Portrait von Kostümdesigner Paul Tazewell
Paul Tazewell © Brian Isom

Paul Tazewell [Interview]

Mit Wicked spendiert Universal Pictures dem gleichnamigen, vielfach ausgezeichneten und von Fans heißgeliebten Broadwaymusical nun auch eine Kinofassung. Der Film erzählt – ebenso wie die Bühnenvorlage – die bekannte Geschichte des Zauberer von Oz aus einer völlig anderen Perspektive. Denn als Sympathieträgerin und Protagonistin stellt er ausgerechnet die Böse Hexe des Westens – Elphaba (Cynthia Erivo) – in den Mittelpunkt, die – wie man dann erfährt – eigentlich gar nicht so wahnsinnig böse ist und früher eine innige Freundschaft mit der guten Hexe Glinda (Ariana Grande) pflegte. Lest mehr dazu in unserer Kritik zum Film.

Bei der Produktion von Wicked wurden offensichtlich keine Kosten und Mühen gescheut, um das fantastische Reich von Oz und die darin lebenden Menschen für das Publikum in Szene zu setzen: Von den beindruckenden Sets der grünschillernden Smaragdstadt bis hin zu den Corsagen der Manschkinlandbewohner:innen. Einen essenziellen Beitrag dazu leistet natürlich auch das Kostümdesign. Wir durften zum Kinostart des ersten Teils am 12. Dezember 2024 (Teil 2 erscheint am 20. November 2025) ein Gespräch mit dem verantwortlichen Kostümdesigner Paul Tazewell führen und mit ihm u.a. über seine Vorgeschichte mit Oz, der Natur als Inspiration und Elphabas ikonischem Hexenhut sprechen.

Die Smaragdstadt in WICKED
Blick auf die Smaragdstadt in Wicked © Universal Pictures

Ist Wicked das Traumprojekt, das sich jeder Designer wünscht, bei dem man sich austoben und seiner Fantasie freien Lauf lassen kann?

Auf jeden Fall. Es ist eines und hoffentlich nicht das Letzte, das ich bekomme. Es bietet definitiv eine riesige Projektionsfläche zum Erforschen und Neuerfinden. Das Besondere daran ist, dass es eine bestehende Kultur rund um den Zauberer von Oz gibt und was Oz für so viele Menschen auf der ganzen Welt bedeutet. Es war wirklich aufregend, die Möglichkeit zu haben, diese Kultur aufzugreifen und neu zu gestalten, was diese Welt ist, und diese Kultur üppig zu ergänzen.

Ich weiß, dass du bereits eine Vorgeschichte mit dem Universum von Oz hast.

Ja.

Kannst du etwas mehr darüber erzählen und wie du zu diesem speziellen Projekt gekommen bist?

Ich glaube, du beziehst dich auf frühere Produktionen von The Wiz, die ich entworfen habe, eine für NBC, eine Live-Produktion und eine Filmproduktion. Und Der Zauberer von Oz begleitet mich schon seit ich etwa vier Jahre alt war, denn er wurde einmal im Jahr im Fernsehen gezeigt. So habe ich eine Beziehung zu einigen der ikonischen Bilder entwickelt, wie Glinda, die von Billie Burke dargestellt wird, und Gilbert Adrians Kostüme, und Judy Garland als Dorothy. Es war für mich immer eine wunderbare Inspiration für Fantasie und für die Verwendung von Farbe, denn es war die Geburtsstunde von Technicolor und deren Verwendung von Farbe im Film.

Bei den verschiedenen Darstellungen der Welt von Oz, wie den verschiedenen Produktionen von The Wiz, die von mehreren Regisseuren inszeniert wurden, war es wirklich spannend, einzutauchen und sie auf verschiedene Weise und mit einem anderen Blickwinkel zu erkunden. Dann von John Chu angerufen und gebeten zu werden, Wicked neu zu erfinden, die Welt von Wicked, die eine riesige Fangemeinde hat und damit ein eigenes Element hinzufügt, die von der ganzen Welt wegen der Art des Storytellings enorm angenommen wurde, die die Erzählung des Zauberers von Oz ein wenig auf den Kopf stellt und wie wir die Charaktere von Elphaba und Glinda empfinden, wie wir Gut und Böse sehen und wie wir uns mit Freundschaft beschäftigen und der Verbindung, die entsteht, wenn zwei Gegensätze zusammenkommen. All das in die Geschichte einfließen lassen zu können und wie wir sie erzählen wollen, war zum einen für John sehr wichtig, um eine neue Vision zu schaffen. Aber es war auch genau das, was ich als Künstler, als Designer brauche, um dieser Fantasiegeschichte Gewicht und eine emotionale Resonanz zu verleihen. Und ich hoffe, dass ich mit meinen Kostümen etwas davon unterstrichen habe.

Wie würdest du den Stil von Wicked, dem Film, in nur drei Worten beschreiben?

Oh, puh… [Er überlegt]. Organisch, abenteuerlich und sehr fantasievoll. Es ist schwer, alles, was Wicked ausmacht, in drei Worte zu fassen, denn wenn man eine Welt erschafft, stellt man Regeln auf, welche die Idee bestimmen. Und mit Nathan Crawley, dem Produktionsdesigner, und Alice Brooks, der Kamerafrau, habe ich einfach versucht, die Elemente zu etablieren, die Oz ausmachen.

Mein Einstieg in den Film begann mit der Natur, denn diese hat keine Epoche. Sie hat keinen festen Zeitpunkt. Das erlaubte mir sie als Sprungbrett für Dekor, Silhouette, Textur und Farbe zu sehen und das dann zu erweitern, indem ich mich auf die Textur von Rinde und die Textur von Pilzen und Blumen und die Farbe von Blumen beziehe.

Und man muss der Tatsache Rechnung tragen, dass wir z.B. das Manschkinland haben, das auf einer Gruppe von Menschen, einer Gesellschaft von Tulpenbauern basiert, und die Tulpen werden geerntet und zur Herstellung von Farbe verwendet. Sie sind eine Gemeinschaft von Machern. Das soll auch in der Kleidung zum Ausdruck kommen, mit handgestrickten Pullovern und der Art und Weise, wie die Farben auf den Silhouetten zusammengesetzt sind. Und dann sogar innerhalb der Silhouette: Wie spiegelt sie die Manschkins des Films aus den 1930er Jahren in einer märchenhaften Art und Weise wider, aber lässt auch Naturalistik mitschwingen – innerhalb der Grenzen von Oz als Fantasieland?

Du bist die ganze Zeit mit all den verschiedenen Ländern von Oz unterwegs, um eine visuelle Struktur zu schaffen, die einen Sinn ergibt, so wie wir die Geschichte erzählen wollten.

Du sagtest gerade, dass die Natur eine große Inspiration war. Ich habe gelesen, dass Pilze vor allem eine große Rolle bei der Gestaltung von Elphabas Kostümen gespielt haben. Vielleicht können wir das als Ausgangspunkt nehmen, um ein bisschen mehr über ihre und auch Glindas Kostüme zu sprechen. Was waren weitere Inspirationen? Was zeichnete sie aus?

Sicher! Bei Elphaba habe ich mich am stärksten an der Natur orientiert, weil sie marginalisiert wird aufgrund ihrer Hautfarbe, die sie vom Rest der Gemeinschaft abgrenzt, ihr aber auch erlaubt, sich mehr mit den Tieren zu beschäftigen, die Teil ihres Haushalts sind.

Cynthia Erivo als Elphaba in WICKED
Cynthia Erivo als Elphaba in Wicked © Universal Pictures

Vor allem im zweiten Film werden wir mehr und mehr sehen, dass sie mit zunehmendem Alter zu einer großen Verfechterin der Tierrechte wird und wie das mit ihrer eigenen Ausgrenzung aufgrund ihrer Hautfarbe zusammenhängt.

Wegen dieser Verbindung begann ich, mir die Idee anzuschauen und auch umzusetzen, dass sie in sehr dunkle Töne gekleidet sein würde. Ich wollte, dass sie wirklich mit dem übereinstimmt, was wir als die „Böse Hexe des Westens“ aus den 1930er Jahren kennen, und wie sie damit als Silhouette und als Farbpalette in Verbindung gebracht wurde, und diese Art von Zurückhaltung, die ihrem Charakter entspricht. Das ist in vielerlei Hinsicht, wie wir junge Schüler:innen sehen, die sich ausgegrenzt fühlen: Sie werden von der Farbe Schwarz angezogen, weil sie sich entweder dahinter verstecken oder einfach nur – sagen wir mal – ernster wirken wollen. Aber mit diesem Schwarz wollte ich, dass es jederzeit so schön und elegant dargestellt wird wie Glinda. Denn es ist einfacher, auf den Glamour von Glitzer zu reagieren und Dingen, die leicht und schön sind. Das ist wirklich ein großes Thema der Story: Wie wir jemanden sehen und wie wir uns zu jemanden verhalten, der eine strengere Form hat, aber an sich wunderschön ist. Ich wollte, dass diese Dunkelheit immer noch ein Interesse weckt.

Und so kam ich auf die Idee mit den Pilzen, weil sie mit der Natur verbunden sind, und einige der Texturen, die man auf der Unterseite von Pilzen, auf Rinde und getrockneten Blättern findet, und diese Dinge, die wie die reichhaltige, interessante Unterseite von Baumstämmen sind, und all das, was in einem wunderbaren Fantasiewald vor sich geht, und das in den Stil von Elphaba zu übertragen. Es ist ein sehr ausgeprägter, durchdachter Stil, den sie für sich selbst geschaffen hat, so wie Glinda auch.

Bei Glinda habe ich mich viel mehr an der Seifenblase orientiert, denn so sehen wir sie, das ist das ikonische Bild von ihr aus dem Originalfilm aus den 1930er Jahren. Aber auch das Gefühl, in der Luft zu sein, und das Schillern und die Farbe Rosa, die wiederum vom Film aus den 1930er Jahren und dem ikonischen Kostüm inspiriert ist.

Ariana Grande als Glinda in WICKED
Ariana Grande als Glinda in Wicked © Universal Pictures

Das Tolle, was ich mit diesen beiden Figuren in diesem Film machen konnte, war, sie in verschiedenen Phasen ihres Lebens zu zeigen. Was tragen sie von Tag zu Tag? Was sind ihre Uniformen, was haben sie als Sportkleidung an, was tragen sie, wenn sie im Wald herumlaufen, oder wenn sie sich schick machen und ausgehen? Es war wirklich spannend, einen breiteren Überblick über ihre Garderobe zu bekommen. Und damit die verschiedenen Facetten dessen, was sie sind, und immer in Bezug darauf, wie sie sich selbst sehen und was sie möglicherweise tragen möchten.

Elphaba und Glinda auf der Party
Elphaba und Glinda auf einer Party © Universal Pictures

Lass uns uns noch ein wenig über den Hut sprechen. Er ist so, wie man sich typischerweise einen Hexenhut vorstellt, aber auch ganz speziell Elphabas Hut. Wie hast du das beides erreicht?

Nun, es fing damit an und war stark davon beeinflusst, dass John Chu, der Regisseur, sagte, er wolle den Film mit einem Blick auf den Hut aus der Ferne beginnen. Wir können nicht genau erkennen, was wir da sehen. Vielleicht ist es eine Bergformation, vielleicht ist es etwas Architektonisches, aber dann, als wir heranzoomen und darüber hinausgehen, erkennen wir, dass es der Hut der Bösen Hexe ist.

Das als Sprungbrett nutzend, wollte ich an den Film aus den 1930er Jahren anknüpfen, zu unserer klassischen Vorstellung von einem spitzen, schwarzen Hexenhut. Also entschied ich mich für eine eher eckige Form, weil sie aus der Ferne als etwas anderes gelesen werden konnte, als aus der Nähe betrachtet. Es gab verschiedene Versionen, eine gerade mit Textur und eine andere, die mehr an eine Origami-Sammlung erinnerte, eine Formation. Und dieser schien die beste Mischung aus all den Ideen zu sein. Er ist mit einer plissierten [eine Art gefaltete] Oberfläche überzogen, was wiederum mit Elphaba zu tun hat und damit, wie ich bei den meisten ihrer Kleidungsstücke Texturen verwende. Dadurch erhält er mehr Charakter und ist somit spezifischer für Elphaba und ihre Persönlichkeit.

Ariana Granda als Glinda in WICKED
Glinda hält den Hexenhut in der Hand, der Elphabas Markenzeichen werden wird. © Universal Pictures

Es gibt eine solche Vielfalt an Mode, Mustern, Farben und so viele Details und Feinheiten in allen Kostümen, dass man sich den Film wohl mehrmals ansehen muss, um sie alle zu erkennen, wenn man es überhaupt kann. Gibt es ein bestimmtes Detail, das dir besonders am Herzen liegt und auf das du die Zuschauer:innen aufmerksam machen möchtest?

Ach, alle Details! Ich hatte das große Glück, dass ich einen Stab von fantastischen Schneider:innen und Kostümbildner:innen hatte. Wir haben alle sehr hart daran gearbeitet, eine Vision für den Film zu entwickeln, die so reich und voll ist, wie wenn man heute durch die Welt läuft, so dass man wirklich dieses Gefühl bekommt. Deshalb haben wir all die Texturen, die Farben, die verschiedenen Details. Es gibt überall Lieblingsstücke.

Ich könnte die kristallenen, silbernen Schuhe hervorheben, die Elphabas Schwester Nessa Rose von ihrem Vater, Gouverneur Thropp, geschenkt bekommt.

"Tornado"-Schuhe von Nessarose
Die „Tornado“-Schuhe aus „Wicked“ © Universal Pictures

Die Geschichte dahinter ist, dass sie ursprünglich ihrer Mutter gehörten und Nessa Rose sie als Geschenk erhält, als sie in die magische Universität Glizz  eintritt. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass der Absatz eigentlich ein Tornado aus Juwelen ist, der um den Fuß herumwirbelt. Damit wollte ich eine ikonische Version in der Art der rubinroten Schuhe schaffen, die wir aus dem Film aus den 1930er Jahren kennen. Ich wollte, dass sie in ähnlicher Weise nachhallen. Also habe ich ihnen einen eigenen Design-Schwerpunkt gegeben, der auch auf den Wirbelsturm in der Geschichte des Zauberers von Oz und die Bedeutung dieses Themas für den Film zurückgeht. Ich hoffe also, dass die Leute das sehen. Aber es gibt auch andere Easter Eggs, kleine Nuggets, die hoffentlich die gesamte Kultur des Zauberers von Oz und auch von Wicked widerspiegeln.

Vielen Dank für das Gespräch!

Tipp: In der nachfolgenden Featurette zum Film erfahrt ihr noch mehr über Paul Tazewell und sein Kostümdesign in Wicked:

Zur Person
Paul Tazewell ist ein mehrfach ausgezeichneter Kostümdesigner, der seit mehr als drei Jahrzehnten für Broadway, Film und Fernsehen arbeitet. Bekannt wurde er unter anderem durch seine Oscar-nominierte Arbeit für West Side Story und die Kostüme für den Musicalhit Hamilton. Zu seinen jüngsten Projekten gehören die Kostümdesigns für die Broadway-Produktionen Suffs und Death Becomes Her.



(Anzeige)