Meldestelle Antifeminismus zieht Bilanz: „Antifeminismus ist demokratiegefährdend“
Kaum ein anderes gesellschaftspolitisches Feld wird derart massiv, aber gleichzeitig unbemerkt angegriffen, wie die Gleichstellungs-, Geschlechter- und Familienpolitik.
Quelle: IMAGO/IPON
Schon vor ihrem Start sah sich die Meldestelle für Antifeminismus der Amadeu Antonio Stiftung viel Kritik ausgesetzt. Politikerinnen wie Dorothee Bär (CDU) sahen in ihr die Möglichkeit, auf Staatskosten zu „denunzieren und diffamieren“. Der Grund: Das Projekt wird unter anderem durch Förderungen des Familienministeriums unterstützt.
Statt andere „anzuschwärzen“, wie die CDU-Politikerin noch im vergangenen Jahr befürchtete, meldeten sich Betroffene auf dem Portal, die sie sich bedroht fühlten oder angefeindet wurden. Und das sind nach einem Jahr einige, wie die Amadeu Antonio Stiftung am Mittwoch bekannt gab. Im Lagebild Antifeminismus berichtet die Stiftung über das Ausmaß und die Qualität menschenfeindlicher Angriffe gegen Frauen und feministisch Engagierte.
Durchschnittlich 2,4 Meldungen gehen demnach täglich auf dem Portal ein. Doch nicht alle Meldungen lassen sich laut der Stiftung auch als „valider Vorfall beziehungsweise verifizierte Betroffenen-Meldung“ dokumentieren.
Viele Falschmeldungen und strafrechtlich relevante Inhalte
Zwar gab es insgesamt 5315 Meldungen, doch nur 814 ließen sich als valider Vorfall einordnen. Darunter sind 372 Meldungen von antifeministischen Vorfällen, 211 von geschlechtsspezifischer Gewalt, 231 fallen unter Sexismus, Diskriminierung und andere Formen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Innerhalb der ersten Monate konnte die Meldestelle vor allem aber eine „umfängliche missbräuchliche Nutzung“ feststellen, die sich in der Übermittlung von Falschmeldungen und teils strafrechtlich relevanten Inhalten sowie Beleidigungen, Bedrohungen oder Diffamierungen mit konkretem Bezug zur Amadeu Antonio Stiftung, der Meldestelle oder zu einzelnen Mitarbeitenden zeigten. Insgesamt gab es 1007 direkte Angriffe und Meldungen auf die Stiftung. Die hohe Zahl führt Judith Rahner von der Amadeu Antonio Stiftung auf die Kritik zurück, die es zum Start der Meldestelle gegeben hatte.
Vor allem Onlinebeiträge gemeldet
Die ernst zu nehmenden Meldungen unterscheiden sich laut Stiftung in mehrere Kategorien. Frauenfeindliche, misogyne oder sexistische Botschaften (167) und Angriffe auf geschlechtliche und sexuelle Vielfalt (149) sind dabei mit Abstand die häufigsten Gründe für eine Meldung – am häufigsten finden diese in den sozialen Netzwerken statt. Aber auch im politischen Kontext sowie Angriffe per Telefon und E‑Mail und auch physischer Natur konnte die Meldestelle innerhalb eines Jahres verzeichnen.
Es gebe zahlreiche Meldungen zu Onlinebeiträgen, die zu Gewalt gegen Frauen aufriefen, „teilweise sehr explizit, teilweise verkleidet als „Dating Coaching“, erklärte Rahner. „Massenhafte organisierte sexistische, frauen- und queerfeindliche Angriffe verdrängen Betroffene aus digitalen (auch beruflichen) Räumen, führen zu Belastungen und dazu, dass sie sich nicht mehr äußern bzw. nicht mehr aktiv sind.“
Auch sei die Anzahl von Meldungen zu Angriffen auf queere Symbolik und queeres Leben als Ganzes auffallend: Zahlreiche Regenbogenflaggen, darunter viele, die offiziell von Gemeinden und Institutionen aufgehängt worden waren, wurden 2023 zerstört, verbrannt, mit Sprengsätzen beworfen und durch Hakenkreuzflaggen ausgetauscht.
Auf jeden 16. Vorfall folgt eine Anzeige
Auch gab es antifeministische Vorfälle, die thematisch im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt stehen, Vorfälle der expliziten Abwertung von Feministinnen und antifeministische Vorfälle im Zusammenhang mit extrem rechten Ideologien. Die Verwobenheit mit anderen Ideologien wie Rassismus und Antisemitismus sowie Verschwörungserzählungen und NS‑Relativierung sind laut der Stiftung Bestandteil antifeministischer Vorfälle. Bei jeder fünften Meldung benötigten die Betroffenen Unterstützung und Beratung, jeder 16. übermittelte Vorfall sei auch bei der Polizei angezeigt worden.
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Quelle: RND
Die anderen Meldungen zeigen laut Amadeu Antonio Stiftung ein weites Feld an Vorfällen und Schilderungen geschlechtsspezifischer Gewalt auf. Relevant seien beispielsweise organisierte Angriffe und Belästigungen im Zuge körperlicher Selbstbestimmung und von Schwangerschaftsabbrüchen, sowie Angriffe gegen Schwangere („Gehsteigbelästigungen“), als auch gegen Arztpraxen und Beratungsstellen, als auch in Form von Demonstrationen.
Antifeminismus „dringend notwendig“
Gemeldet wurden auch Fälle von Gewalt, Bedrohungen, Beleidigungen, aber auch Sachbeschädigungen sowie Benachteiligung und antifeministische Mobilisierung. „Die meisten Betroffenen sind junge Frauen, Politikerinnen, Journalistinnen und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens“, erklärte Rahner.
Zwölf Fälle kategorisiert die Stiftung unter „antifeministisch motivierter physischer Gewalt“, eine als einen Tötungsdelikt. Bei dem gemeldeten Tötungsdelikt, ist die rechtsextreme Gesinnung des Täters und sexistische und antifeministische Motive sowie Überlegenheitsdenken gegenüber der Frau „als tateskalierend oder möglicherweise sogar tatmotivierend anzusehen“, sagte Rahner. Weitere gemeldete Fälle beträfen Übergriffe auf der Straße oder eine Vergewaltigung und anschließende Vertuschung im Arbeitskontext.
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„Antifeminismus findet sich überall“, erklärte Rahner. Und sei damit „demokratiegefährdend“. Denn Antifeminismus könne zum Rückzug führen und schränke die Selbstbestimmung, aber auch den zivilgesellschaftlichen und politischen Diskurs ein. Wie wichtig ein Gegensteuern ist, zeige sich an den aktuellen Zahlen.