Schmieriger Onkel und Körperverletzung bei "X Factor"
Sarah Connor sucht bei "X Factor" wieder Nachwuchsstars. In der ersten Folge gab es gleich talentfreie Kandidaten – und einen schmierigen Onkel als Jurymitglied.
Man könnte meinen, Deutschland sei mittlerweile leergecastet. Es gibt kaum einen Sender, der nicht jemanden mit irgendeinem verborgenen Talent sucht. Zwar lässt das Interesse der Castingshows zunehmend nach, als Quotengaranten eignen sie sich aber immer noch. Und so wird in unzähligen Sendungen weiter gesucht nach dem nächsten Superstar, Topmodel, Supertalent oder auch dem Musikact mit dem „X Factor“. Was das genau ist, weiß eigentlich niemand so genau. Am ehesten noch das gewisse Etwas, das ein Star hat und das die Jury der gleichnamigen Sendung bei ihrer Suche zu finden hofft.
In der Vox-Show “X Factor” kämpfen sich Solosänger und Gesangsgruppen durch Casting, Bootcamp und Juryhaus, um sich schließlich bei den Live-Shows zu duellieren. Die erste deutsche Staffel im vergangenen Jahr war dem britischen Original deutlich unterlegen.
Es fehlten einfach die bissigen Kommentare von Simon Cowell und eine Gewinnerin wie Leona Lewis aus dem englischsprachigen Show-Pendant, die sich auch längerfristig im Showgeschäft halten kann. Edita Abdieski, die bisher einzige Gewinnerin des deutschen Ablegers, scheint dieser Aufgabe trotz mäßigem Erfolg zumindest nicht gewachsen zu sein.
In der zweiten Staffel ist nun fast alles wie gehabt. Allerdings gibt es ein neues Jurymitglied, nachdem Musikproduzent George Glueck das Handtuch geworfen hat. Für die angepeilte Zielgruppe schien der 61-Jährige ohnehin zu alt zu sein. Das neue Gesicht neben Trompeter Till Brönner und Sängerin Sarah Connor ist der Hamburger Rapper Das Bo.
Ein Jurymitglied als schmieriger Onkel
Kollege Brönner stellte gleich fest, dass er und Bo völlig gegensätzliche Charaktere sind. Wo sich der Jazzer als Stratege sieht, beschreibt er den Neuzugang als “Bauchmensch”. In der Tat bringt der Rapper die in der Werbung versprochene “Türlichkeit” mit in die Sendung. Im Vergleich mit seinen etwas blasierten Kollegen wirkt Bo deutlich weniger aufgesetzt. Seine Spontaneität bewies er etwa beim Auftritt des Wiener Beatboxer Michael. Da stürmt er die Bühne, krallte sich ein Mikrofon und stimmte seinen Hit “Türlich, Türlich” an.
Ein anderes Mal schießt er mit seiner unbefangenen Art aber deutlich übers Ziel hinaus. Als die begabte Münchnerin Gladys eine Ballade schmetterte, schaute der Rapper das Mädchen schon mit verliebten Augen an. Bei der Zugabe ging dann der Gaul mit ihm durch: Ein zweites Mal betrat er die Bühne und tanzte das Mädchen wie ein schmieriger Onkel an. Das Opfer reagierte allerdings souverän und gab dem triebgesteuerten Jurymitglied eine deutliche Abfuhr.
Im Großen und Ganzen funktioniert “X Factor” nach dem bewährten Prinzip einer Castingshow. Doch gerade im Vergleich zur Konkurrenz wirkt die Sendung nicht ganz so auf miese Kalauer ausgerichtet. Das zeigte sich vor allem an Moderator Jochen Schropp. Der ist eben keine Zotenschleuder wie Marco Schreyl bei DSDS, sondern hält sich als seelischer Beistand der Kandidaten dezent im Hintergrund. Damit bietet er eine sympathische Abwechslung zum zynischen Moderationsstil einiger Kollegen. Nur manchmal wirkte Schropp zu sehr auf braver Schwiegersohn gebürstet.
Kontaktbörse für Kandidaten
Beim Auftritt des 16-jährigen Mikael konnte man sich dagegen überzeugen, dass “X Factor” auch keine Scheu vor den Niederungen einer Castingshow hat. Der Perser mit den ungelenken Bewegungen und dem leicht irren Blick wollte trotz mangelndem Talent unbedingt auf eine Bühne. Schon im Voraus verspricht er dem Publikum: “Wenn ich singe, dann kriegen die so Liebe von mir.”
Erst zählte er auf, in wie vielen Sprachen er singen kann, dann setzte er zu einer sehr eigenwilligen Interpretation von Katy Perrys “I Kissed a Girl” an. Als er dann noch seine Fähigkeiten als Bauchtänzer unter Beweis stellen wollte, kriegt sich das johlende Publikum nicht mehr ein. Sarah Connor kommentiert die Darbietung mit einem “Ich glaube, ich hab noch nie so was Skurriles gesehen.”
Zugegeben, der junge Mann mit der von seinem Opa gefertigten Fellweste hat durchaus Unterhaltungspotenzial. Ob ein Minderjähriger aber im Fernsehen derart als Paradiesvogel verheizt werden muss, ist fraglich. Wie lange den 16-Jährigen sein Auftritt verfolgen wird, kann man nur vermuten.
Auftritt nahe an der Körperverletzung
Wenn Vox an dieser Stelle schon nicht einschreitet, hätten es wenigstens die Familienmitglieder tun können, die während des Auftritts hinter der Bühne standen und selbst nicht genau wussten, wie sie das jetzt finden sollen.
Es lassen sich jedoch nicht alle talentfreien Kandidaten als Kuriosum vorführen. Zumindest nicht ausschließlich. Die 21-jährige Olga wusste selbst, dass sie nicht singen kann. Ihre Version von “I will always love you”, in der sie kaum einen Ton traf, grenzte dann auch an Körperverletzung.
Doch der Auftritt war der jungen Frau ohnehin egal. Sie nutze die Sendung stattdessen für ein privates Anliegen: Um einen jungen Mann, mit dem sie zwei Jahre zuvor Silvester verbracht hatte, wiederzusehen. Ob der sich allerdings nach dieser Darbietung melden würde, daran zweifelte nicht nur die Jury.