Als Panama den USA den Krieg erklärte
Jahrzehntelang hatte der panamaische Offizier Manuel Noriega eng mit der CIA zusammengearbeitet. 1988 entzog Washington ihm den Schutz. Als Noriega im Größenwahn die Situation eskalierte, griffen die USA am 20. Dezember 1989 durch.
Wer einen ehemaligen Verbündeten immer wieder reizt, muss mit Konsequenzen rechnen. Jahrzehntelang hatte Manuel Noriega, aufgewachsen als Heimkind in Panama, eng mit den USA und speziell mit dem Auslandsnachrichtendienst CIA zusammengearbeitet. Er wusste viel über fragwürdige Tricks der amerikanischen Politik und fühlte sich daher sehr sicher – bis zum 20. Dezember 1989. An diesem Mittwoch nämlich griff US-Präsident George Bush durch.
Der künstliche Staat Panama, gegründet 1902 auf US-Initiative beiderseits des gleichnamigen, damals gerade im Bau befindlichen Kanals zwischen Atlantik und Pazifik, war strategisch stets überaus bedeutsam. Vor allem natürlich wegen der nach dem Suezkanal zweitwichtigsten Wasserstraße der Welt. Hinzu kam ab Anfang der 1970er-Jahre die Bedeutung für den Kokainschmuggel aus Kolumbien nach Nordamerika.
1969 hatte der 31 Jahre alte, gelernte Offizier Noriega den panamaischen General Omar Torrijos bei dessen Staatsstreich unterstützt und war als Geheimdienstchef rasch zu einer wichtigen Stütze in dessen Regime aufgestiegen. Gleichzeitig brachte er einen Teil des Kokain-Exports unter seine Kontrolle – nicht zu viel, denn das wäre zu auffällig gewesen. Ohnehin stiegen bei einer Verknappung des Angebots die Preise, also die Erlöse für Noriega und seine Anhänger.
Als US-Präsident Richard Nixon 1972 den „Krieg gegen die Drogen“ ausrief, kursierte in Washington bereits der Verdacht, Noriega könnte einer der wesentlichen Profiteure des Kokain-Exports sein. Doch vorerst schützten sowohl die republikanische Regierung von Präsident Gerald R. Ford als auch die des demokratischen Staatschefs Jimmy Carter ihn.
Unter Ronald Reagan entwickelte sich Noriega zum wichtigen Mitspieler in hässlichen (und höchst illegalen) Deals wie der Iran-Contra-Affäre: Das islamistische Mullah-Regime in Teheran kaufte insgeheim (meist bereits veraltete) US-Raketen zur Flugzeug- und zur Panzerabwehr im Krieg gegen Iraks Diktator Saddam Hussein – vielfach übrigens ausgerechnet über Israel. Den Ertrag leitete der damit beauftragte Offizier im Nationalen Sicherheitsrat, ein Oberstleutnant namens Oliver North, über Noriega an die antikommunistischen Contra-Rebellen weiter, die in Nicaragua das kommunistische Sandinisten-Regime bekämpften.
Im November 1986 kamen die Geschäfte ans Licht und setzten die Regierung Reagan massiv unter Druck. Gleichzeitig formierte sich in Panama selbst Widerstand gegen Noriega, der nach Torrijos Tod bei einem nie aufgeklärten Flugzeugabsturz faktisch als Diktator herrschte. Da er versuchte, sich durch Kontakte zu Feinden der USA abzusichern, unter anderem nach Kuba, entzog die CIA ihm schließlich ihren Schutz. Anfang Mai 1989 ignorierte Noriega seine Absetzung durch eine demokratische Wahl und ließ sich stattdessen zum Regierungschef Panamas auf Lebenszeit ernennen. Der neue US-Präsident Bush, unter Reagan Vize, der Noriega schon als zeitweiliger CIA-Chef begegnet war und ihn abstoßend gefunden hatte, ließ nun Pläne für eine gewaltsame Absetzung des Diktators erarbeiten.
Doch noch war die Zeit nicht reif für ein Eingreifen. Die USA übten lediglich durch wirtschaftliche Sanktionen Druck auf Noriega aus, der Macht zu entsagen. Der revanchierte sich, indem er eine von ihm persönlich zusammengestellte „Generalversammlung“ am 15. Dezember 1989 anwies, den USA den Krieg zu erklären. Was ihn dazu gebracht hatte: Größenwahn oder Realitätsverweigerung? Vermutlich beides.
Der Provokation folgten sofort Taten: Am selben Abend griffen panamaische Sicherheitskräfte vier US-Soldaten eines Stützpunktes in Panama an, die zum Abendessen in ein Hotel fahren wollten. Ein Leutnant wurde dabei so schwer verletzt, dass er starb.
Als George Bush davon erfuhr, befahl er den Beginn der „Operation Just Cause“ (auf Deutsch: „Unternehmen Gerechte Sache“) für den 20. Dezember 1989 um ein Uhr morgens. Offiziell allerdings verkündete die US-Regierung, die panamaische Kriegserklärung nicht für voll zu nehmen: „Eine Scharade, sinnlos und bedeutungslos.“ Noriega fühlte sich sicher.
Ein Fehler. Die „Operation Just Cause“ begann wenige Minuten vor dem festgesetzten Termin mit Angriffen auf Noriegas Privatjet und eine seiner Villen, in der er sich angeblich aufhielt, was allerdings nicht stimmte. Wäre er schon dabei getötet worden, hätte es wohl keine nennenswerten Kampfhandlungen gegeben. Doch der geplante „Enthauptungsschlag“ misslang.
Ungefähr zeitgleich befreiten Spezialkräfte der Delta Force (in etwa die US-Version der deutschen GSG9) einen Amerikaner aus einem Gefängnis in Panama City. Der seit vielen Jahren in dem mittelamerikanischen Staat ansässige Mann war wegen (angeblicher) Beteiligung an einem gegen Noriega gerichteten Staatsstreichplan verhaftet worden. Tatsächlich hatte er entsprechende Botschaften verbreitet.
Gegen ein Uhr morgens Ortszeit nahmen Fallschirmjäger mit Unterstützung durch Hubschrauber zwei Flugplätze ein, um Transportflugzeuge landen zu lassen, die weitere US-Soldaten und ihr Gerät brachten. Insgesamt kamen in wenigen Stunden 27.000 Mann zum Einsatz, denen 16.000 Mann der Noriega-treuen Nationalgarde Panamas gegenüberstanden. Anfangs gab es heftigen Widerstand, der jedoch angesichts der massiven Überlegenheit der US-Streitkräfte rasch zusammenbrach.
Unmittelbar nach Beginn der Operationen hatte sich Oppositionsführer Guillermo Endara, Gewinner der von Noriega drei Tage später annullierten Wahlen vom 7. Mai 1989, zum neuen Präsidenten Panamas vereidigen lassen. Die USA erkannten ihn sofort an, und bis auf wenige Gefolgsleute des gestürzten Machthabers kapitulierten die panamaischen Nationalgardisten anschließend. Im Wesentlichen waren die Kämpfe noch am 21. Dezember 1989 beendet.
Der gesamte Einsatz hatte 314 panamaische Soldaten und 200 bis 500 einheimische Zivilisten das Leben gekostet; die USA verloren 23 gefallene und 325 verwundete Soldaten, zum Teil durch „friendly fire“. Für Empörung sorgte ein Vorfall, bei dem vier Mitglieder der Spezialeinheit Navy Seals in einem Hinterhalt starben: Sie wollten Noriega-Anhänger gefangen nehmen, die sich angeblich ergeben hatten – doch als sie sich näherten, wurden sie niedergeschossen.
Manuel Noriega tauchte derweil unter und versuchte, in der kubanischen oder der nicaraguanischen Botschaft Zuflucht zu finden. Doch beide Gebäude waren bereits von US-Truppen umstellt. Daraufhin ertrotzte sich der gestürzte Diktator am Heiligen Abend Zugang zur Apostolischen Nuntiatur, der Vertretung des Vatikans – indem er um Kirchenasyl bat. Ausgerechnet. Der Nuntius ließ ihn eintreten, nachdem er seine Waffen abgegeben hatte.
Hier begann nun ein tagelanges Tauziehen, bei denen die US-Armee eine völlig neue Waffe einsetzen: Beschallungsanlagen, die gezielt ausgesuchte Musik mit irrwitziger Lautstärke auf das Gebäude geradezu „abschossen“. Aber das ist eine andere Geschichte.
Sven Felix Kellerhoff ist Leitender Redakteur bei WELT Geschichte. Zu seinen Themenschwerpunkten gehören Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus und DDR, Kalter Krieg sowie Verschwörungstheorien.