Der Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé steht kurz vor einem Urteil. Am Mittwoch haben die Anwältin der Familie Dramé und die Verteidiger der Angeklagten ihre Schlussvorträge gehalten. Am Montag hatte bereits die Staatsanwaltschaft ihr Schlusspädoyer gehalten und lediglich eine Bewährungsstrafe für den Einsatzleiter gefordert.
Nebenklage: „regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben“
Über zwei Jahre nach den tödlichen Polizeischüssen auf Mouhamed Dramé wird in der kommenden Woche das Urteil vor dem Landgericht verkündet. Der geflüchtete Jugendliche war im August 2022 in der Dortmunder Nordstadt getötet worden. Zuvor hatte er sich mit einem Messer am Bauch in suizidaler Absicht im Innenhof seiner Jugendgruppe aufgehalten. Die Polizei war durch einen Notruf der Betreuer:innen angerückt, um dem Jugendlichen zu helfen, doch der Einsatz eskalierte. Fünf Kugeln einer Maschinenpistole trafen den 16-Jährigen. Der Jugendliche starb später im Krankenhaus.
Nachdem die Staatsanwaltschaft am Montag in einem zweistündigen Plädoyer eine Bewährungsstrafe für den Einsatzleiter und Freisprüche für alle anderen Angeklagten beantragt hatte, hielt am Mittwoch zunächst Anwältin Lisa Grüter ihren Schlussvortrag. Sie vertritt die Familie Dramé als Nebenklage im Prozess.
Sie schilderte noch einmal die schwierige Lage, in der sich Mouhamed befunden habe. Dann kam sie zur Bewertung des Einsatzes. Die Beamt:innen hätten selbst eine Situation hergestellt, in der die einzige Fluchtrichtung nahe zu den Beamt:innen führte.
Kritik: Mouhamed wurde „regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben“
Sie kritisierte, dass Mouhamed nicht einmal gesagt worden sei, welches Verhalten die Polizei von ihm erwartete, um nicht mit Reizgas besprüht zu werden. Eine Androhung des Pfeffersprays oder die Aufforderung, das Messer niederzulegen, hatte kein Zeuge wahrgenommen. Grüter ist überzeugt, es hätte per Übersetzer-App in Mouhameds Sprache übersetzt werden können. Schließlich sei die Androhung nicht nur eine Formalität. Mit dem unangekündigten Reizgaseinsatz sei Mouhamed „regelrecht in das Schussfeld hineingetrieben“ worden.
Für Kritik sorgte bei Grüter auch eine Aussage des Oberstaatsanwalts Carsten Dombert am Montag. Der hatte gesagt, die Angeklagten seien durch Rassismusvorwürfe diskriminiert worden, obwohl sich in dem Verfahren keine Hinweise auf rassistische Einstellungen der Angeklagten ergeben hätten.
Grüter kritisierte Domberts Aussagen als nicht dem aktuellen Forschungsstand entsprechend. Schließlich würden rassistische Stereotype unterbewusst Entscheidungen beeinflussen und Handeln besonders in Stresssituationen leiten. Konkrete Strafforderungen möchte sie als Anwältin der Nebenklage nicht machen. Doch die von der Staatsanwaltschaft geforderte zehnmonatige Bewährungsstrafe sieht sie als zu gering an.
Folgt das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, kann der Einsatzleiter als Polizist weiterarbeiten. Denn erst eine Verurteilung von mindestens einem Jahr würde zur Beendigung des Beamtenverhältnisses führen. Der Polizistin, die das Reizgas versprühte, wirft Grüter vor, die Anweisung des Einsatzleiters „blindlinks befolgt“ zu haben. Zeit für Rückfragen habe es sicherlich gegeben, glaubt die Anwältin.
Verteidiger des Einsatzleiters macht Medien Vorwürfe
Einen Rückblick warf Grüter auf die ersten Äußerungen der Polizei Dortmund und Innenminister Reul, kurz nach dem Tod Mouhameds. Die hatten damals klar von einem Angriff durch den Jugendlichen gesprochen. Für die Familie Dramé sei diese Darstellung unerträglich gewesen.
Von den Verteidigern hielt zuerst Michael Emde als Anwalt des Einsatzleiters seinen Schlussvortrag. Das Geschehene sei „in jedem Fall eine Tragödie“. Für die Familie Dramé, aber auch für die Angeklagten. Einleitend versuchte Emde, ein Verständnis für die Gefährlichkeit des Polizeiberufs zu schaffen.
Folgend verglich er die Zahl der durch die Polizei getöteten Menschen mit der Zahl im Einsatz getöteter Polizei- und Zollbeamt:innen. Zahlen des Zolls wurden aber nicht statistisch erhoben, weswegen er dazu Annahmen traf. So kam er zu dem Entschluss, dass ähnlich viele Menschen durch die Polizei wie im Dienste der Polizei sterben. Weiter führte er an, dass in der USA deutlich mehr Menschen von der Polizei getötet werden.
Dann kam auch er zu dem Thema Rassismus. Es gebe überhaupt keine Anhaltspunkte für „Fremdenfeindlichkeit“ in dem Fall. Stattdessen warf er Journalist:innen vor, das Thema Rassismus in den Raum zu stellen. Es habe Versuche gegeben, „trotz fehlender Anhaltspunkte Ausländerfeindlichkeit zu unterstellen“. Es sei die Frage, ob die Medien damit nicht sogar Rassismus befeuern würden.
Reaktionen im Pressebereich des Gerichts war zu entnehmen, dass die meisten Journalist:innen den Vorwurf als absurd wahrnahmen. Schließlich war es in der Berichterstattung der meisten Medien eher nicht darum gegangen, die Angeklagten hätten Mouhamed als Rassisten töten wollen.
Vielmehr wurde die Frage thematisiert, ob Rassismus allgemein bei dem Einsatz eine Rolle spielte. Schließlich wird in der Rassismusforschung davon ausgegangen, dass weite Teile der Deutschen Bevölkerung rassistisch sozialisiert sind. Letztlich auch eine strukturelle Frage, die im Einzelfall nicht klar zu beantworten ist.
Schuldzuweisung des Verteidigers an Ärztin und Betreuer:innen
Dann versuchte Emde, die Kausalkette der Verantwortung absurdum zu führen. So wäre es nicht zu dem Einsatz und dessen Ausgang gekommen, wenn Mouhamed nicht in die Unterkunft gekommen wäre. Die Ärztin der LWL-Klinik, in der Mouhamed am Vortag war, ihn nicht wieder in die Unterkunft geschickt hätte. Die Betreuer*innen in der Einrichtung Mouhamed dauerhaft beobachtet hätten.
Bezüglich der Entscheidung, Mouhamed aus der Klinik zurückzuschicken, stellt er den Mangel an Krankenhauskapazitäten als möglichen Grund in den Raum. Auch die Frage einer strafrechtlichen Relevanz der Entscheidung der Ärztin könne man stellen, wirft Emde in den Raum.
Diesbezüglich hatte die Staatsanwaltschaft allerdings bereits am Montag erklärt, dass sie die Entscheidung der Ärztin nicht als strafrechtlich relevant ansieht.
Nochmals betonte Emde die Schwierigkeiten des Polizeiberufs. Die Beamten könnten nun mal nicht einfach wieder gehen, sondern müssten die Lage lösen. „Der Herr H. (Einsatzleiter) hat sich das überhaupt nicht einfach gemacht.“
Eine konkrete Ausbildung für den Umgang mit psychisch Kranken gab es nicht
Die rechtliche Bewertung der Staatsanwaltschaft sei hervorragend ausgearbeitet, doch das sei nun mal über lange Zeit erarbeitet worden. „Polizeibeamte haben diese Zeit nicht“, erklärte er. Eine konkrete Ausbildung für den Umgang mit psychisch Kranken gäbe es, wenn überhaupt, erst als Lehre aus dem Fall. Alternativen wie ein SEK kommentierte der Anwalt mit einem Einzelfall, bei dem ein psychisch auffälliger Mann von einem SEK erschossen wurde.
Am vorherigen Prozesstag hatte noch ein Dozent der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung ausgesagt, dass vor einer möglicherweise eingeschränkten Wirkung von Reizgas bei psychisch Kranken gewarnt wird.
Der Anwalt kommentierte das in seinem Schlussvortrag abschließend. Es sei lediglich ein Hinweis, um für den Fall entsprechende Sicherung bereitzustellen. Das habe sein Mandant mit dem Sicherungsschützen getan. Er sieht den Einsatz als rechtmäßig an und fordert einen Freispruch für seinen Angeklagten.
Der Anwalt der Reizgas einsetzenden Beamtin hielt sein Plädoyer deutlich kürzer. Seine Mandantin sei nach dem Polizeigesetz verpflichtet, Weisungen von Vorgesetzten umzusetzen, führte Lars Brögeler aus. Die einzigen Ausnahmen: Sie müsse erkennen, dass es sich dabei um eine Straftat handelt oder es offensichtlich sei, dass es sich darum handelt. Beides hält er in dem Fall für mit großer Sicherheit auszuschließen. Die fehlende Androhung des Zwangsmittels begründet er mit der fehlenden Reaktion auf vorhergegangene Kontaktversuche. Auch er fordert einen Freispruch für seine Mandantin.
Kritik an Lacher aus dem Besucherraum
Sehr ausführlich äußerte sich dann noch einmal Christoph Krekeler als Anwalt des Polizisten, der die Schüsse mit der Maschinenpistole abgab. Er startete zunächst mit Kritik am Verhalten einiger Besucher:innen während des Plädoyers der Staatsanwaltschaft am vergangenen Montag. Die hatten gelacht, als Oberstaatsanwalt Carsten Dombert von Diskriminierung der Angeklagten durch Rassismusvorwürfe sprach.
Die Lacher empfindet Krekeler als völlig deplatziert. Schließlich gehe es im Prozess um etwas. Jeder Mensch, egal ob Aktivist oder Polizist, habe das Recht, als solcher wahrgenommen zu werden. Auch er greift die Rassismus-Thematik auf. Struktureller Rassismus sei am Ende eine innere Haltung, die sich im Tatgeschehen äußern müsste.
Bei seinem Mandanten könne er das ausschließen, ist er überzeugt, und wiederholt sein Eingangsstatement. Nicht nur sein Mandant habe die Situation als bedrohlich empfunden und auf die Hautfarbe sei es seinem Mandanten nicht angekommen.
Die Annahme der Staatsanwaltschaft, für Mouhamed sei die Polizei nicht negativ besetzt gewesen, teilt er so nicht. Man könne das nicht wissen. Schließlich habe Mouhamed möglicherweise auf der Flucht negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Weiter führt er die mehrmalige Rückbringung in seine alte Unterbringung in Rheinland-Pfalz an.
Auch die staatsanwaltschaftliche Anmerkung, Mohamed sei nicht mit erhobenem Messer auf die Beamten zugelaufen, kann er nicht nachvollziehen. Eine Vielzahl an Internetvideos zeige, dass Messerstiche überwiegend von unten ausgeübt würden. Er wertet das Zulaufen auf die Beamten anders als Staatsanwaltschaft und Nebenklage weiter als Angriff und fordert für seinen Mandanten einen Freispruch.
Jan-Henrik Heinz, der Anwalt der Polizistin, die einen Taser einsetzte, hält sich kurz. Er schließt sich der Staatsanwaltschaft im geforderten Freispruch an. In Bezug auf seine Mandantin sei völlig egal, was vorher passierte, weil sie damit „schlicht und ergreifend nichts zu tun“ habe. Ein Angriff auf sie sei nicht gerechtfertigt gewesen, da sie nicht angegriffen habe.
Auch Marc Imberg, Anwalt des anderen Polizisten, der einen Taser abfeuerte, hält sich kurz. Er kritisiert die Betonung der statischen Lage durch Staatsanwaltschaft und Nebenklage. „Konkret ist die Gefahr, wenn sie hinreichend wahrscheinlich ist“, erklärt er und sieht die Gefahr gegeben.
Angeklagte emotional: „Das hat keiner von uns gewollt“
Nach den Plädoyers hatten die Angeklagten die Möglichkeit, noch selbst etwas zu sagen. Der für den Taser-Einsatz angeklagte Polizist sagte, er würde gerne mehr sagen, aber lasse es lieber. Nur die Polizistin, die ebenfalls einen Taser einsetzte, nutzte die Möglichkeit.
Am Ende bleibe die Tatsache, dass Mohamed nicht mehr am Leben ist, sagt sie sichtlich emotional. Ihre Tränen zwingen sie dann zu einer Pause. „Das hat keiner von uns gewollt. Das kann man aber nicht mehr rückgängig machen“, führt sie fort.
Nun müsse die Familie Dramé, aber auch sie und ihre Kollegen damit leben. Sie habe in der Situation keinen anderen Ausweg gesehen. Von den Rassismusvorwürfen möchte auch sie sich distanzieren. Die Polizistin wirkte bereits an vorherigen Prozesstagen emotional mitgenommen. Sie selbst ist in der Nordstadt aufgewachsen.
Das Landgericht Dortmund verkündet am 12. Dezember die Urteile
Nach dem Prozesstag äußerte sich Grüter als Anwältin der Familie Dramé auf Nachfrage zu dem Prozesstag. Es sei für die Brüder schwer auszuhalten gewesen, die Vorwürfe zu hören, ihr Bruder habe die Polizisten angreifen wollen.
Dass die Polizistin ihre Redemöglichkeit genutzt hat, um Anteil zu nehmen, empfindet sie als „anständig“. Es sei schade, dass die anderen Angeklagten das nicht getan haben.
Für den 12. Dezember 2024 hat Richter Thomas Kelm ein Urteil in dem Fall angekündigt. Dafür treffen sich alle Beteiligten ein letztes Mal in dem Prozess um 13 Uhr im Landgericht Dortmund.
Anm.d.Red.: Haben Sie bis zum Ende gelesen? Nur zur Info: Die Nordstadtblogger arbeiten ehrenamtlich. Wir machen das gern, aber wir freuen uns auch über Unterstützung!
Mehr auf dazu auf Nordstadtblogger:
Staatsanwaltschaft fordert im Schlussplädoyer vier Freisprüche im Fall Mouhamed Dramé
Prozess um den Tod von Mouhamed Dramé: Das waren die letzten Plädoyers vor dem Urteil
Reader Comments
Freibrief zum schießen? Tiefes Mitgefühl an die Angehörigen von Mouhamed Lamine Dramé! (PM Freundeskreis Mouhamed im Freundeskreis Flüchtlingssolidarität)
Am 02. und 04. Dezember 2024 wurden, wegen der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé in Dort- mund, die Plädoyers der Staatsanwaltschaft, Verteidigung und Nebenklage gehalten. Die Justiz forderte für den damaligen Einsatzleiter Thorsten H. unter anderem wegen fahrlässiger Tötung eine für zwei Jahre auf Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von zehn Monaten. Er soll außerdem 5000€ an eine soziale Einrichtung zahlen. So die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussplädoyer am 2.12.2024. Die anderen Angeklagten sollen nach dem Willen der Staatsanwaltschaft sogar unbestraft bleiben, dazu gehört der Polizist der geschossen hat. Die abstruse Begründung ist: Sie hätten bei der Tat im August 2022 irrtüm- lich eine Notwehrsituation angenommen. Angeblich läge ein sogenannter „Erlaubnistatbestandsirrtum“ vor, so dass reaktionäre juristische Zauberwort.
Auch in anderen Verfahren sieht man, in denen Polizisten wegen Todesschüssen oder Körperverlet- zungen angeklagt sind, sobald sie erklären, „Ich dachte, ich muss das.“, soll dies einen sogenannten Tatbestandsirrtum nach sich ziehen, der ihr Verhalten rechtfertigt, selbst wenn sie getötet haben. Hier geht es um ein tödliches Szenario und in diesem Fall für Mouhamed Lamine Dramé!
Im Prozess sind 5 Polizeibeamte angeklagt; der Polizist, der Dramé mit einer Maschinenpistole tötete, ein weiterer Polizist und zwei Polizistinnen die Elektrotaser und Pfefferspray eingesetzt haben und der Einsatzleiter, der das Kommando hatte.
Die Staatsanwaltschaft – Staatsanwalt Carsten Dombert und Staatsanwältin Gülkiz Yazir – begründe- ten ihre Anträge damit, die Polizisten hätten beim Gebrauch des Taser und der Maschinenpistole ’nur‘ Befehle ihres Einsatzleiters mit dem Ziel der Eigensicherung befolgt. Der Einsatzleiter hat den Einsatz des Pfeffersprays direkt befohlen. Den Antrag auf Bestrafung des Einsatzleiters begründete die Staats- anwaltschaft damit, dass er durch seine Anordnung des Einsatzes von Pfefferspray, welches als rechts- widrig bewertet wird, den weiteren Verlauf, der zum Tod von Mouhamed Dramé führte, in Gang gesetzt hat. Das sei die Verleitung der untergebenen Polizisten zur gefährlichen Körperverletzung im Amt. Aus- drücklich kritisierte Oberstaatsanwalt Dombert die Instrumentalisierung des Prozesses von »links«.
All dies macht fassungslos und fordert den Widerstand und die Kritik heraus. Tatsache ist, ein einheitli- ches Polizeikommando hat eine ruhige Situation ohne Fremdgefährdung systematisch eskaliert und einen jungen Flüchtling getötet. Das geschah nicht fahrlässig! Hier muss von Totschlag ausgegangen werden. Die Polizisten sind aus dem Polizeidienst zu entlassen. Sollte sich das Gericht dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft anschließen, wäre dies ein fatales Signal und ein Freibrief zum Schießen!
Unser tiefes Mitgefühl gehört der Familie von Mouhamed Lamine Dramé!
Der Freundeskreis Mouhamed forderte von Beginn die gerechte Strafe für alle Verantwortlichen in Poli- zei und Staatsapparat, organisierte zur Solidarität Fußballturniere, Demonstrationen und Konzerte. Auch wenn das die Staatsanwaltschaft verneint: Wir sind der festen Überzeugung, ohne die Solidarität der Bevölkerung und über Dortmund hinaus, wäre es nicht dazu gekommen, dass die Polizisten ange- klagt werden. Wir laden alle herzlich zum Freundschaftsessen des Freundeskreis Mouhamed, am 14.12., im Haus der Vielfalt in Dortmund ein, zur Demonstration des Solidaritätskreis am 14.12., um 13.12 Uhr an der Katharinentreppe und zur Urteilsverkündung am Landgericht Dortmund, am 12.12., um 13 Uhr.
Wolfgang Richter
Ein Prozess gegen Polizisten geht in erster Instanz zu Ende. Im ‚Ergebnis‘ so wie zu erwarten und zu seinem Beginn vorausgesagt war: „Dem Staatsanwalt ist für seinen Mut zu danken, den sinnlosen Tod des Jungen aus dem Senegal und daran beteiligte Polizei vor Gericht zu stellen. Es ist aber zu fürchten, dass der Versuch, polizeiliches Versagen zu be- und verurteilen, zu kurz greift und ‚Bewährungen‘ und ‚Freisprüche‘ produzieren wird.“ ( W. R. am 09.08.2023)
Genau so kündigen es die Plädoyers für das Urteil am dafür vorgesehenen Schlusstag am 12. 12. 2024 jetzt an: Viermal Freispruch und einmal Bewährung. Der Richter und seine Beisitzer werden das aus eigenem Rechtsverständnis kaum korrigieren. Eine Revision des Urteils ist angesagt.
Der juristische Prozess folgt bis zum Urteil dem gesellschaftlichen Verständnis vom Schützen des Eigenen und Strafen des Anderen. Auf den Anruf wegen des Verdachts einer suizidalen Absicht des Jungen (das Messer am Bauch) rückte eine nahkampfmäßig ausgestattete Kohorte aus der Wache aus, ‚um den Jungen zu retten‘ (wir mussten schnell handeln). Übung? Vorführung? Bewährung?Alles Grübeln hilft nicht – es gibt schon für diesen Start keine Erklärung, so wenig wie für den folgenden Einsatz der Waffen – bis zum Tod ‚des Anderen‘.
Es bleiben alle strukturellen Fragen: „Warum hat der Einsatzleiter den Einsatz befohlen – warum ist ihm niemand ins Wort gefallen? Warum haben zwei Polizistinnen Nahkampfinstrumente eingesetzt – warum hat keiner ihrer Kameraden Halt gerufen? Warum hat ein Waffenträger geschossen – warum hat ihm niemand die Waffe aus der Hand gedreht? Ein halbes Jahr wurde recherchiert, wer im Rudel mehr und wer weniger beteiligt war. Das ist gut. Aber anzuklagen ist vor allem auch die Rudelbildung selbst und ihre gedankliche und ideologische Verfassung. Polizeipräsidenten und Justizminister tragen Verantwortung, der sie nicht gewachsen sind.“ (W.R. am 26. 05. 2024)
Die Anklage vollbrachte beachtliche ‚Argumentationsketten‘ bis zur Reinwaschung der in ihrem Verständnis freizusprechenden bzw. auf Bewährung freizustellenden Angeklagten. So können sie alle beamtet bleiben. Rassisten gehören nicht in den Staatsdienst. Aber die gibt es ‚bei uns‘ ja auch nicht.
Übrigens wurde das Opfer – Mouhamed Dramé – in einem Plädoyer dieses Prozesses ungestraft zum potentiellen Täter erklärt: „Man konnte ja nicht wissen, was er denkt“. Also klar, der wird ans Töten denken. Rassismus geht nicht anders.
Pressemitteilung des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed vor der Urteilsverkündung gegen die angeklagten fünf Polizist*innen, die an dem für Mouhamed Dramé tödlichen Polizeieinsatz beteiligt waren
Am 12.12.2024 ab 13 Uhr wird nach 31 Prozesstagen, die sich über fast ein Jahr erstreckten, am Dortmunder Landgericht das Urteil erwartet. Gegenstand ist der tödliche Einsatz im August 2022, bei dem Mouhamed Lamine Dramé durch die Polizei erschossen wurde. Fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizist*innen mussten sich vor Gericht verantworten.
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed unterstützt die Nebenklage und schließt sich deren Plädoyer, sowie den Forderungen der Familie Dramé an. So benannte die Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter strukturellen Rassismus in polizeilichem Erfahrungswissen und Handeln etwa in Form von „shooting bias“, welche zu Fehlern in der Einsatzplanung führen und tödliche Ausgänge begünstigen. Das Phänomen shooting bias wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht. Eine Studie aus dem Jahre 2023 kommt zu dem Schluss, dass Personen, die sich für vorurteilsfrei halten dennoch shooting bias aufweisen. Darüber hinaus ist bekannt, dass Polizist*innen eine mangelnde Selbstreflexion in Bezug auf ihr eigenes Handeln oder eben diese Einstellungen aufweisen.
„Jeder Mensch trägt gewisse Vorurteile in sich. Aufgabe ist jedoch die Bewusstwerdung und der Abbau dieser Vorurteile. Sich der Einsicht zu verschließen, ist Teil des Problems.“ kritisiert Anna Neumann, Sprecher*in des Solidaritätskreises und ergänzt folgend: „Vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen in psychischen Krisensituationen sowie von starker Armut betroffene Menschen wie Wohnungslose sind von den Folgen dieser Einstellungen bei der Polizei betroffen.“ Im Falle Mouhameds wurde von der Polizei das Bild eines aggressiven Messertäters gezeichnet. Medien wie beispielsweise Spiegel TV übernahmen unkritisch diese Darstellung. Solche Darstellungen vertiefen rassistische Vorurteile, die letzten Endens dem beschriebenen shooting bias Vorschub leisten. „Solch eine Darstellung ist traumatisierend für die Familie Dramé. Ihr Sohn wird in aller Öffentlichkeit diffamiert und eine angemessene und glaubhafte Entschuldigung steht immer noch aus“, sagt Pressesprecher*in Anna Neumann. Inzwischen wurde durch die Staatsanwaltschaft anerkannt, dass Mouhamed kein Angreifer war.
Ebenso wenig nachvollziehbar wie für Anwältin Grüter ist auch für den Solidaritätskreis, warum sich der Strafantrag der Dortmunder Staatsanwaltschaft für Einsatzleiter Thorsten H. unterhalb der Grenze zum Verlust des Beamtenstatus befindet. Laut Grüter solle es zudem nicht nur für ihn, sondern auch für Jeannine B. und Markus B. Konsequenzen geben, da diese sich nicht auf die Annahme von Notwehr berufen könnten. Entgegen dem Plädoyer der Nebenklage fordern die Verteidiger Freispruch für alle fünf Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von 10 Monaten für Einsatzleiter Thorsten H., welche in zwei Jahre Bewährung umgewandelt werden könnte. Zusätzlich soll er 5000€ an eine Dortmunder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zahlen.
Es geht nicht um hohe Strafen, sondern um Konsequenzen für unrechtmäßiges polizeiliches Handeln, macht auch das Plädoyer der Nebenklage deutlich. „Es kann nicht sein, dass derart folgenreiches Handeln ohne Konsequenzen bleibt. In unseren Forderungen geht es gar nicht um besonders hohe Strafen, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung“, so Anna Neumann. Auch brauche es weiterhin eine kritische Reflexion und Aufarbeitung, egal wie das Urteil ausfällt. Neumann betont: „Unsere Gedanken sind heute bei Mouhamed und seiner Familie, sowie bei den vielen Menschen, die durch tödliche Polizeieinsätze ihr Leben verloren haben und für die es immer noch keine Gerechtigkeit gibt.“
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed wird der Urteilsverkündung beiwohnen und mit einer Mahnwache vor dem Gericht vor Ort sein. Darüber hinaus wird vor diesem Hintergrund für Samstag, den 14. Dezember, ab 13:15 Uhr zu einer Demonstration mit Start an den Dortmunder Katharinentreppen (gegenüber dem Hauptbahnhof) aufgerufen.
Andreas Kossack
Eine Studie, die von der Bundesregierung beauftragt wurde kam zu dem Schluss, dass (rassistische) Vorbehalte bei der Polizei gegen Minderheiten weite Verbreitung haben, insbesondere gegen Flüchtlinge: „Auch zeigen die Studienergebnisse, dass problematische Einstellungen zugenommen haben: Beispielsweise stellten die Forscherinnen und Forscher bei der ersten Erhebung zwischen November 2021 und Oktober 2022 bei elf Prozent der Befragten Muslimfeindlichkeit fest. Bei der zweiten Befragung, die zwischen November 2023 und März 2024 lief, waren es 17 Prozent. Ein Anstieg war auch zu beobachten bei Chauvinismus und Autoritarismus. Die Ablehnung von Asylsuchenden stieg demnach von 30 Prozent auf 42 Prozent. “ (zitiert aus „Antenne NRW, 19.9.2024) Dass bei der zitierten Polizistin Rassismus keine Rolle spielte, mag sein. Es waren jedoch 12 Polizisten im Einsatz. Zu dem Zeitpunkt der Erschießung Mouhameds hatten bundesweit 30 % der Polizisten eine ablehnende Haltung gegen Asylsuchende. Das wären herunter gerechnet fast 4 der 12 eingesetzten Polizisten. Mouhamed war Asylsuchender! Ich gehe davon aus, dass Rassismus bei dem Einsatz sehr wohl eine Rolle spielte und deshalb zumindest der Einsatzleiter und der Todesschütze eine so hohe Strafe verdienen, dass sie aus dem Polizeidienst entfernt werden. Dass das Gericht jetzt alle Polizisten frei gesprochen hat, ist ein Skandal erster Güte und ein Zeichen, der zunehmenden Rechtsentwicklung in Deutschland! Dagegen ist der Protest notwendig!
Ingo St.
In der Gruppe der eingesetzten Polizist*innen waren auch welche mit Migrationshintergrund. Daher finde die Rassismusstatistik unangebracht. Nordstadt ist Migrations- und Status Ausländerstadtteil.
Der Staatsanwalt wies darauf hin, das zwischen der gemeldeten Lage und der Vorbereitung darauf und der angetroffenen Lage ein Unterschied bestand, worauf der Einsatz-DGL vor Ort nichts an der Taktik geändert hat.
Davon finde ich im kommunizierten Urteil nichts wieder. Da muss auf das schriftliche Urteil gewartet werden.
rüstungsgegner
dass polizist*innen auch rassistisch sein können, ist doch keine neue erkenntnis. dass richter*innen oft genug im sinne und zum wohle angeklagter staatsdiener*innen urteilen, statt objektivität walten zu l assen, ist ebenfalls nichts neues. es nützt nichts, sich über einzelfälle zu empören. selbst wenn ein neues urteil entsteht, der einsatzleiter aus dem staatsdienst entfernt wird und die anderen beteiligten geringfügig mitbestraft werden, so ändert es ja doch nichts an den bestehenden verhältnissen in der brd zwischen staatsdiener*innen, nicht deutsch wirkenden mitbürger*innen und der ansicht deutscher bürger*innen zu beiden.
das eigentliche problem sind nicht diese mangelhaft ausgebildeten polizist*innen, auch die staatsloyale justiz ist nicht das eigentliche problem, sondern das eigentliche problem ist, dass die brd ein staat ist, dessen gesellschaft sich mehrheitlich im einklang mit xenophoben, gewaltbereiten, mangelhaft ausgebildeten und nervösen organen der exekutive, befindet. wer sich die kommentare in bekannten medien wie spiegel, focus, stern, rp etc ansieht, dem wird schnell klar, dass die mehrheit der menschen in der brd mit einer vorschnell exekutierenden exekutive durchaus einverstanden ist. ebenfalls einverstanden ist die gesellschaft mit einer staatsloyalen, nicht im sinne der forderungen der gerechtigkeit urteilenden , judikative. von der legislative gar nicht zu reden. da weiß die gesellschaft, der souverän ja leider gar nicht bescheid. kurz u schlecht: in der brd ist das töten von konfliktbeteiligten auf seiten derjenigen die nicht zur staatsgewalt gehören, durch angehörige der staatsgewalt eine, zwar perverse, aber eben eine normalität. ebenfalls normal sind die darauf folgenden urteile der richter*innen ganz zum wohle der staatsdiener*innen. gerechtigkeit für mouhamed dramé wird es nicht geben. punkt.