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Daumen hoch

Mein Daumen ist echt klasse. Dank des Daumensattelgelenks und verschiedener Bänder ist der Daumen außerordentlich beweglich und das ganze Gebilde stellt ein anatomisches Meisterwerk dar. Nebenbei gesagt, haben Ingenieure lange gebraucht, um so komplexe Funktionalitäten wie die des Daumens für Industrie-Anwendungen nachzubauen. Aber zurück zu meinem Loblied auf den eigenen Daumen: Mit ihm kann ich wortlos, kurz und bündig ausdrücken, was ich will, wie ich etwas finde, wen ich mag und wie meine Einschätzung ist. Klasse! Daumen hoch zum Daumen!

„Was machst Du denn da?“, fragt Gitti. Mit erhobenem Daumen sitze ich da, also wackle ich sogleich mit der ganzen Hand hoch und runter, dann lasse ich den Daumen entgegen des Uhrzeigersinns kreisen. „Super, gell?“ Gitti guckt mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. „Das tut ja schon beim Zugucken weh. Was machst Du da?“ Ich schwalle sie mit meinen Daumen-Erkenntnissen voll: „Guck mal, was man damit alles ausdrücken kann!“ Hand und Daumen drehe ich in die üblichen Stellungen, also hoch, runter und waagerecht. Ich nehme den Zeigefinger zu Hilfe und forme ein hübsches o.

Gitti guckt kritisch und stellt fest: „Das kannst Du aber auch nicht überall bringen.“ „Wieso? Wo denn nicht?“ „Zum Beispiel in Australien.“ „Na das ist ja gleich nebenan.“ Gitti legt nach: „Im Iran besser auch nicht!“ „Warum denn nicht?“

Mir dämmert schon: Ein kleiner Hopser in die Welt einer anderen Kultur macht ja häufig einen riesigen Unterschied aus. Aber der Daumen? Der wird doch überall maul- und schreibfaul als Emoji verwendet. „In beiden Ländern fühlen sich die Leute von ‚Daumen hoch‘ schwer beleidigt!“ Ups. „Und was ist mit dem internationalen Taucherzeichen für okay, also dem o? Braucht man das nicht auch für ‚super‘ oder ‚exquisit‘, wo war das noch?“ Gitti klärt mich auf: „Der Belgier denkt, Du meinst wertlos, und da hast Du noch Glück.“ „Du meinst in Osteuropa? Habe ich da dann irgendetwas Unangebrachtes mit eindeutig sexuellem Bezug ausgedrückt?“ Gitti nickt. Mist.

Wir überlegen weiter und stellen fest: Wer sich in den USA mit dem Zeigefinger an die Stirn tippt, fühlt sich richtig clever. Bei uns zeigt man damit aber traditionell den Vogel an, den der andere vermutlich hat, beleidigt diesen damit und zahlt nach Verwendung im Straßenverkehr, zumindest wenn es blöd läuft, auch eine saftige Strafe. Im Extremfall kann einem dieser ich-bin-echt-clever-Wink eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr einbringen. Für dieses Strafmaß muss man wahrscheinlich die Geste mit anderen Ungeschicklichkeiten verbinden und so die beleidigende Wirkung verstärken.

„Ja, eine Straftat ist mehr als ‚nicht nett gewesen‘, aber das ist doch blöd!“, protestiere ich. „Meistens finde ich mich durchaus nett!“

Uns fallen noch mehr Fallen ein: Asiaten mögen unser Wedeln mit den Armen und überhaupt diese ganzen ausladenden Gesten eher nicht. Manche fühlen sich dadurch auch schon mal eingeschüchtert. Japaner und Finnen, so habe ich mal gehört, vermeiden ständigen Blickkontakt und empfinden es als extrem unangenehm, wenn wir ihnen andauernd direkt in die Augen sehen, um unserem Interesse und unserer Aufmerksamkeit Ausdruck zu verleihen.

„So macht das keinen Spaß!“, findet jetzt auch Gitti und wendet sich schöneren Dingen zu.

Ich nehme mir vor, weiter nett zu sein und derweil die Reaktion der anderen in deren Gesicht und Körpersprache zu lesen. Hoffentlich interpretiere ich selbst auch nicht alles falsch. Und vielleicht gelingt es ja, im Gespräch zu bleiben, bevor alle Beteiligten innerlich dicht gemacht und sich gegenseitig schon fast den Krieg erklärt haben.

Zum Glück und als willkommene Ablenkung ploppt eine WhatsApp auf. Darin ganz viele Emojis, sonstige Symbole und die harmlose Frage: Erkennst Du alle Weihnachtslieder? Wie schön! „Guck mal, Gitti, wie schön!“ Gemeinsam gucken wir auf die Bilderfolgen. Wir erkennen „O Tannenbaum“, „Leise rieselt der Schnee“, „Driving Home for Christmas“ und noch ein paar andere.

Leise summe ich vor mich hin und überlege, welche Bilder man für „O Du Fröhliche“ braucht, mit welchen Emojis man mehr als nur den Titel dieser und anderer Lieder darstellen kann und bin ganz fröhlich.

In dieser Stimmung möchte ich natürlich auch antworten und mich bedanken! Ich reihe diverse Smileys aneinander, manche auch mit Herzchen – und kurz vorm Senden garniere ich die Reihe natürlich noch mit dreimal hintereinander gesetzten „Daumen hoch“.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Thomas

    Hallo,

    das ist immer so ein Problem für die Generation, die nicht fließend „Emoji“ spricht. Zudem gibt es auch immer mal wieder Artikel, die behaupten, daß manche Emojis immer falsch verwendet werden – vermutlich nach Auffassung des Autors oder desjenigen, der Emojis programmiert hat. Sollen die, welche sich nur in Emojis unterhalten doch selbst entscheiden, was sie jeweils zum Zeitpunkt der Kommunikation damit meinen – ich glaube, die Hauptsache dabei ist, daß „alte Leute“ sie nicht verstehen.

    Für mich wieder mal ein Zeichen, daß Sprache lebt und daß anders als viele es glauben, auch bei Gesten und Emojis Sprachregeln gelten und es durchaus „andere Sprachen“ gibt. du hast da schon schöne Beispiele gebracht, eins möchte ich anfügen: In Bulgarien, Albanien, Griechenland oder Indien z. B. wird Nicken genau entgegen unserer Verwendung zur Ablehnung oder Verneinung gebraucht.

    Zu Deinem Artikel gibt es im deutschen Sinne ein „Daumen hoch“ von mir, 🙂

  2. Mauro und Gianna

    na dann 👍🏻👍🏻🙋🏻‍♂️🙋‍♀️🤭🤔 ..
    😀😂🤣😁🙃😂😂😂😂 ………
    👏🏻👏🏻 DANKE 💕

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