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Die Entdeckung der Kuh

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Die Kuh, das unbekannte Wesen: Sie frisst acht Stunden pro Tag.
Die Fliegen gehen auf jede Kuhhaut.
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Nein, wie ein lebendes Spektakel wirkt sie prima vista wahrlich nicht, die Kuh. Steht sie irgendwo auf einer blumenübersäten Schweizer Bergweide (und ist dabei das Lieblingssujet ostasiatischer Schnappschusstouristen), wird vorne pausenlos gekaut und hinten etwas weniger pausenlos gekackt; kein Wanderer, der mit seinem Schuh nicht schon mal in einen von Fliegen vernaschten Fladen getrampt wäre. Setzt die Kuh aber einmal zu einem Spurt an, strahlt sie dabei – irgendwie unvorteilhaft – die Grazie eines japanischen Sumo-Ringers aus. Gleichwohl schätzen wir das behäbige Nutztier, liefert es doch den flüssigen Rohstoff für viele unserer beliebten Milchprodukte.

Wenn Martin Ott diese Zeilen liest, schüttelt er bestimmt den Kopf. Und er denkt ein weiteres Mal, was er schon so oft dachte: Dass wir Stadtmenschen, die ab und zu durchs Hochland flanieren, zwar durchaus wissen, wie eine Kuh aussieht – dass wir aber von ihrem wahren Wesen erschreckend wenig Ahnung haben. Genau dieses Malaise hat den Landwirt, Lehrer und Sozialpädagogen dazu bewogen, ein Buch zu schreiben. Ein Buch, in dem er uns auf einer packenden Lesereise das «Universum Kuh» nah und näher bringen will, wie der Verlag schreibt.

Eine tierische «Tour d'horizon»

Der Titel, das muss gesagt sein, berührt mehr, als dass er verführt: «Kühe verstehen. Eine neue Partnerschaft beginnt» klingt verdächtig nach esoterischer «Pferdeflüsterer»-Lektüre. Damit ist aber auch schon der einzige Makel benannt. Die folgenden 174 Seiten offerieren nämlich solch erstaunliche, liebevolle, aber auch nachdenklich stimmende Informationen, dass gewisse Leserinnen und Leser in Versuchung geraten könnten, den Bürojob zu kündigen und ihr Glück künftig als Kuhhirtin oder Landwirt zu suchen.

Unterteilt ist das Buch in sieben grosse Themen. Ott beginnt bei den Wahrnehmungsfähigkeiten der Kuh, tastet den Säuger danach von Kopf bis Schwanz ab, geht weiter zum Verdauungsapparat (der es von seiner Komplexität her mit mancher Hightechmaschine aufnehmen könnte), beleuchtet das Verhältnis zwischen Mensch und Tier und das Verhalten der Tiere untereinander, untersucht (land-)wirtschaftliche Aspekte und beendet seine Tour d'Horizon schliesslich mit den Porträts von drei Kuhpersönlichkeiten. Fürwahr, das ist eine happige Menge Kuh. Doch weil die Abschnitte überschaubar portioniert sind, wirkt die Lektüre nie erschlagend. Jedes Kapitel reflektiert der Autor eigenwillig, aber originell mit einem ernsten oder einem augenzwinkernden Zitat. Beim Thema «Schwanz» zum Beispiel wird der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer mit dem Satz zitiert: «Wenn die andern glauben, man ist am Ende, so muss man erst richtig anfangen.»

Freundinnen fürs Leben

Wichtiger aber ist, wie Ott, der auch Mitbetreiber des Zürcher Biobauernguts Rheinau ist, sein immenses Wissen vermittelt. Er tut das in einer verständlichen, fast «pädagogisch» formulierten Sprache – was darauf zurückzuführen ist, dass die Texte auf Vorträgen basieren, die er seit Jahren hält. Und er tut es gründlich.

So erfährt man zum Beispiel, dass eine 600 Kilogramm schwere Kuh täglich bis zu 200 Kilo Gras oder Heu und Wasser konsumiert, acht Stunden pro Tag frisst und im Gegensatz zur Ziege nicht Gourmet, sondern Gourmand ist. Dass jene Tiere, die beim Wiederkäuen einen harmonischen Rhythmus an den Tag legen, bei der Zucht gegenüber Hektik-Käuern bevorzugt werden sollten. Oder – echt brisant – dass Kühe, anders als Pferde, wegen ihrer stark verhornten Zunge beim Fressen keine Sensitivität an den Tag legen und deshalb neben Grasbüscheln auch auf der Wiese herumliegende Nägel und Drahtstücke verschlingen. Um der Verletzungsgefahr vorzubeugen, platzieren darum viele Bauern einen Magneten im Kuhmagen, der metallene Fremdkörper in ein kleines Gitter zieht, an dem er befestigt ist.

Weil Ott wo immer möglich das Tun und Lassen des Tieres jenem des Menschen gegenüberzustellen versucht, machen die «gesellschaftlichen» Aspekte des Buches – beispielsweise das Sozialverhalten der Kühe – natürlich besonders neugierig. Und da liest man wirklich Verblüffendes. Unter anderem, dass ein Melker der Kuh nicht nur die Milch, sondern auch das Familiengefühl für die Herde «wegnimmt». Das hat zur Folge, dass die Verwandtschaften der Herdenkühe verloren und vergessen gehen; und dass eine Mutterkuh ihr Kalb nach ein paar Wochen Trennung meistens nicht mehr erkennt. Dafür, schreibt Ott, sei zu beobachten, wie zwischen einzelnen Kühen innige Freundschaften entstünden und dass sich solche Freundinnen – auch wenn sie über Monate hinweg getrennt seien – beim erneuten Aufeinandertreffen sofort wiedererkennen, die gegenseitige Nähe suchen und zusammen grasen würden.

Noch nie gesehene Bilder

«Kühe verstehen» verblüfft aber nicht allein durch den grossen Informationsgehalt, sondern auch durch die bunte Bilderwelt: Dem Fotografen Philipp Rohner sind geradezu magische Detail- wie Grossaufnahmen gelungen, die die stoischen Wiederkäuer buchstäblich in einem völlig neuen Licht zeigen.