«Der Footballsport hat ein Problem»

Der Footballer Tyler Sash stirbt 27-jährig. Nach dem Tod stellt sich heraus, dass er an einem Hirnschaden litt. Eine Studie zeigt nun, dass Sash keine Ausnahme ist: Von 111 untersuchten NFL-Spielern haben 110 Hirnverletzungen.

Claudia Rey
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Trotz Helm – Tyler Sash hat sich wohl beim Footballspielen bleibende Schäden am Gehirn zugezogen. (Bild: Imago)

Trotz Helm – Tyler Sash hat sich wohl beim Footballspielen bleibende Schäden am Gehirn zugezogen. (Bild: Imago)

Tyler Sash wusste, dass mit ihm etwas nicht stimmte. In seinem Kopf passierte etwas, das seine Gefühle veränderte, ihm die Lebenslust nahm. Er konnte nicht erklären, was es war.

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Am 8. September 2015 starb Sash an einer Überdosis Schmerzmittel. Er wurde 27 Jahre alt.

Zwei Jahre zuvor war der Footballspieler Sash nach der fünften Gehirnerschütterung von den New York Giants entlassen worden. Statt sich einem Leben in Saus und Braus zu widmen, fuhr er betrunken Auto, pöbelte die Polizei an und prügelte sich. Er war in einem Moment aggressiv und im nächsten zu Tode betrübt. «Wir erkannten ihn in den letzten Jahren nicht wieder», sagte die Mutter nach seinem Tod. «Es war schrecklich zu sehen, wie er sich quälte.»

Eine eindrückliche Studie mit zwei Schwächen

Die Familie glaubte, dass Medikamente, die Sash wegen einer kaputten Schulter jahrelang hatte schlucken müssen, schuld daran gewesen waren, dass er sich verändert hatte. Um Gewissheit zu bekommen, gab sie Sashs Gehirn zur Obduktion frei.

Die amerikanische Neuropathologin Ann McKee untersuchte Sashs Gehirn und stellte fest: Er litt an chronisch traumatischer Enzephalopathie (CTE), auch Boxer-Syndrom genannt – einer Erkrankung, die durch häufige Schläge auf den Kopf entsteht und zu Depressionen, Konzentrationsstörungen und Gedächtnisverlust führen kann.

Ein normales Gehirn (oben) im Vergleich mit dem Gehirn des Footballspielers Greg Ploetz, der an CTE litt (unten). (Bild: Dr. Ann McKee / via AP)

Ein normales Gehirn (oben) im Vergleich mit dem Gehirn des Footballspielers Greg Ploetz, der an CTE litt (unten). (Bild: Dr. Ann McKee / via AP)

In den vergangenen Jahren untersuchte McKee 111 Gehirne von verstorbenen NFL-Spielern und kam zum Resultat, dass 110 von ihnen an CTE litten. Es ist nicht das erste Mal, dass American Football mit CTE in Verbindung gebracht wird. Nie zuvor jedoch waren so viele Spieler untersucht worden. McKee analysierte nicht nur die Gehirne von Profispielern, sondern auch solche von Spielern, die lediglich im College Football gespielt hatten. Von ihnen litten 91 Prozent an CTE. McKee resümiert: «Es lässt sich nicht länger debattieren, es ist klar, dass der Footballsport ein Problem hat.»

Die Resultate von McKee sind eindrücklich, doch die Studie hat zwei Schwächen. Erstens konnten aus technischen Gründen nur Gehirne von verstorbenen Spielern untersucht werden. Das heisst, die Angehörigen der Sportler mussten die Gehirne für die Untersuchung freigeben. Das taten vor allem Angehörige von Footballspielern, die zu Lebzeiten Symptome gezeigt hatten, die auf CTE hinwiesen.

Zweitens wurden in der Studie nur wenige junge Athleten wie Sash untersucht. Die meisten Spieler waren zu einer Zeit aktiv, als es im Football weniger gute Ausrüstungen gab. Der Schluss, 99 Prozent aller NFL-Spieler hätten Hirnschäden, ist also nicht zulässig. Trotzdem liefert die Studie Hinweise darauf, dass sich Footballspieler einem grossen Gesundheitsrisiko aussetzen.

Angst, so zu werden wie Tyler Sash

Allen Indizien zum Trotz gibt es immer noch viele Stimmen in der NFL, die Studien wie jene von McKee für Humbug halten. Jerry Jones, der Besitzer der Dallas Cowboys, etwa sagte vor einem Jahr: «Einen Zusammenhang zwischen CTE und Football zu suchen, ist absurd.»

Auch die NFL hat jahrelang bestritten, dass Football in irgendeinem Zusammenhang mit Gehirnschäden stehen könnte. Erst vor einem Jahr räumte ein NFL-Offizieller ein, dass Football möglicherweise zu Hirnschäden führen könne. Inzwischen wurden die Regeln angepasst. Doch das dürfte das Problem kaum lösen. Einige Profis wie Chris Borland und Jordan Cameron haben ihre Karriere vorzeitig beendet – aus Angst, so zu werden wie Tyler Sash.