eine „Feuerwehr“ gemacht werden konnte, die „von einer Durchbruchstelle zur nächsten geworfen“ werden konnte.

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Dafür galt es zunächst, im Polykratie-Dschungel des Dritten Reiches eine Stelle zu schaffen, die in der Lage war, aus den unterschiedlichen Analysen und Interessen wegweisende Entscheidungen zu erarbeiten. Die 1940 eingerichtete Stelle des „Generals der Schnellen Truppen beim Oberbefehlshaber des Heeres“ war dazu kaum geeignet. Ihr Inhaber hatte nur nachgeordnete Kompetenzen und verfügte nicht über Vortragsrecht bei Hitler. Daher wurde im Februar 1943, also nach Stalingrad aber noch vor Kursk, die Dienststelle des Generalinspekteurs der Panzertruppen geschaffen. Als „Waffenvorgesetzter“ war er auch für die Organisation von Ersatztruppen und die Zuführung von neuen Typen zuständig.

Zum Chef machte Hitler mit Heinz Guderian jenen General, der maßgeblich am Aufbau der Panzerwaffe mitgewirkt hatte, nach dem Scheitern des Angriffs auf Moskau Ende 1941 aber in die Führerreserve versetzt worden war. Er wurde mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, die die Befehlsbereiche rivalisierender Stellen tangierten, sodass auch der Generalinspekteur stets von den unvorhersehbaren Entscheidungen des Diktators abhängig war.

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Was das bedeutete, zeigte sich umgehend beim Streit um die Frage, ob auch die Sturmgeschütze künftig zu den Panzertruppen gezählt werden sollten. Diese Vollkettenfahrzeuge waren als Begleitfahrzeuge der Infanterie entwickelt worden, um gegen Bunker oder andere feste Stellungen vorzugehen. Entwickelt auf der Basis des Panzers III, waren sie ebenso schnell, hatten eine ähnliche Reichweite, waren aber wegen des fehlenden Turms leichter und preiswerter zu produzieren. Stattdessen verfügten sie über Geschütze vom Kaliber 7,5 Zentimeter, die fest eingebaut waren, sodass für die Zielerfassung die ganzen Fahrzeuge bewegt werden mussten.

Das deutsche Sturmgeschütz III, StuG III, Panzerjäger, Deutschlands meist produzierter Panzerkampfwagen im Zweiten Weltkrieg
Das Sturmgeschütz III (StuG III) war ursprünglich mit einer kurzen 7,5-Zentimeter-Kanone ausgestattetQuelle: picture alliance / imageBROKER

Im Frontbereich waren sie stark, am Heck nur schwach gepanzert. Auch musste – anders als in den deutschen Panzern – der Kommandant zugleich als Richtschütze (wie im sowjetischen T34) fungieren. Das widersprach der in den 1930ern entwickelten Einsatzdoktrin der Panzerwaffe, die auf maximale Mobilität getrimmt war. Zusammen mit dem Funker konnte sich der Kommandant ganz auf die Gefechtsführung konzentrieren, während Lade- und Richtschützen die Kanone bedienten.

Dennoch hatten sich die Sturmgeschütze wegen ihrer größeren Kaliber – der Standardpanzer III zog mit 5,0 Zentimeter-Geschütz in den Russlandkrieg – mit ihrer Feuerkraft bei der Abwehr der gut gepanzerten sowjetischen Kampfwagen bewährt, auch weil sie mit einer Höhe von gerade einmal zwei Meter gut aus der Deckung operieren konnten. Dies und die Tatsache, dass sie artilleristischem Denken entsprungen waren, machten die Sturmgeschütze zu einer Waffe der Artillerie, die nicht in eigenständigen Divisionen zusammengefasst wurde wie die Panzer, sondern den Infanterie-Divisionen zugeordnet war.

Deuxieme guerre mondiale (1939-1945) : Dompaire ( Vosges) France 17 septembre 1944 : Un Panther de la Panzer Brigade 112 capture intact par la 2e DB francaise lors de la bataille ©usis-dite/Leemage
Der "Panther" – hier ein in Frankreich erbeutetes Exemplar – gilt als einer der besten Panzer des Zweiten WeltkriegsQuelle: picture alliance / usis-dite/Leemage

Guderians Versuch, seine Autorität auch auf die Sturmgeschütze auszuweiten, scheiterte schnell am Widerstand von Artillerie und Infanterie. Er erhielt nur die „schweren Sturmgeschützeinheiten“, die für die Schlacht von Kursk zusammengezogen wurden. Dabei handelte es sich um die knapp 100 Jagdpanzer „Ferdinand“, die Ferdinand Porsche aus seinem abgelehnten Entwurf für den „Tiger“-Kampfpanzer entwickelt hatte und die mit starrem Rohr und extrem starker Panzerung einem überdimensionierten Sturmgeschütz glichen.

Die rüstungspolitischen Entscheidungen für das Jahr 1943 waren ohnehin ohne Guderian gefallen. Mit den Panzern V „Panther“ und VI „Tiger“ wurden den Panzer-Divisionen Fahrzeuge zugeführt, die sich den sowjetischen Typen trotz aller Kinderkrankheiten als deutlich überlegen erwiesen. Guderian blieb es überlassen, mit Ausbildungsprogrammen für die Akzeptanz der neuen Kampfwagen zu sorgen: „Griesgrämig plagt sich nur der Tor, der Tigermann lernt mit Humor“, hieß ein Slogan.

Das war nach dem Scheitern der Kursker Operation leichter gesagt als getan. Die eingesetzten Panzer-Divisionen seien infolge der wochenlangen schweren Kämpfe „auf einen Teil ihrer ursprünglichen Gefechtskraft zusammengeschmolzen“ und damit zu „reinen Instrumenten der Abwehr geworden“, zitiert Pöhlmann aus einem Vortrag bei Hitler. Eine Änderung des Zustands sei nur durch „volles Herausziehen der Panzer-Verbände“ zu erreichen.

Dagegen aber stand die Notwendigkeit, mit den vorhandenen Panzern permanent Einbrüche in die Front zu verhindern. Da die deutschen Kampfwagen aber nach wie vor in eigenen Verbänden zusammengefasst waren, die nicht an jedem Krisenherd gleichzeitig operieren konnten, sahen sich viele Infanterie-Divisionen „den feindlichen Angriffen ohne wirksames Abwehrmittel gegenüber“, wie es ein Kommandeur drastisch ausdrückte: „Die Beanspruchung der Infanterie hat das Höchstmaß erreicht. Sie wird in der Abwehr der feindlichen Panzer nur mehr dann halten, wenn sie eigene Sturmgeschütze hinter sich als Rückhalt weiß.“

„Der Schrei nach Sturm-Geschützen“ sei gewaltig, fand ein Frontberichterstatter des Oberkommandos des Heeres. Die Forderung lautete, jeder Division eine Sturmgeschütz-Kompanie zuzuteilen, die notfalls „auch auf Kosten der Panzer-Fertigung“ zu produzieren seien. Denn, wie ein anderer Bericht befand: „Wo Sturmgeschütze sind, wird gehalten.“ Guderians Konkurrent Fritz Brand, Waffengeneral der Artillerie, machte in einer Denkschrift die Rechnung auf: Mit 100 Tonnen Stahl ließ sich nur ein Tiger-Panzer, aber 21 leichte Feldhaubitzen fertigen.

Schneider, Hermann, Deutsche Wehrmacht, Anrollender Panzer, Sturmgeschütz, II. WK
Sturmgeschütze galten der Infanterie als Retter in der NotQuelle: picture alliance / arkivi

Brands Plädoyer für eine „Zahlenverkürzung in den Pz-Verbänden“ zugunsten einer Produktionssteigerung der Sturmgeschütze der Artillerie konnte auch mit eindrucksvollen Abschusszahlen aufwarten. Im Juli 1943, in dem auch die Schlacht um Kursk tobte, hatten Sturmgeschütze 1880 Abschüsse gemeldet, bei nur 101 eigenen Totalverlusten, schreibt Pöhlmann.

Guderian widersprach Brand mit einer eigenen Denkschrift. Darin forderte er, die Panzer nicht mehr als „Hilfsmittel der örtlichen infanteristischen Abwehr“ zu verschleißen, sondern „in Massen an die Front zu werfen“, wo sie „nach bewährten deutschen Grundsätzen“ verwendet werden sollten. Damit erreichte er zwar, dass ein Anteil der Sturmgeschütz-Produktion der Panzertruppe zugewiesen wurde.

Aber für den von Guderian prophezeiten operativen Einsatz großer Panzerverbände fehlten schlicht die Voraussetzungen. Nach Kursk befand sich die Wehrmacht im Osten permanent auf dem Rückzug, der ambitionierte Gegenoffensiven verbot. Zugleich wurden im Westen für die Erwartung der alliierten Invasion mobile Reserven aufgebaut, die ebenfalls Anteile an der Panzerproduktion erhielten.

„Spätestens mit dem Übergang in die Defensive hatte die Stunde der Sturmgeschütze geschlagen“, folgert Pöhlmann: „Dem ,Schrei nach Sturmgeschützen’ konnte sich auch die Inspektion nicht entziehen, weil sie keine kurzfristige Alternative bieten konnte.“

Die Zahlen sprechen für sich: Bis Kriegsende wurden knapp 1850 „Tiger“- und 6000 „Panther“-Panzer gebaut. Allein von den Sturmgeschützen auf der Basis des Panzers III waren es dagegen 10.000 Exemplare. Hinzu kam ein Sammelsurium von weiteren Sturmgeschützen, -haubitzen und Jagdpanzern, die ebenfalls ohne schwenkbaren Turm, sondern mit fest installiertem Geschütz ausgeliefert wurden. „Die taktische Realität“, so Pöhlmann, „schuf somit innerhalb kurzer Zeit neue Waffen.“

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