Urlaub abseits der Massen: Portugals unentdeckte Mitte
Noch sind die einst herrschaftlichen Gärten von Santar eine Art Geheimtipp. Die hinter hohen Mauern verborgenen parkähnlichen Anlagen werden jährlich von rund 2.000 Reisenden besucht.
Quelle: Norbert Fettback
Marta Domingos gibt Vollgas. Ihr grün-gelber UMM, ein in die Jahre gekommener, aber immer noch rüstiger Geländewagen made in Portugal, quält sich die Bergpassage zum Monte da Esperanca hinauf. Die Naturpiste hat es in sich. Mag es aber auch noch so holpern: Das Lächeln weicht der Frau am Lenkrad nicht aus dem Gesicht. Hier fühlt sie sich zu Hause, hier nahm das seinen Anfang, was sie sich nie hätte träumen lassen: dass es sie vom Surferparadies Nazaré an der Atlantikküste ins portugiesische Hinterland verschlagen würde.
Von der Atlantikküste ins Hinterland
„Mein Mann und ich wollten immer etwas Eigenes machen, wir hatten diesen und jenen Plan“, sagt Domingos. „Als André mich dann zum ersten Mal mit auf diesen Berg genommen hat und ich oben auf den Felsen das Panorama erlebte, da hat es bei mir Klick gemacht.“ Hier und nirgendwo anders! Und beide, Marta Domingos und André Pinto, der in der Nähe, unweit der Stadt Belmonte, aufwuchs, gaben zusammen Vollgas, um ihren Traum zu verwirklichen.
Marta Domingos, die ursprünglich von der Atlantikküste stammt, hat sich mit ihrem Mann André Pinto für ein Leben im portugiesischen Hinterland entschieden.
Quelle: Norbert Fettback
Seit mehr als einem Jahr betreiben sie nach einer aufwendigen Sanierung ihr Landhotel The Vagar. Der Name ist eine programmatische Anspielung auf Langsamkeit und Entschleunigung, zwei der Eckpfeiler ihrer Gastgeberphilosophie. Wer den Weg zum Monte da Esperanca geschafft hat, ist dort angekommen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Wenn der Blick auf die Straße weit unten fällt, weiß man, dass man hier viel, viel Abstand zum lauten Alltag hat.
Einsamkeit am Monte da Esperanca
Die Wohlfühloase liegt auf halber Höhe des Berges, den Sonnenaufgang gibt es von jedem Zimmer aus inklusive. Eine Badewanne zum Abkühlen mitten im Wald? Man muss nur danach fragen. Barfußpfad und Wanderwege auf dem insgesamt 245 Hektar großen Anwesen beginnen direkt am Hotel. Der Honig auf dem liebevoll gedeckten Frühstückstisch stammt aus der eigenen Imkerei. Und wenn es weitere Wünsche gibt: Domingos, die gute Seele des Hauses, scheint allgegenwärtig zu sein – mit Rat und Tat. Ob ihr die trubelige Küstenregion, wo sie aufwuchs, gar nicht fehlt? Sie überlegt nur kurz. „In die Gegend hier habe ich mich auf den ersten Blick verliebt. Und dorthin sind es ja nicht mal zwei Stunden mit dem Auto.“
Vom Monte da Esperanca bietet sich ein Panoramablick auf die wunderbare Landschaft des Centro de Portugal.
Quelle: Norbert Fettback
Dieses Plus haben viele Touristinnen und Touristen für sich noch nicht so richtig entdeckt. Sie verbinden mit dem Centro de Portugal, einer der sieben Regionen des Landes, vor allem breite, sonnenüberflutete Sandstrände. So wie die Praia da Costa Nova, wo der höchste Leuchtturm Portugals zu finden ist und sich an der Uferstraße ein farbenprächtiges Holzhaus ans andere reiht. Dann vielleicht noch die nahe gelegene Lagunenstadt Aveiro mit ihren Kanälen und den bunten Moliceiros-Booten, wo man sich wie in Venedig fühlen kann. Eine Bilderbuchattraktion – die Region zwischen Atlantik im Westen und spanischer Grenze im Osten hat aber weit mehr zu bieten.
Santar: Geheimtipp für Gartenfans
In Santar, einem verschlafenen 1.000-Seelen-Ort, empfängt uns Ana Constantino. In der Hand hat sie einen großen Schlüsselbund, der für die Rundtour durch das mittelalterlich geprägte Dorf vonnöten ist. Es gilt, Tore zu öffnen – von einem Weingarten zum anderen. „Hier werden auch Mauern überwunden“, sagt Constantino.
Ana Constantino zeigt die aus Asien stammende Süße Duftblüte, die in den Gärten von Santar wächst.
Quelle: Norbert Fettback
Dahinter steckt Doppelsinn: In Santar wird eine ungewöhnliche Gemeinschaft praktiziert, über einst festgezurrte Eigentumsgrenzen hinweg. Das im Jahr 2013 ins Leben gerufene Projekt Santar Garden Village zielt darauf, das zu erhalten und Besucherinnen und Besuchern zugänglich zu machen, was seit Jahrhunderten den Ort prägt: die mit Tausenden Rebstöcken bepflanzten herrschaftlichen Areale hinter den großen Steinmauern.
Obstanbau spart Gang zum Supermarkt
Bis zu vier Besuchergruppen am Tag führt Ana im Sommer von einer der fünf privaten Anlagen in die nächste, was für den betagten Ort einen spürbaren Zugewinn an Vitalität bedeutet. Ein Teil des Ganzen ist ein Gemeinschaftsgarten: Parzellen, die Dorfbewohnerinnen und -bewohnern unentgeltlich zum Anbau von Obst und Gemüse zur Verfügung stehen. „Dann muss keiner dafür in den Supermarkt gehen“, sagt Constantino.
Einer der Gärten von Santar kann von den Einheimischen auch zum Anbau von Gemüse für den Eigenbedarf genutzt werden.
Quelle: Norbert Fettback
Region ist auch für Weine bekannt
In Santar werden jährlich bis zu 30.000 Flaschen Wein abgefüllt, das Produkt ist begehrt. Und überhaupt: Im Herzen Portugals rankt sich viel um den roten und weißen Traubensaft. Wer durchs Land reist, dessen Blick fällt immer wieder auf Weinberge. Fast alle Güter laden dazu ein, ihre Erzeugnisse zu probieren. Es sind nicht nur landschaftliche Gegebenheiten und die Klimaverhältnisse, die für spezielle Geschmacksnoten sorgen. Dazu zählt auch das Besinnen auf in 1000 Jahren gereifte Traditionen – und der Entdeckergeist junger Winzerinnen und Winzer.
Luis Filipe etwa, einer der Macher von Caminhos Cruzados, schätzt den von Granit durchsetzten Boden als „idealen Standortfaktor“. Insgesamt 40 Hektar misst die Fläche des in Nelas gelegenen Weinguts. Das ist für portugiesische Verhältnisse recht groß. „Wir sind ein junges Team, das gern auch experimentiert.“ Ein Ergebnis: roter Weißwein, genannt Clandestino, der sein spezielles Etwas durch die Anreicherung mit dem Saft roter Trauben erhält.
Kreativ: Das Weingut Caminhos Cruzados in Nelas stellt unter anderem einen roten Weißwein her.
Quelle: Caminhos Cruzados
Reben wachsen auf dem Hochplateau
Bereits in vierter Generation bewirtschaftet die Familie Amorim das Gut Taboadella in der Nähe von Satao. Mit den in der Branche geschätzten geografischen Vorzügen: Auf dem bis zu 530 Meter hoch gelegenen Plateau werden die Reben durch Berge und Felsen vor rauer Witterung und kalten Winden geschützt. Hier wird auf traditionelle Sorten wie Encruzado oder Jaen gesetzt. Besucherinnen und Besucher überrascht die futuristische Architektur des Weinguts. Beim Bau wurde viel natürliches Material wie Holz und Kork verwendet.
Im Weingut Taboadella setzt man auf die Produktion traditioneller Sorten wie Encruzado oder Jaen.
Quelle: Norbert Fettback
Ganz in Familie heißt es seit Jahrzehnten auch in der Quinta dos Termos unweit von Carvalhal. Hier ist aber alles eine Nummer größer, trotzdem werde „ausschließlich per Hand“ geerntet, wie Pedro Carvalho sagt. Der Juniorchef berichtet von 115 Hektar Anbaufläche in unmittelbarer Umgebung und von erfolgreichen Versuchen mit alten portugiesischen Sorten wie Fonte Cal. Auch Neues ist im Blickfeld: So wurde gemeinsam mit der Universität Lissabon der Zusammenhang zwischen den speziellen landschaftlichen Gegebenheiten und dem Weinanbau erforscht.
Guarda: Portugals höchstgelegene Stadt
Pedro Nobre, obwohl kein Winzer, muss niemand etwas über Wein im Allgemeinen oder die heimatliche Weinregion Beira Interior im Speziellen erzählen. Er ist Chef des Restaurants Nobre in Guarda, Portugals höchstgelegener Stadt, und er kennt sich aus in Keller und Küche wie kaum ein anderer. Den Gastraum ziert ein riesiger, uralter Holzschrank mit Dutzenden von Weinflaschen. Wer sich im Lokal regionale Köstlichkeiten schmecken lässt, der hat gratis einen einmaligen Blick auf die größte Sehenswürdigkeit der Stadt: die Kathedrale Sé. Eine eindrucksvolle Wehrkirche, für die 1390 die ersten Steine gesetzt wurden.
Die Kathedrale von Guarda prägt das Stadtbild.
Quelle: Norbert Fettback
Über die Besichtigung des imposanten, aus Kalkstein gefertigten Renaissance-Altarbildes hinaus lohnt draußen der Blick auf die Wasserspeier. Dem Baumeister saß offenbar der Schelm auf der Schulter: Da ist hoch oben doch tatsächlich ein nackter Hintern aus Granit zu sehen. Er zeigt in Richtung Osten, und das nicht zufällig: ein spezieller Gruß mit dem Allerwertesten an die eroberungslüsternen spanischen Nachbarn.
Viele Festungsanlagen in der Region
Im Mittelalter hieß es in der gesamten Grenzregion, vor Übergriffen auf der Hut zu sein. Davon zeugen heute noch viele Festungsanlagen, die meisten aus dem 13. Jahrhundert – so auch in Sortelha. Beim Besuch präsentiert sich der von steilen Felsen umgebene Ort mit seiner alles überragenden Burgruine nebelverhangen, als wolle er sich tarnen. Warum nur: Sortelha gilt als einer der schönsten Orte in ganz Portugal und steht mit auf der Liste der zwölf historischen Dörfer. Dort, wo die Menschen einst Schutz suchten und eine Heimat fanden, ist heute vor allem die Erinnerung an Vergangenes zu Hause. Die Landflucht zu stoppen, ist eine große Herausforderung.
Sortelha ist von steilen Felsen umgeben. Bei Nebel sieht der Ort, der zu den zwölf historischen Dörfern zählt, besonders mystisch aus.
Quelle: Norbert Fettback
Belmonte: Mehr als alte Steine
Im 20 Kilometer entfernten Belmonte, einem weiteren dieser historischen Dörfer, wird Besucherinnen und Besuchern ein praller Mix aus Historie und Neuzeit geboten. Selbstredend fehlt ein Kastell nicht, es hatte einst einen prominenten Bewohner: Pedro Alvares Cabral, der 1500 Brasilien entdeckte. Ein multimedial aufgepepptes Museum widmet sich der Kolonisierung und der Kultur der Ureinwohnerinnen und Ureinwohner des südamerikanischen Landes.
Nicht versäumen sollte man einen Gang durch das Museu Judaico. Mehr als 500 Jahre bewahrte die jüdische Gemeinde Belmontes Bräuche und Traditionen im Verborgenen. Heute leben hier 22 jüdische Familien, ihre Synagoge Bet Eliahu lädt seit 1996 zum Gebet.
In Belmonte leben heute 22 jüdische Familien. Seit 1996 beten sie in der Synagoge Bet Eliahu.
Quelle: Norbert Fettback
Belmonte, das zeigt sich auch darin, hat mehr zu bieten als steinerne Vergangenheit.
Tipps für deine Reise nach Portugal
Anreise: Porto und Lissabon, wo man gut eine Rundreise beginnen kann, werden von allen großen deutschen Flughäfen nonstop angeflogen. Von dort aus geht es per Mietwagen ins Centro de Portugal.
Beste Reisezeit: Der Frühling (März bis Mai) und der Herbst (September und Oktober) bieten sich an. Dann hält sich der Andrang auch in den am Atlantik gelegenen Regionen in Grenzen. Reisen sind aber ganzjährig möglich.
Unterkünfte: Wer sich in einem alten Herrenhaus mit jahrhundealter Ausstattung zur Ruhe begeben möchte, der ist im Valverde in Santar an der richtigen Adresse.
Essen: Die Küche des Landes ist sehr vielseitig. Aufs Grillen von Fisch und Fleisch verstehen sich die Portugiesen, häufig kommen auch deftige Eintöpfe auf den Tisch. Wie im Restaurant Vallecula in Valhelhas, wo das Ehepaar Maria Fernanda und Luis Castro für ungewohnte Gaumenfreuden sorgt – etwa einen Enteneintopf mit Bohnen und Möhren.
Maria Fernanda Castro und Luis Castro bieten in ihrem Restaurant Vallecula in Valhelhas regionale Küche und erstklassige Weine an.
Quelle: Norbert Fettback
Die Weinregionen: Portugal kennt mehr als 300 einheimische Rebsorten, auf 3 Prozent der Fläche des Landes wächst Wein. Das Centro de Portugal hat fünf Anbauregionen, die wohl bekanntesten sind die Dao-Region und Beira Interior.
Spezialität: Die Milch kommt ausschließlich aus dem nahe gelegenen Estrela-Gebirge und von Bordaleira-Schafen, in Mangualde wird daraus in viel Handarbeit ein würziger Käse – mehr bio geht nicht. Bis zu 70 000 Kilogramm jährlich tragen das Gütesiegel der Queijaria Vale da Estrela. Die Käserei bietet auch Führungen an.
Führungen: Zu den erfahrenen privaten Guides zählt José Manuel Santos.
Die Reise wurde unterstützt von TCP/ARPT Centro de Portugal. Über Auswahl und Ausrichtung der Inhalte entscheidet allein die Redaktion.
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