- 16. Dezember 2021
- Tradition & Innovation
- Elmar Brümmer
Falsch abbiegen auf der Datenautobahn
Lassie, unser Kolumnen-Dienstfahrzeug, als Spürhund: Wem gehören die Daten im Auto?
Die ganze Welt scheint klüger denn je: Smarte Telefone, smarte Uhren, smarte Städte und natürlich smarte Autos. Wir bewerten das Unterwegssein nicht bloß in PS oder kW, sondern mehr und mehr in Gigabytes. Wer bisher mit km/h angegeben hat, kann das jetzt durch Übertragungsgeschwindigkeiten tun – bis auch dafür ein Tempolimit gefordert wird. Natürlich lenken wir noch selbst, zumindest werden wir in dem Glauben gelassen. Doch wie mächtig mag der Beifahrer künstliche Intelligenz schon jetzt sein? Es wirkt jedenfalls ungemein beruhigend, eine Teermaschine zu sehen. Die gibt einem die Gewissheit, nicht auf einer reinen Datenautobahn unterwegs zu sein. Denn auf der könnte es glatt passieren, dass wir zwar weiter geradeaus fahren, aber unsere persönlichen Daten heimlich irgendwohin abgebogen sind.
Wer wüsste nicht gern, was mit seinen Daten passiert?
Autos, Mobilität und deren Auswirkungen neu zu denken, das ist nicht Zukunft bei der GTÜ, sondern aktuelles Tagesgeschäft. Die digitale Transformation fordert gerade von einer Prüforganisation, immer up to date zu sein. Die Frage, wer die Datenhoheit im Auto hat, ist dabei eine sehr wichtige – und eine sehr sensible. Denn das Auto weiß mittlerweile eine ganze Menge über seine Fahrer und deren Gewohnheiten. Ob er nun falsch einparkt oder bei welchem Lied er falsch schief mitsingt, wie lange die Seitenfenster offen sind, oder ob er gern USB-Sticks benutzt. Vieles davon ist sinnvoll, manches wäre einem ganz egal. Aber wissen, was mit den Mobilitätsdaten passiert, das würde jeder natürlich gern.
Autofahrer nur noch Gäste bei der Software-Party?
Der Machtkampf, wem die Daten aus dem Auto gehören, wird auf vielen Ebenen geführt. Google & Co. zoffen sich gerade mit den Automobilherstellern. Das ist wenig überraschend, das ist ihr Geschäft. Aber wer fragt uns, die Fahrer? Wir wollen mehr als Gäste bei einer Software-Party sein, auch wenn es uns häufig mehr um die Hardware geht, beispielsweise, wenn wir Getränke holen fahren. Mittlerweile beschäftigt diese Frage auch den Bundestag, von dort stammt der schöne Begriff „Datentreuhänder“. Denn natürlich ist es auch gut für alle, wenn Daten ohne Rückschlüsse auf die Person zum Gemeinwohl beitragen können – die Staukalkulation im Navigationssystem ist das beste Beispiel für eine gelungene Schwarmintelligenz, ebenso der elektronische Fehlerspeicher für die Werkstatt.
Wir bewegen Smartphones mit Rädern
Beim letzten Fahrzeugwechsel ging der zuversichtliche Griff des Kolumnisten ins Leere: da war zwar noch ein Handschuhfach, aber nicht mehr das lieb gewonnene Betriebshandbuch („Wo steckt noch mal der Ölstab!?“). Gibt es nur noch in digitalisierter Form, abrufbar auf dem Touchscreen. Na gut, damit war zumindest erklärt, warum vor mit statt der gewohnten Instrumente ein wohnzimmertauglicher Fernseher prangt. Was der so alles zeigt, weiß und kann… Die Frage, wie groß die Ablenkung durch die Datenflut jetzt dort ist, wo früher nur gelenkt wurde, beantwortet stellvertretend Kollege Michael Pfeiffer, Chefredakteur von auto, motor und sport: „Ganz ehrlich: Ich will eigentlich vor allem Auto fahren und dabei in Ruhe gelassen werden.“ Doch für viele Menschen ist es längst zur Selbstverständlichkeit geworden, mit dem Auto oder über das Auto zu kommunizieren. Es ist ein Smartphone auf Rädern.
Die Sache mit der Transparenz
Zurück zur Kernfrage: Wie transparent ist der Umgang mit den Daten? Oder umgekehrt: Wie transparent sind mein Auto und damit ich? Nicht jeder hat ja ein so analoges Dienstfahrzeug wie die GTÜ-Redaktion. Kürzlich hat Lassie beim Besuch des Autohändlers ein hübsches Geschenk bekommen, einen hübschen Schlüsselanhänger mit GPS-Sender. „Unverlierbar“, hat der freundliche Mitarbeiter gesagt, „am besten an den Autoschlüssel machen. Sie wissen dann immer genau, wo er ist.“ Und der Händler, wo ich bin. Der leicht misstrauische Autor hat das schicke Teil dann nicht mit in die Wohnung genommen, sondern draußen geparkt. Ohne Schlüssel. Feierabend für heute mit der digitalen Zukunft. Bis es klingelt, und die Nachbarin sagt: „Entschuldigung, aber irgendwie piept ihr Blumentopf aufdringlich…“