Zweiter Weltkrieg

Gegen Charkow versprach Hitler „Wunderwaffen“

Autorenprofilbild von Sven-Felix Kellerhoff
Von Sven-Felix KellerhoffLeitender Redakteur Geschichte
Veröffentlicht am 21.02.2022Lesedauer: 5 Minuten

Im März 1943 brauchte das NS-Regime unbedingt einen Sieg. Die Südfront wankte, und in Deutschland erodierte Stalingrad die Moral. Nach dem Rückzug aus Charkow befahl Hitler daher einen Sturmangriff.

Anzeige

Niederlagen können eine geradezu unheimliche Dynamik entfalten. Gerät eine Front erst einmal ins Wanken, wird es sehr schwer, eine Kettenreaktion zu verhindern. Kampfkraft hat nämlich viel mit dem Selbstvertrauen der Soldaten zu tun, auf denen die Hauptlast der Auseinandersetzung lastet.

Deshalb war es psychologisch so gefährlich, dass nur wenige Tage nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad der Waffen-SS-General Paul Hausser die Räumung der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkow anordnete. Der Haudegen, einer der ganz wenigen hohen Reichswehroffiziere, die zu Himmlers „Schutzstaffel“ gewechselt waren, hatte taktisch zweifelsohne richtig entschieden, seine eben erst zur Stabilisierung der Südostfront verlegten SS-Elitedivisionen nicht einschließen zu lassen.

Anzeige

Er wollte trotz eines ausdrücklichen „Führer“-Befehls, Charkow um jeden Preis zu halten, kein zweites, wenn auch kleineres Stalingrad zu riskieren. Also gab Hausser die ohnehin schwer zerstörte Stadt auf und zog seine Panzer auf schnellstem Wege zurück.

Strategisch jedoch und politisch ging Hausser ein enormes Risiko ein. Nachdem die Rote Armee am 16. Februar 1943 die ehemals wichtige Industriemetropole wieder vollständig unter Kontrolle hatte, gab Stalin nämlich bekannt: „Die Massenvertreibung des Feindes aus der Sowjetunion hat begonnen.“ Diese Botschaft erreichte die deutschen Bevölkerung über insgeheim abgehörte sowjetische und britische Sender oder durch Gerüchte, obwohl die gelenkten Sender und Zeitungen des Propaganda-Apparates den Rückzug aus Charkow nur sehr abgemildert und verpackt verbreitet hatten.

Anzeige

„Ein Schlag nach dem anderen“

Der Druck, der durch die militärischen Lage auf den Deutschen laste, habe durch die Kämpfe um Charkow stark zugenommen, hieß es in den streng vertraulichen „Meldungen aus dem Reich“ des Reichssicherheitshauptamts: „Die Volksgenossen seien bestürzt, dass sich ihre Erwartungen auf eine Stabilisierung der Front im Osten bisher noch nicht erfüllen konnten.“ Ein Spitzel hatte eine besorgniserregende Formulierung weitergemeldet: „Man wartet von Tag zu Tag auf die große Wende, stattdessen kommt ein Schlag nach dem anderen!“

Auch Generalfeldmarschall Erich von Manstein war klar, dass die deutsche Heeresgruppe Süd in der Sowjetunion unbedingt einen spektakulären Erfolg brauchte. Als sensibler Stratege wusste er auch schon, wie er militärisch die größten Chancen haben würden: mit einem Stoß in die Flanken der sowjetischen Angriffsspitzen. Doch Hitler wollte davon nichts wissen. Der „Führer“ flog sogar persönlich ins Hauptquartier Mansteins, um den Marschall zu einem Frontalangriff auf Charkow zu drängen.

Drei Tage lang jagte eine Lagebesprechung die nächste. Hitler verlangte einen umgehenden Angriff der Waffen-SS-Divisionen - selbst auf die Gefahr hin, dass diese wichtigen Verbänden aufgerieben werden könnten. Erst als Manstein ihm klarmachte, dass ohne weiträumig gesicherte Brückenköpfe auf dem östlichen Ufer des Dnjepr jeder Vorstoß ein Himmelfahrtskommando sein würde, lenkte Hitler ein. Weil zudem die Spitzen der sowjetischen Panzerverbände nur noch wenige Dutzend Kilometer vor dem Gefechtsstand der Heeresgruppe Süd standen, entschied sich Hitler zum Rückflug ins Führerhauptquartier Winniza.

„Unbekannte, einzigartig dastehende Waffen“

Vorher aber erließ er noch eine Proklamation speziell an die Soldaten der Heeresgruppe Süd - die erste seit der Kapitulation von Stalingrad. Sie begann ganz konventionell mit einem Appell: „Der Ausgang einer Schlacht von weltentscheidender Bedeutung hängt von euch ab! Tausend Kilometer von den Grenzen des Reiches entfernt, wird das Schicksal der deutschen Gegenwart und Zukunft entschieden. Die Hauptlast dieses Kampfes habt ihr zu tragen.“ Derlei waren die Landser, die bis auf ein paar Wochen Urlaub überwiegend schon seit 1940 im Einsatz waren, längst gewohnt.

Hitler verwies weiter auf die Ausrufung des „totalen Krieges“ durch seinen Propagandaminister Joseph Goebbels: „Die ganze deutsche Heimat ist deshalb mobilisiert. Bis zum letzten Mann und zur letzten Frau wird alles in den Dienst eueres Kampfes gestellt. Die Jugend verteidigt an der Flakwaffe die deutschen Städte und Arbeitsplätze.“

Dann folgte der Kern der Proklamation. Hitlers Versprechen lautete: „Immer neue Divisionen sind im Anrollen begriffen. Unbekannte, einzigartig dastehende Waffen befinden sich auf dem Weg zu euren Fronten.“

Genau diese Ankündigung jedoch erreichte das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Das Reichssicherheitshauptamt meldete am 4. März 1943, worüber in der Heimat spekuliert werde: „Im Zusammenhang mit der allgemein als sicher erwarteten Offensive werde viel von neuen Waffen, insbesondere von Giftgas oder gleichartig wirkenden Kampfmitteln (sogenannte ,Lungenreißer’) gesprochen.“ Das war die direkte Folge des vagen Versprechens in Hitlers Proklamation.

Die Angst vor dem Giftgas

Nur formal kaschiert informierten die „Meldungen aus dem Reich“ über die Sorgen, die diese Aussicht begleiteten: „Die Bevölkerung sehe durchweg dem etwaigen Einsatz derartiger Mittel mit Bedenken entgegen, weil anzunehmen sei, dass die Feinde mit gleichen Waffen antworten und auch bei den Luftangriffen auf deutsches Reichsgebiet chemische Kampfstoffe abblasen würden.“ Das Trauma aus dem Ersten Weltkrieg, der Gaskrieg, schien plötzlich drohend am Horizont.

Was Hitler genau gemeint haben könnte, als er von „einzig dastehenden Waffen“ sprach, ist unklar. Giftgas jedenfalls war es nicht; es gab im Frühjahr 1943 keine konkreten Vorbereitungen für den Einsatz dieses verheerenden Mittels, das gleichwohl von deutscher Seite dauernd fortentwickelt wurde.

Die später „V-Waffen“ genannten Flugbomben und ballistischen Raketen waren keine Gefechtsfeldwaffen, die in einer Panzerschlacht hätten eingesetzt werden können. Die schweren Panzer vom Typ „Tiger“ waren zwar noch nicht zahlreich, aber dennoch bereits im Einsatz; der neue mittelschwere Panzer V „Panther“ konnte ebenfalls kaum gemeint sein, weil es sich nicht um eine „unbekannte“ Waffe handelte, sondern um einen sehr guten, aber eben doch eher konventionellen Entwurf.

Stütze für das Selbstbewusstein

Das Gleiche galt für die Weiterentwicklung der legendären „Achtachter“, des Standardgeschützes der Wehrmacht im Kaliber 8,8 Zentimeter und den damit ausgerüsteten Jagdpanzer „Hornisse“. Dagegen standen die wirklich neuen Panzerabwehrwaffen, die „Panzerfaust“ und die Weiterentwicklung der amerikanischen Bazooka namens „Panzerschreck“, im Frühjahr 1943 noch Monate vor Einsatzreife und Serienproduktion, ebenso das Sturmgewehr 44.

Wahrscheinlich hat Hitler gar keine konkreten „einzig dastehenden Waffen“ gemeint. Vielmehr dürfte er diese Formel nur benutzt haben, um das angeschlagene Selbstbewusstsein der Soldaten zu stützen. Ob dieses Kalkül aufgegangen ist, muss offen blieben.

Jedenfalls begannen SS-Divisionen unter Paul Hausser am 6. März 1943 mit dem Angriff in die Flanken der sowjetischen Panzerspitzen. Mansteins Plan ging auf. Der psychologisch wichtige Gegenschlag an der südlichen Ostfront gelang. Die Dynamik der Niederlage war gebremst - zum letzten Mal.

Dieser Artikel wurde erstmals 2013 veröffentlicht.


Mehr aus dem Web

Neues aus der Redaktion

Auch interessant